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Bremen: AfD gerät völlig außer Kontrolle


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Chaos in der AfD
Völlig außer Kontrolle


Aktualisiert am 23.03.2023Lesedauer: 5 Min.
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AfD-Chefs Tino Chrupalla und Alice Weidel: Es gärt in der AfD. (Quelle: IMAGO/Emmanuele Contini)

Das Chaos, das sich in Bremen abspielt, ist selbst für AfD-Verhältnisse spektakulär: Weil sich verfeindete Lager bekämpfen, darf die Partei nicht bei der Landtagswahl antreten. Das hat Folgen weit über die Hansestadt hinaus.

Streitereien vor laufenden Kameras, Attacken auf den Bundesvorstand, Strafanzeigen gegen Parteikollegen: Die Bremer AfD gibt seit Wochen ein desolates Bild ab. Der Landesverband ist zutiefst zerstritten, kurz vor der Landtagswahl Ende Mai ringen zwei Gruppen erbittert um die Macht. Beide Lager wollten ihre Kandidatenlisten für die Wahl durchbringen und reichten sie beim Landeswahlausschuss ein. Das geht allerdings nicht. Deshalb entschied das Gremium am Donnerstag endgültig, dass die AfD gar nicht antreten darf.

Das ist nicht nur für den Bremer Landesverband bitter, sondern auch für die Bundespartei. Eine von drei Landtagswahlen in diesem Jahr – verschenkt. Dabei war man 2018 noch so stolz darauf, nur fünf Jahre nach der Parteigründung in allen Landesparlamenten vertreten zu sein.

Mit dem Siegeszug ist schon seit einer Weile Schluss, zumindest im Westen: 2022 flog die AfD mit nur 4,4 Prozent aus dem Landtag in Schleswig-Holstein. In Bremen wird sie nun nicht einmal mehr die Chance auf ein paar Prozentpunkte erhalten. Sie scheitert schon vorher an sich selbst.

Es brodelt in vielen Landesverbänden

Der Eklat auf Landesebene steht im Widerspruch zu der heilen Welt, die die Parteispitze gerne auf Bundesebene inszeniert: Alles laufe wie geschmiert, erklären die Partei-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla gern. Und tatsächlich sind die Umfragewerte für die AfD mit ihrem neuen Kurs als "Friedenspartei" in der Ukraine-Krise gut. Zuletzt sorgten 16 Prozent beim Meinungsforschungsinstitut Insa dafür, dass die Partei bundesweit sogar die Grünen überholte.

Der demoskopische Erfolg kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der AfD an allen Ecken und Enden brodelt. Nicht nur der Bremer Landesverband ist stärker mit sich selbst als mit politischer Sacharbeit beschäftigt. Streit und Rechtsklagen ziehen sich durch viele Verbände, oft setzen sich AfD-Politiker dabei selbst schachmatt. Und den Bundesvorsitzenden gelingt es nicht, die Konflikte zu lösen.

Im Gegenteil: Im aktuellen Bremer Streit überwirft sich die Spitze mit einem der wichtigsten Gremien in der Partei: dem Bundesschiedsgericht. Das ist für die Verhängung von Parteistrafen zuständig, bis hin zu der Entscheidung über Parteiausschlussverfahren. Besonders in der AfD hat es eine wichtige Funktion, weil sich immer wieder Parteimitglieder mit Anträgen auf Ausschluss überziehen.

Die Lage in Bremen ist selbst für AfD-Verhältnisse so skurril, dass sich die Frage stellt: Wie konnte es so weit kommen?

"Das ist total irre"

Bevor die AfD dort zwei Wahllisten einreichte, hatte sich ein selbst ernannter "Notvorstand" um Heiner Löhmann und Frank Magnitz gegründet. Als Gegenentwurf gruppierte sich ein "Rumpfvorstand" um Sergej Minich. Das Magnitz-Lager kürte seine Kandidaten für die Wahl in Bremen Ende 2022, im Januar stellte das Minich-Lager ebenfalls eine Liste auf. Beide Seiten bezichtigten einander, Verfahrensfehler begangen zu haben.

Das AfD-Bundesschiedsgericht entschied pro "Notvorstand", der AfD-Bundesvorstand hielt dagegen zum "Rumpfvorstand". Die Folge: ein heilloses Durcheinander, absurde Auftritte vor der Landeswahlleitung und Strafanzeigen wegen versuchten Prozessbetrugs. Weil die AfD den Streit nicht parteiintern klären konnte, urteilte die Wahlleitung: Beide Landeslisten sind von der Wahl ausgeschlossen.

Für Heiner Löhmann, Vorsitzender des AfD-"Notvorstandes" in der Hansestadt, liegt das größte Problem dabei nicht in Bremen, sondern in Berlin – nämlich beim Bundesvorstand. Das Bundesschiedsgericht der Partei habe schließlich bereits im Januar in dem Streit zwischen den beiden Bremer Lagern geurteilt und sei zu dem Schluss gekommen, dass sein "Notvorstand" der rechtmäßige sei und nicht etwa der "Rumpfvorstand" von Sergej Minich. "Trotzdem hat der Bundesvorstand Minich unterstützt", sagte Löhmann t-online. "Das ist total irre."

Bundesschiedsgericht gegen Bundesvorstand

Das AfD-Bundesschiedsgericht bestätigt Löhmanns Darstellung auf Nachfrage von t-online. Im Januar habe das Gericht nach einem entsprechenden Urteil des Bremer Landesschiedsgerichts die Rechtmäßigkeit des "Notvorstands" um Löhmann bestätigt, teilt Gereon Bollmann, Bundestagsabgeordneter und Präsident des Bundesschiedsgerichts, mit. Im Februar habe man dem "Rumpfvorstand" um Minich außerdem "mangels satzungsrechtlicher Handlungsfähigkeit die Antragsbefugnis verwehrt und eine Abänderung der Bestellung des 'Notvorstands' verweigert".

Dass der Bundesvorstand trotz der Entscheidung des Parteigerichts Minich unterstützt, will Bollmann nicht näher kommentieren. Er stellt aber klar: "Das Bundesschiedsgericht steht innerhalb der Partei gleichberechtigt neben dem Bundesvorstand. Als Organ der parteiinternen Gewaltenteilung erwartet es Respekt vor seinen ausschließlich rein rechtlich zu treffenden Entscheidungen." Die Unterstützung des Bundesvorstands für den "Rumpfvorstand" nehme man "zur Kenntnis".

Der Chef des "Notvorstands" Heiner Löhmann wählt deutlichere Worte. Er beklagt eine "Doppelmoral" des Bundesvorstands. "In der Ukraine-Frage setzen sie auf Diplomatie, in Bremen leben sie die Vorstandsdiktatur", sagte er t-online. "Ich bin total erschüttert und enttäuscht. Als Bremer schäme mich, als AfDler entschuldige ich mich."

"Das sind kriminelle Machenschaften"

In dem völlig verfahrenen Zwist aber gibt es zwei Seiten – und für die andere Seite liegt das Problem nicht beim Bundesvorstand, sondern bei Löhmann und seinen Mitstreitern, dem Bremer Landes- sowie dem Bundesschiedsgericht. Öffentlich äußern will sich niemand, unter der Hand aber heißt es: In beiden Gremien hätten Freunde des "Notvorstands" entschieden. Übliche Verfahrensweisen seien missachtet worden, die Entscheidungen nicht rechtmäßig. "Das sind kriminelle Machenschaften im Bundesschiedsgericht", fasst es ein AfD-Abgeordneter im Gespräch mit t-online zusammen.

Der AfD-Bundesvorstand will in der Sache keine Fragen beantworten, ein Sprecher der Partei verweist lediglich auf Pressemitteilungen. Dort heißt es bereits Mitte März, dass die Liste des "Rumpfvorstands" um Minich keine Mängel aufweise. Der Bundesvorstand habe mit Beschluss vom 27. Februar den "Notvorstand" um Löhmann und Magnitz "vorsorglich seines Amtes enthoben und ihm untersagt, weiter im Namen unserer Partei aufzutreten". Dass die Liste in Bremen nicht zugelassen worden sei, sei "einzig dem Verwirrung stiftenden parteischädigenden Wirken" des "Notvorstands" geschuldet. Versuche der Vermittlung habe es vonseiten des Bundesvorstands gegeben, diese seien aber gescheitert.

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Dieser Darstellung widerspricht "Notvorstand"-Chef Löhmann. Versuche der Kontaktaufnahme seitens des Bundesvorstands habe es gar nicht gegeben, behauptet er. Vielmehr habe er mehrfach den Kontakt und das Gespräch gesucht, der Bundesvorstand aber habe nicht reagiert.

So steht Aussage gegen Aussage. Gerichte außerhalb der AfD werden den Fall nun klären. Der AfD-Vorstand nämlich kündigt am Donnerstag an: "Wir werden hierzu eine Wahlprüfungsbeschwerde gegen die am 14. Mai 2023 anstehende Wahl zur Bremischen Bürgerschaft vorbereiten."

Voerst aber geht die AfD doppelt beschädigt aus dem Bremer Skandal hervor: Von der Wahl ist ihre Landesliste ausgeschlossen. Und die höchsten Gremien der Partei auf Bundesebene liegen miteinander tief im Clinch.

Statt Vertrauen herrscht nun Misstrauen auf ganzer Linie. Für die Partei verheißt das mit Blick auf die vielen Streitigkeiten, die noch auf den Tischen des Bundesvorstands und des Bundesschiedsgerichts landen werden, nichts Gutes.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Heiner Löhmann und anderen AfD-Politikern
  • zdf.de: "Bremen lässt AfD nicht zur Wahl zu"
  • ardmediathek: "Bremer AfD will Bundesvorstand verklagen"
  • bild.de: "AfD überholt die Grünen"
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