Parteiaustritt von Boris Palmer "Seine letzte Entgleisung war das Übelste"
Nach dem Parteiaustritt des Tübinger Oberbürgermeisters zeigen sich viele Grüne erleichtert. Vertreter der AfD hingegen scheinen darin eine Chance zu sehen.
Zahlreiche Politiker der Partei Bündnis 90/Die Grünen begrüßen, dass der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer aus der Partei ausgetreten ist. "Boris Palmer hat heute seinen Austritt erklärt, dieser Schritt ist folgerichtig", sagte die politische Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, dem Nachrichtenportal t-online.
Palmer habe am Montag seinen Parteiaustritt erklärt, teilte die Landespartei mit. Sein Austritt gelte unmittelbar. Zuvor hatte der Oberbürgermeister erklärt, eine "Auszeit" nehmen zu wollen. Hier lesen Sie, wie Boris Palmer seinen Austritt begründet.
Am Wochenende hatte es große Diskussionen um Äußerungen Palmers in Frankfurt am Main gegeben. Hier lesen Sie mehr zu seinen Aussagen, die heftigen Widerspruch hervorriefen. Weil Palmer in den vergangenen Jahren immer wieder mit seiner Wortwahl für Aufsehen sorgte, ruhte seine Mitgliedschaft bei den Grünen zuletzt.
"Hat erkannt, dass er wirklich einen großen Fehler begangen hat"
Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour hat Palmer Respekt für seinen Parteiaustritt gezollt, aber kein Bedauern darüber geäußert. "Es gab ja Gründe, warum wir viele Diskussionen alle miteinander hatten", sagte er am Dienstag im ZDF-"Morgenmagazin". Palmers Schritt sei "respektabel, und ich wünsche ihm ein gutes Leben".
Der Tübinger Bundestagsabgeordnete Chris Kühn (Grüne) hat den Parteiaustritt als "konsequenten Schritt" bezeichnet, "nach einer Entfremdung, die sich über viele Jahre abgezeichnet" habe. Palmer habe sich besonders seit 2015 inhaltlich und programmatisch weit von der Partei entfernt, sagte Kühn der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.
- "Rassistisch": Uni-Präsident fordert Entschuldigung von Palmer
Kühn, der einige Jahre im Tübinger Kreisvorstand der Grünen saß und Landeschef der Grünen war, galt als parteiinterner Gegner Palmers. Zu den Vorgängen in Frankfurt twitterte Kühn am Samstag, dass er sich als Tübinger wieder einmal für den Oberbürgermeister seiner Heimatstadt schäme.
Nach Palmers Parteiaustritt sagte er am Montagabend, dass er Palmer nun seit 21 Jahren kenne und großen Respekt vor dessen Schritt habe. Kühn, derzeit Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium, sprach von einer Zäsur für die Tübinger Grünen. "Ich glaube, er hat erkannt, dass er wirklich einen großen Fehler begangen hat", so Kühn. "Dass die Partei nun Klarheit hat, ist auch gut."
"Gut, dass diese ultratoxische Beziehung hiermit endet"
"Endlich!", schrieb die Grünen-Politikerin Antje Kapek auf Twitter. Palmer sei schon immer streitbar gewesen. "Aber seine letzte Entgleisung war das Übelste, was ein deutscher Politiker von sich geben konnte", so Kapek, die im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. Das habe schon lange nichts mehr mit den Grünen zu tun gehabt. "Gut, dass diese ultratoxische Beziehung hiermit endet."
Der grüne Bundestagsabgeordnete Max Lucks schrieb in einem Statement auf Twitter: "Bündnis 90/Die Grünen stehen auf der Seite der Verfolgten, der Entrechteten und derjenigen, die Diskriminierung erfahren." Er hoffe, dass diese Menschen nach Palmers Austritt wieder "volles Vertrauen" in seine Partei fassen könnten, so der ehemalige Sprecher der Grünen Jugend.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hingegen hat den Parteiaustritt Palmers bedauert. "Persönlich tut es mir Leid um diesen klugen Kopf, der unsere Partei über eine sehr lange Zeit streitbar bereichert hat", sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart. Es sei "ein ziemliches Drama zu Ende gegangen", sagte Kretschmann. "Das berührt uns sehr. Ich finde das außerordentlich schmerzlich, was da passiert ist."
Palmers Entscheidung, bei den Grünen auszutreten, nötige ihm Respekt ab, sagte der Regierungschef. Dass Palmer nun eine Auszeit nehmen will, hält Kretschmann für richtig. "Ich wünsche ihm, dass er diese Zeit gut für sich nutzen kann."
Zuletzt als unabhängiger Kandidat angetreten
Vertreter der AfD allerdings scheinen in dem Austritt Palmers eine Chance zu sehen. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Brandner, bat Palmer die Mitgliedschaft an. In der rechten Zeitung "Junge Freiheit" verglich Brandner das politische Schicksal Palmers mit dem von Sahra Wagenknecht bei der Linken: "Beide sind inzwischen Opfer der irren Politik ihrer Parteien, die sie allerdings sehr lange mitgemacht haben." Ähnlich äußerte sich Parteichefin Alice Weidel. Der Kreisverband Hannover witterte angesichts des Austritts Palmers einen Vorteil für die AfD. "Wenn er in die AfD eintritt, stellen wir einen weiteren Bürgermeister", hieß es auf Twitter.
Ein Sprecher der Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl" äußerte sich kritisch zu dem Fall: Er zeige, wie "normal und einfach" es für Politiker in Deutschland sei, sich über Jahre rassistisch zu verhalten und den Zeitpunkt des Austritts selbst auszusuchen, "während Parteien stillschweigend zuschauen", so Tareq Alaows, der Grünen-Mitglied ist, auf Twitter.
Bereits früher rassistische Äußerungen
Wiederholt waren Aussagen des Tübinger Oberbürgermeisters in den vergangenen Jahren massiv kritisiert worden. Im Mai 2021 war er wegen rassistischer Äußerungen gegen den früheren Nationalspieler Dennis Aogo auf Facebook in die Kritik geraten – nicht zuletzt bei seinen damaligen grünen Parteikollegen.
Ein Parteiausschlussverfahren endete vor einem Jahr mit dem Kompromiss, dass Palmer seine Parteimitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lässt. Im Oktober 2022 war er in Tübingen als unabhängiger Kandidat angetreten und im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit für eine dritte Amtszeit wiedergewählt worden. Er ist seit 2007 Oberbürgermeister der Universitätsstadt.
- Anfrage an Emily Büning
- twitter.de: Profil von @Antje_Kapek
- twitter.de: Profil von @max_lucks
- twitter.de: Profil von @AfdHannover
- twitter.de: Profil von @Tareq_Alaows
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa