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Der Autobahn-Streit eskaliert


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Prominentes Trio soll schlichten
Der Autobahn-Streit eskaliert


Aktualisiert am 10.02.2023Lesedauer: 5 Min.
Das Trio soll es richten: Finanzminister Christian Lindner, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz (von links).Vergrößern des Bildes
Das Trio soll es richten: Finanzminister Christian Lindner, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz (von links). (Quelle: IMAGO/Joerg Carstensen/photothek.de)
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Die Bundesregierung will, dass die Infrastruktur schneller ausgebaut wird. Doch das Vorhaben stockt. Jetzt soll ein besonders prominent besetztes Trio den Streit schlichten.

Es klingt paradox: Wenn die Ampelregierung den festgefahrenen Streit um die Autobahnen lösen will, werden zwei entscheidende Politiker nicht mit am Tisch sitzen. Der Minister für Verkehr, Volker Wissing von der FDP. Und die Ministerin für Umwelt, Steffi Lemke von den Grünen.

Es sind ausgerechnet die beiden, deren Ressorts für das Thema zuständig sind. Und die sich in den vergangenen Wochen so verhakt hatten, dass keine Lösung in Sicht ist. Über nichts streitet die Koalition derzeit so heftig.

Dabei ist die Frage simpel: Sollen künftig alle Infrastrukturprojekte schneller geplant werden als bislang? Also Windräder, Bahnstrecken – und eben auch Autobahnen?

Die FDP findet: auf jeden Fall. Die Grünen: bloß nicht. Die Fronten sind verhärtet, was auch daran liegt, dass es eigentlich nicht nur um Autobahnen geht, sondern um die Identitäten von Grünen und FDP. Um Klimaschutz und Freiheit. Und damit auch um den ideologischen Kern der Parteien.

Die Autobahnfrage ist mittlerweile so politisch aufgeladen, dass selbst die Ampelregierung nicht mehr glaubt, dass sich die Chefs der Fachressorts, Wissing und Lemke, noch einigen können. Und wenn zwei sich streiten in der Ampel, dann muss ein besonderes Gremium für die scheinbar unlösbaren Probleme ran.

Das Krisentrio: Scholz, Habeck, Lindner. Kann das funktionieren?

Lösung bis zum 1. März?

Die Idee, dass es in der Autobahnfrage jetzt mal etwas Neues braucht, entstand vor zwei Wochen. Da kam am Donnerstagabend der Koalitionsausschuss zusammen, in dem sich die Spitzen der Fraktionen, Parteien und Regierung eigentlich über die großen Zukunftsprojekte abstimmen wollen – oft aber die großen Probleme lösen müssen.

Bei den Autobahnen gelang das nicht, nachdem es schon vorher zwischen Wissing und Lemke nicht gelungen war. Vereinbart wurde an diesem Abend, dass es nun einen Gesprächsprozess geben soll, um den Streit aufzulösen. Wie der aussehen soll, blieb unklar.

Inzwischen steht der Prozess. Nach Informationen von t-online aus mehreren hochrangigen Quellen sollen nun im Kern die großen Drei der Ampelregierung verhandeln: Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Vize-Vizekanzler Christian Lindner (FDP). Bis zum 1. März soll möglichst eine Lösung stehen, ist zu hören.

Ob nur über Autobahnen geredet wird oder auch darüber, wie Wissing seine Klimaziele im Verkehrssektor erreichen kann – darüber gibt es offenkundig noch Uneinigkeit. Am Ende könnte es auf einen großen Deal hinauslaufen, der jeder Partei einen Erfolg beschert. Wie so oft in der Politik, wenn sich Partner verhaken.

Ein bewährtes Krisentrio

Das Trio Scholz-Habeck-Lindner ist nicht neu. Es hat schon beim letzten Mal, als sich die Koalition in die Krise manövriert hatte, das scheinbar Unmögliche möglich gemacht. Als Habeck die Gasumlage um die Ohren geflogen war, verhandelten die drei diskret die Alternative aus: die Energiepreisbremse.

Der "Doppelwumms" in Höhe von 200 Milliarden Euro, der in großen Teilen für die Bremsen draufgeht, galt vorher lange als undenkbar. Die FDP pochte auf die Schuldenbremse. In der Konstellation Scholz-Habeck-Lindner einigte man sich trotzdem darauf, das Hilfspaket auf den Weg zu bringen. Neben dem eigentlichen Haushalt, aber das ist den Energiepreisen auch egal.

Im Kanzleramt wird das Krisentrio geschätzt. Vor allem, weil anders als im Koalitionsausschuss weniger Leute mitreden. Es entspricht dem Politikstil von Scholz und seinen Leuten: wenig Stimmengewirr, wenige Entscheider, und natürlich alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Doch anders als beim "Doppelwumms", wo der Konflikt ohnehin zwischen Lindner und Habeck verlief, sitzen die zwei eigentlich zuständigen Fachressorts beim Autobahnstreit diesmal nicht mit am Tisch. Nicht alle in der Ampelkoalition finden das glücklich.

"Vielfalt, statt Autos ideologisch bekämpfen"

Christian Lindner jedenfalls dürfte in den Verhandlungen einigermaßen unerbittlich auftreten. Zumindest wenn er die Linie seiner Partei weiterführt, die sich in diesen Tagen abzeichnet.

Die Argumentation der FDP geht dabei in etwa so: Der Güterverkehr werde in den nächsten Jahren stark ansteigen, und das dominierende Verkehrsmittel dabei blieben die Lkw. Deshalb brauche es Straßen – Klimaschutz hin, grüne Bedenken her.

In den vergangenen Wochen wuchs der Druck auf die Liberalen. Kaum kursierten Gerüchte, dass sie bei den Autobahnen nachgeben könnten, reagierte die FDP. Das Präsidium um Parteichef Lindner verabschiedete am Montag ein Papier mit dem eindeutigen Titel: "Individuelle Mobilität stärken – Vielfalt bei Mobilitätsangeboten ausbauen statt Autos ideologisch bekämpfen".

Lindner wollte damit selbst einen ideologischen Pflock einrammen, so zumindest sollte es ankommen – und das tat es auch. Beim Koalitionspartner stieß das Papier auf Verärgerung. Die FDP bewege sich damit eher von einem Kompromiss weg, hieß es.

Die Liberalen sehen das freilich anders, auch vor den Verhandlungen mit dem Kanzler: Wieso sollte man überall das Tempo anziehen – aber ausgerechnet die Autobahnen aussparen? Ob dann E-Autos oder Pkw mit Wasserstoffantrieb darüber rollen, könne man ja dann noch besprechen, lautet eine gängige FDP-Formulierung.

Die rote Linie der Grünen

Die Grünen können damit wenig anfangen. Eines ihrer Hauptargumente lautet: Wer alles priorisiert, der priorisiert am Ende gar nichts. Die Sanierung von Brücken oder die Verbreiterung von Autobahnen zu beschleunigen, da wären sie noch dabei.

Aber den Neubau genau wie bei den Windrädern zum "überragenden öffentlichen Interesse" zu erklären, um Einspruchswege und Umweltprüfungen abzukürzen? Das geht ihnen deutlich zu weit. "Das können die Grünen nicht mitmachen", sagt Jan-Niclas Gesenhues, umweltpolitischer Sprecher, t-online. "Das würde Artensterben und Klimakrise weiter anheizen."

Besonders in der Bundestagsfraktion scheint diese Position bei der Mehrheit eine echte rote Linie zu sein. Das liegt an tief verwurzelten Vorbehalten gegen den Neubau von Straßen. Aber wohl auch daran, dass es bei den Grünen das Gefühl gibt, der Klimabewegung jetzt zeigen zu müssen, dass sie noch kämpfen können. Besonders nachdem das Abbagern des Dorfes Lützerath für die Kohle die Bewegung der Partei weiter entfremdet hat.

In der Bundestagsfraktion wird nun betont, dass man Habeck in mehreren Sitzungen sehr klar gemacht habe, wie die grüne Stimmungslage ist. Die Erwartung lautet: Der Vizekanzler wird hart verhandeln. Die Frage ist nur: Reicht das?

Einfach wird es nicht. Selbst in Bundesländern, in denen die Grünen mitregieren, sehen es pragmatische Regierungsgrüne zum Teil eher wie die FDP: Die Planungsverfahren dauern allgemein zu lange. Eine Beschleunigung ist deshalb richtig. Und was dann wirklich gebaut wird, eine Bahntrasse oder eine Autobahn, muss anschließend die Politik entscheiden.

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Noch problematischer ist für die Grünen, dass die SPD im Bund eher aufseiten der FDP steht. Auch das weiß man in Fraktion und Partei. Und versucht, den selbst ernannten "Klimakanzler" Scholz bei der Ehre zu packen.

"Ich erwarte jetzt endlich mal eine klare Positionierung der SPD für Klimaschutz in der Verkehrspolitik", sagt Grünen-Umweltpolitiker Gesenhues. "Immer nur zwischen den Stühlen zu sitzen, geht nicht."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Gespräche
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