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Die "Reichsbürger"-Affäre: Wer verriet die Einsatzkräfte?


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Wer verriet den Einsatz?
Die "Reichsbürger"-Affäre


10.12.2022Lesedauer: 6 Min.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD), BKA-Präsident Holger Münch (links) und Generalbundesanwalt Peter Frank: In ihren Behörden gab es ein Leck. Quelle: t-online/IllustrationVergrößern des Bildes
Innenministerin Nancy Faeser (SPD), BKA-Präsident Holger Münch (links) und Generalbundesanwalt Peter Frank: In ihren Behörden gab es ein Leck. Quelle: t-online/Illustration

Eine Razzia bei Extremisten erschüttert die Republik – doch jemand stach brisante Details an die Presse durch. Bundesinnenministerin Faeser und Spitzenbeamte geraten unter Druck.

Als am Mittwochmorgen die Handschellen klickten, hatten Fotografen und Kamerateams bereits Position bezogen. So konnten die Journalisten festhalten, wie schwer bewaffnete und maskierte Polizeibeamte in ganz Deutschland an Türen klopften, Beweismittel aus den durchsuchten Wohnungen und Häusern trugen und Verdächtige abführten.

Die bislang größte Razzia gegen eine "Reichsbürger"-Terrorgruppe in der Geschichte der Bundesrepublik dürfte damit auch einer der am besten dokumentierten Einsätze sein. Nicht nur die Medienpräsenz an den Einsatzorten war außergewöhnlich.

Der mutmaßliche Geheimnisverrat

Mittlerweile ist von möglichem Geheimnisverrat die Rede. Denn klar ist: Sowohl der Zeitpunkt als auch die Orte des Zugriffs sowie vermutlich auch die Zielpersonen waren mehreren Medien bereits Tage im Voraus bekannt. Es gibt wohl kaum eine große Redaktion in der Republik, die nicht zumindest wusste, dass am Mittwochmorgen eine große Razzia gegen die Szene bevorstand. Es werde wohl viele Exklusivmeldungen am morgigen Tag geben, schrieb ein öffentlich-rechtlicher Journalist noch am Dienstag im Kurznachrichtendienst Twitter. Er sollte recht behalten.

Nicht nur waren viele Medien beim Zugriff vor Ort. Eine halbe Stunde, bevor der Generalbundesanwalt seine Pressemitteilung veröffentlichte, erschienen auch schon ausführlich vorbereitete Hintergrundartikel bei "Spiegel", "Zeit", "Süddeutsche Zeitung", "Tagesschau", "Welt" und ein MDR-Beitrag, die tiefe Einblicke in die Ermittlungen gaben. Die verwendeten Details zum Strafverfahren ähnelten sich auffällig. Es entstand der Eindruck: Ein zentraler Akteur hat offenbar die Medien mit Interna versorgt.

Die Gefahr für die Einsatzkräfte

Und die Frage, wer wann von dem Einsatz wusste, provoziert weit schwerwiegendere Fragen: Gefährdete die Öffentlichkeitsarbeit die Ermittlungen? Hätten nicht auch Verdächtige davon Wind bekommen können? Wurde damit sogar das Leben von Einsatzkräften aufs Spiel gesetzt? Wer zog derart viele Medien mit großem zeitlichen Vorlauf ins Vertrauen und setzte die Polizisten damit diesem Risiko aus?

Wie auch immer die Antworten im Detail aussehen, fest steht bereits: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Generalbundesanwalt Peter Frank und der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, werden absehbar unangenehme Fragen zu beantworten haben.

Schließlich gilt die "Reichsbürger"-Szene nicht nur als waffenaffin und gewaltbereit. Im jüngsten Fall gingen die Ermittler sogar von schwer bewaffneten Terroristen aus, die einen Staatsstreich mit Geiselnahmen planten. Die Innenexpertin der Linksfraktion im Bundestag, Martina Renner, mahnte deswegen schon kurz nach dem Zugriff: Was wie eine "PR-Aktion" wirke, hätte Verdächtigen die Möglichkeit geben können, kurzerhand zur Waffe zu greifen – oder Beweismittel verschwinden zu lassen.

Die möglichen Konsequenzen

Und sie blieb nicht die einzige Kritikerin. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei teilt die Einschätzung. "Durchstechereien von Details polizeilicher Maßnahmen gefährden konkret den Einsatzerfolg und nicht zuletzt Leib und Leben unserer Kolleginnen und Kollegen", sagte Jochen Kopelke t-online. Es sei nicht zu tolerieren, "wenn sich jemand auf Kosten der Sicherheit der eingesetzten Beamtinnen und Beamten in den Medien inszenieren will". Der Verdacht des Geheimnisverrats stehe im Raum.

Das würde wiederum bedeuten: Verantwortlichen drohen möglicherweise nicht nur politische, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen. Denn ähnliche Fälle haben immer wieder bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt – und zu Ermittlungen und sogar Rücktritten geführt. Eine Auswahl:

  • Der Fall Edathy: Die Weitergabe von Ermittlungsinterna kostete Minister Hans-Peter Friedrich (CSU) 2014 im Zuge eines Untersuchungsausschusses das Amt. Grund waren Ermittlungen gegen den SPD-Politiker Sebastian Edathy wegen des Verdachts auf den Besitz kinderpornografischen Materials. Friedrich hatte als Innenminister den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel darüber in Kenntnis gesetzt. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses ein – stellte sie aber später wegen geringer Schuld ein.
  • Der Fall Döring: Auch der baden-württembergischen Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck (FDP) blieb 2004 nur der Rücktritt. Sie hatte ihren Parteikollegen Walter Döring über Ermittlungen gegen ihn informiert. Werwigk-Hertneck wurde deswegen zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.
  • Der Fall Strobl: Zuletzt musste der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) eine Geldauflage in Höhe von 15.000 Euro zahlen, weil er Gerichtsunterlagen an einen Reporter weitergegeben hatte. Die Ermittlungen wurden damit eingestellt, er bleibt vorerst Minister. Doch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss dürfte Strobl weiter unter Druck setzen.
  • Der Fall Seehofer: Ermittlungen musste sich auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) stellen. Der damalige "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt hatte vor laufenden Kameras bereitwillig darüber geplaudert, dass Seehofer eine tags darauf anstehende Razzia gegen die islamistische Hisbollah durchgestochen habe. Die Boulevardzeitung war anschließend exklusiv als erstes Medium vor Ort. Die Ermittlungen gegen Seehofer wurden aber schließlich eingestellt.

Angesichts der schweren Vorwürfe scheint man im Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt überaus bemüht zu sein, die "Reichsbürger"-Affäre im Optimalfall gar nicht erst zu einer werden zu lassen – oder zumindest damit nicht in Verbindung gebracht zu werden. Faeser hatte den Erfolg der Ermittlungsmaßnahmen unter anderem daran festgemacht, "dass vorher nichts rausgedrungen ist". Angesichts der offenkundigen Lecks in den Behörden zeigt das Innenministerium nun auf den Generalbundesanwalt, der – angenehmer Nebeneffekt für die SPD-Frau Faeser – praktischerweise Justizminister Marco Buschmann (FDP) untersteht.

Die Dementis

"Das Bundesinnenministerium hat im Vorfeld der heutigen Maßnahmen keinerlei Informationen zu den Maßnahmen und dem Ermittlungsverfahren mit Journalistinnen und Journalisten geteilt", sagte eine Sprecherin t-online. "Die Informationshoheit liegt einzig bei der ermittlungsführenden Stelle, dem Generalbundesanwalt." Zu möglicherweise vorangegangen Hintergrundgesprächen mit Journalisten äußerte sie sich nicht.

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Ähnlich ist die Antwort aus dem Bundeskriminalamt: "Zum Schutz der eingesetzten Kräfte und zur Gewährleistung einer erfolgreichen Strafverfolgung teilt das Bundeskriminalamt im Vorfeld von Einsatzmaßnahmen grundsätzlich keine Informationen mit nicht berechtigten Stellen und Personen. Dies gilt auch für die Einsatzmaßnahmen am 7.12.2022." Für weitere Fragen sei der Generalbundesanwalt zuständig.

Die Gegendarstellung

Und der Generalbundesanwalt? Die Kommunikation mit Journalisten erfolge "im Rahmen presserechtlicher Vorgaben unter Berücksichtigung der Belange des Ermittlungsverfahrens", heißt es von dort auf Anfrage von t-online. "Wir haben keine Erkenntnisse dazu, auf Grundlage welcher Informationen einzelne Medien von dem Datum und den Orten der Maßnahmen erfahren haben und dort womöglich zugegen waren."

Als relativ wahrscheinlich kann aber mittlerweile gelten, dass es eine Absprache mit der "Zeit" gab. Einer ihrer stellvertretenden Chefredakteure schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter, die Bundesanwaltschaft habe gebeten, den Artikel nicht vor 7.30 Uhr am Mittwochmorgen zu veröffentlichen. Ansonsten beruhe die veröffentlichte Recherche aber größtenteils auf eigenen Erkenntnissen.

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Nicht alle Mitglieder des Bundestags, die Tage und zum Teil sogar Wochen zuvor von der Razzia erfuhren, schenken dieser Darstellung uneingeschränkt Glauben. Nach Informationen von t-online gehen nicht nur Politiker der Opposition davon aus, dass auch Informationen aus dem Innenministerium nach außen gedrungen sind.

Zwar kann bislang niemand handfeste Beweise vorlegen. Aber es zeichnet sich bereits ab, dass sich einige Innenexperten im Parlament nicht so einfach mit den bisherigen Erklärungen aus dem Ministerium sowie den anderen Behörden zufriedengeben. Zumal Medien nicht ohne Hilfe aus den Behörden Ermittlungsdetails erlangen konnten.

Die Aufklärung

Deshalb werden die Razzia und ihre Umstände in der kommenden Woche ein großes Thema im Bundestag sein. Unter anderem gibt es eine Aktuelle Stunde. Außerdem kommt das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) zur Kontrolle der Geheimdienste nach Informationen von t-online am Montag zu einer Sondersitzung zusammen. Und auch eine von der Union beantragte Sondersitzung des Innenausschusses wird offenbar gegen den Widerstand aus den Regierungsfraktionen stattfinden.

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"Wenn Medienvertreter vorab über Details der Razzien informiert waren, dann hat entweder die Führung des Innenministeriums ihren Laden nicht im Griff oder es wurden gezielt Informationen gestreut", sagte Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, zu t-online. "Ich weiß nicht, was schlimmer wäre." Die Ampel dürfe Sicherheitsbehörden nicht für PR missbrauchen. Auch der rechtspolitische Sprecher von CDU/CSU, Günter Krings, kündigte im Gespräch mit t-online Aufklärungsbemühungen an.

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In jedem Fall wird Innenministerin Faeser am Mittwoch auch in der regulären Sitzung des Innenausschusses berichten – dort hatte sie sich bereits vor drei Wochen ohne Angaben von Gründen angekündigt. Auch sie ging offenbar vonn einem gewissen Informationsbedarf aus. Sie habe wohl "einen großen Auftritt" geplant, heißt es etwas abfällig aus der Opposition. Dieser Auftritt könnte sowohl im Plenum als auch im Ausschuss nun etwas anders ausfallen als angesichts des Ermittlungserfolgs zunächst erhofft.

Denn mittlerweile steht sogar im Raum, dass eine der größten Befürchtungen Realität geworden ist: Verdächtige könnten von dem bevorstehenden Zugriff erfahren haben. Wie "Passauer Neue Presse" und "Tagesspiegel" gleichlautend berichteten, meldete sich einer der Hauptverdächtigen vergangene Woche telefonisch bei seiner Nachbarin. "Es kann sein, dass die Polizei nächste Woche kommt", soll er gesagt haben.

Sollte sich ein solcher Verdacht bestätigen, bekämen die Indiskretionen eine völlig neue Qualität, denn es wurden auch überraschend wenige Waffen gefunden. Und im Ministerium und den anderen Behördenleitungen müsste deswegen endgültig über konkrete Antworten auf die vielen unangenehmen Fragen nachgedacht werden.

Verwendete Quellen
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