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Klimaschutzgesetz: Grüne fordern Scholz zu Klarstellung auf


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Grüne protestieren gegen Scholz
"Der Kanzler sollte das zurücknehmen"


Aktualisiert am 18.04.2023Lesedauer: 4 Min.
Olaf Scholz: Ein Sprecher des Bundeskanzlers hatte die Entscheidung des Kanzleramts bekannt gegeben.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Ein Sprecher des Bundeskanzlers hatte die Entscheidung des Kanzleramts bekannt gegeben. (Quelle: Fabian Bimmer/reuters)
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Erst Ende März hatte sich die Ampelkoalition auf eine Änderung des Klimaschutzgesetzes geeinigt. Nun entbrennt Streit – auch aufgrund einer Kanzleramts-Entscheidung.

Noch am Montagvormittag hatte der Expertenrat für Klimafragen vor einem Aufweichen des Klimaschutzgesetzes gewarnt – wenige Stunden später dann die Nachricht: Das Kanzleramt befreit Volker Wissing (FDP) von der Pflicht, ein Sofortprogramm vorzulegen, nachdem sein Verkehrssektor die Klimavorgaben im Jahr 2022 erneut verfehlt hatte.

Und das, obwohl im aktuell geltenden Klimaschutzgesetz ebendiese Pflicht festgeschrieben ist. Als Begründung führt das Kanzleramt die geplante Reform des Klimaschutzgesetzes an, auf die sich der Koalitionsausschuss Ende März geeinigt hatte. Diese sieht solche Klimaschutz-Sofortprogramme nicht mehr vor. "Wir haben eine andere Beschlusslage", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Montag.

Seitdem kochen die Gemüter hoch. Der grüne Koalitionspartner protestiert. In der Partei wächst der Widerstand gegen die Entscheidung des Kanzleramts – und auch die Reform des Gesetzes ist weiter hochumstritten.

"Klimapolitisch unverantwortlich und rechtsstaatlich inakzeptabel"

Die Bundestagsabgeordnete und Grünen-Landesgruppenchefin aus Bayern, Jamila Schäfer, sagte t-online: "Dass Scholz verkündet, für Wissing würde das Klimaschutzgesetz nicht mehr gelten, ist klimapolitisch unverantwortlich und auch rechtsstaatlich inakzeptabel." Die Exekutive könne sich nicht selbst von geltenden Gesetzen befreien. "Der Kanzler sollte das zurücknehmen", forderte Schäfer. "Ansonsten entsteht der Eindruck einer kruden Prioritätensetzung zulasten unserer Lebensgrundlagen."

Partei-Co-Chef Omid Nouripour widersprach am Dienstagmorgen bei den Sendern RTL und ntv der Darstellung aus dem Kanzleramt. Zwar würde die Ampelkoalition planen, das Klimaschutzgesetz zu ändern. "Bis dahin gilt das bisherige Gesetz", so der Grüne.

Auch Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge sagte am Dienstag: "Das Klimaschutzgesetz gilt – und es gilt für alle". Es brauche daher eine "unmissverständliche Klarstellung" des Kanzleramts. Die Regierung müsse sich natürlich an die eigenen Gesetze halten. Grünen-Klimapolitikerin Lisa Badum schrieb auf Twitter, es sei ihr schleierhaft, auf welcher Grundlage ein Regierungssprecher sich über Gesetze hinwegsetze. "So geht es nicht!"

Die geplante Reform des Klimaschutzgesetzes

SPD, Grüne und FDP hatten sich im Koalitionsausschuss Ende März auf eine Änderung des Klimaschutzgesetzes geeinigt. Demnach sollen die strikten Ziele zum Treibhausgas-Ausstoß für einzelne Sektoren aufgeweicht werden. Stattdessen will die Ampelkoalition die Emissionen über alle Bereiche hinweg betrachten. Verfehlt ein Sektor sein Ziel, sollen andere Sektoren, die besser abschneiden, das ausgleichen können. Konkrete Gegenmaßnahmen soll die Bundesregierung erst nach frühestens zwei Jahren ergreifen müssen. Maßstab fürs Erreichen der Klimaziele soll zudem nicht mehr die Rückschau auf die Vergangenheit sein, sondern die langfristig prognostizierte Möglichkeit zum Erfüllen der Klimaziele.

Nicht nur die Ankündigung des Kanzleramts sorgte für Aufregung. Am Dienstag mehrten sich die Stimmen aus den Reihen der Grünen, die einen Erhalt der Sektorverantwortung auch nach der Reform des Klimaschutzgesetzes forderten. In welchem Umfang diese erhalten bleibt, ist noch unklar.

Fraktionschefin Dröge bekräftigte auf Twitter, auch in Zukunft werde es ein Gesetz geben, das "verbindlich zur Einhaltung der Klimaziele verpflichtet", ebenso wie zur Erstellung eines Klimaschutz-Programms, wenn die Ziele verfehlt würden. Es gelte: "Kein Sektor entkommt der Verantwortung."

Parteichef Nouripour nahm bei RTL und ntv explizit den Verkehrsminister in die Pflicht. Die Defizite in diesem Sektor seien so groß, dass sie nicht ausreichend von anderen Bereichen auszugleichen seien, so Nouripour. "Das Gesamtergebnis wird nicht zu erreichen sein, wenn im Verkehrsbereich tatsächlich nicht mehr gemacht wird."

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer sagte zu t-online: "Ich finde es skandalös, dass die FDP erst systematisch Klimaschutzziele im Verkehr sabotiert hat und nachträglich dafür auch noch eine Legitimation durchsetzen konnte." Seine Mitgliedschaft bei den Grünen ruht bis Ende des Jahres. Er kritisierte die geplante Gesamtbetrachtung des Treibhausgas-Ausstoßes: "Wenn alle verantwortlich sind, ist niemand verantwortlich. Das weiß jeder Organisationsberater. Daher ist das Streichen der Sektorziele grob falsch."

Vor rechtlichen Unsicherheiten warnte Stephan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen: "Das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich gemacht, dass zu vage Sektorziele oder unklare CO2-Reduktionsvorgaben verfassungswidrig sind", sagte er dem Redaktionsnnetzwerk Deutschland (RND). Einer Reform des Klimaschutzgesetzes, "die gleich wieder in Karlsruhe kassiert wird", werde seine Partei nicht zustimmen.

Deutsche Umwelthilfe: Scholz hat Titel "Autokanzler" übernommen

Auch Umweltorganisationen kritisieren die Entscheidungen des Bundeskanzlers, Wissing vom Klima-Sofortprogramm zu befreien: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erinnerte, dass der Bundestag die Gesetze mache – "und eben nicht eine Politikerrunde, die sich Koalitionsausschuss nennt", sagte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.

Das sei ein Kernelement des Rechtsstaats. "Auch Bundeskanzler Olaf Scholz steht nicht über Recht und Gesetz", sagte er t-online und kritisiert Scholz scharf: "Mit diesem Manöver hat der Bundeskanzler deutlich gemacht, dass er den Titel 'Autokanzler' von seinen Vorgängern Schröder und Merkel übernommen hat."

Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch, wies ebenfalls auf die Verletzung der Gewaltenteilung hin. Inhaltlich sei es "eine Torpedierung des Klimaschutzes, wenn die Bundesregierung kein Sofortprogramm für den problematischsten Sektor vorlegt", obwohl der Expertenrat eine Verfehlung der Klimaziele um 40 Prozent bis 2030 prognostiziert habe, sollte keine Anpassung erfolgen, sagte er t-online.

Wissing blieb Sofortprogramm für 2021 schuldig

Das Verkehrsministerium hatte bereits vor der Äußerung aus dem Kanzleramt verkündet, kein neues Sofortprogramm auflegen zu wollen. Hier lautete die Begründung, dass sich die Koalition bereits auf eine Änderung des Klimaschutzgesetzes geeinigt habe. Schon im vergangenen Jahr war aus dem FDP-geführten Haus für das Jahr 2021 lediglich ein Vorschlag gemacht worden, der vom Expertenrat für Klimafragen als ungenügend abgelehnt wurde. Nachgebessert wurde nicht.

Nicht nur das Verkehrsministerium hat die Sektorziele verfehlt: Auch das Bauministerium unter Klara Geywitz (SPD) muss laut Gesetz ein Sofortprogramm vorlegen. Das Ministerium erklärte bereits, man werde das Sofortprogramm aus dem vergangenen Jahr weiterentwickeln.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Nachrichtenagentur Reuters
  • twitter.com: Profil von Katharina Dröge
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