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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kriegs- und Klima-Talk Söder gerät bei Lanz unter Druck – und kontert bissig
CSU-Chef Markus Söder musste sich bei "Markus Lanz" gegen Vorwürfe einer verfehlten Energiepolitik verteidigen. Darauf reagierte er gewohnt angriffslustig.
Bei seinem ersten physischen Auftritt in Markus Lanz' Talkshow seit März 2019 erhielt der bayerische Ministerpräsident Gelegenheit, sich ausführlich zum Ukraine-Krieg, den Klimaprotesten und der schleppenden Energiewende in Bayern zu äußern. Söder, der Lanz unlängst noch attestiert hatte, dass es immer Spaß mache, in dessen Sendung zu kommen, lieferte sich bissige Wortduelle mit dem Moderator und nannte ihn den "Beichtbruder der deutschen TV-Nation".
Dass der CSU-Chef rhetorisch austeilte, lag auch daran, dass er sich in der Runde gegen schwere Vorwürfe wehren musste – gerade wegen der hohen Abhängigkeit seines Landes von russischen Rohstoffen. Wiederholte Hinweise auf ein Nord-Süd-Gefälle beim Ausbau der erneuerbaren Energien konterte Söder etwa mit Zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Länderfinanzausgleichs, zu dem Bayern besonders viel beiträgt.
Die Gäste
- Markus Söder (CSU), bayerischer Ministerpräsident
- Mariam Lau, "Zeit"-Journalistin
- Cordula Tutt, "Wirtschaftswoche"-Redakteurin
- Christian Mölling, Sicherheits- und Verteidigungsexperte
Die Reaktionen Polens und seiner westlichen Partner auf den vermutlich versehentlichen Raketeneinschlag im polnischen Przewodów, der zwei Opfer gefordert hatte, bezeichnete Söder als "umsichtig" und als "sehr gutes Beispiel" für das Funktionieren der Nato.
Die Befürchtung, das Geschoss könnte gezielt von Russland auf polnisches Territorium abgefeuert worden sein, hatte die Nato-Staaten in Alarmbereitschaft versetzt. Schon seit Beginn des Ukrainekrieges ist die Sorge groß, dass durch eine Attacke oder einen Unfall der sogenannte Bündnisfall ausgelöst werden könnte.
Militärforscher geht von ukrainischer Luftabwehrrakete aus
Sein erster Gedanke sei gewesen, dass Russland möglicherweise die roten Linien und die Reaktionsfähigkeit der Nato zu testen versuche, berichtete Christian Mölling. Man könne allerdings relativ sicher sein, dass es sich um eine ukrainische Luftabwehrrakete gehandelt habe. "Die politische Brisanz ist aber jetzt raus, das ist glaube ich das ganz Wichtige", stellte der Militärforscher mit einer gewissen Beruhigung zusätzlich fest.
Er attestierte den Nato-Staaten, richtig mit ihrer Verantwortung umgegangen zu sein. Umso härter ging Mölling mit den gegenwärtigen russischen Angriffen auf die ukrainische Zivilbevölkerung ins Gericht. Es gehe Russland darum, "Rache für Cherson" zu üben, "der Weltgemeinschaft den erhobenen Mittelfinger" für die Demütigung zu zeigen, die man beim G20-Gipfel auf Bali erfahren habe, und "die verfügbaren Ressourcen und die Kraft der Ukrainer aufzubrauchen".
Vor diesem Hintergrund sei es mehr als zynisch gewesen, von den Ukrainern zu fordern, in Verhandlungen einzutreten, wie es hierzulande regelmäßig geschehe. Gerade die Befreiung der Menschen in Cherson zeige schließlich, dass es "auch von Erfolg gekrönt ist, wenn man weiterkämpft", urteilte der Wissenschaftler der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Söder gelobt Besserung in Energiepolitik
Söder hatte ähnliche Äußerungen einzelner deutscher Intellektueller, die den Ukrainern zum Aufgeben rieten, als "unglaublich" kritisiert. Sein eigener Respekt für den tapferen Kampf der Ukrainer nehme Monat für Monat zu und er hoffe sehr, dass die Bereitschaft zur Unterstützung auch in Deutschland weiter hoch bleibe, sagte der CSU-Politiker.
Gleichzeitig musste er sich bei seinem TV-Auftritt dafür verantworten, dass gerade Bayern lange Zeit ein großer Profiteur und dankbarer Abnehmer von billigem russischem Öl und Gas war. Als wichtiger Industriestandort habe man nach dem Ausstieg aus der Kernenergie das Gas als einzig verfügbaren und preislich möglichen Ersatz angesehen, gestand der bayerische Ministerpräsident ein und gelobte Besserung.
Deutsches Wirtschaftsmodell in Gefahr
Das hielt die Journalistin Cordula Tutt freilich nicht davon ab, den Finger noch einmal in die christsoziale Wunde zu legen. "Bayern ist nicht gut aufgestellt, weil Sie zu oft Nein gesagt haben und zu wenig gemacht haben", stellte die "Wirtschaftswoche"-Redakteurin fest. Auch für die ökonomischen Folgen dieser Blockadehaltung fand sie klare Worte. "Wir haben jetzt eine Industrie, die auf einmal merkt: Wenn wir nicht sofort erneuerbare Energie haben, könnte uns der Preis weglaufen, könnte uns die Energiesicherheit kaputtgehen und unter Umständen auch Abwanderung drohen", so Tutt.
Mariam Lau blickte über die Grenzen Bayerns hinaus und sah angesichts der Politik der vergangenen Jahrzehnte das gesamte deutsche Wirtschaftsmodell "in die Binsen" gehen. Man habe vieles einfach ausgelagert: "An die Amerikaner unsere Sicherheit, an die Russen die Energieversorgung, an die Chinesen das Wachstum."
Die "Zeit"-Journalistin warf in diesem Zusammenhang den Unionsparteien vor, die Fehler der Merkel-Ära nicht ausreichend aufgearbeitet zu haben. Speziell die CSU komme ihr "extrem umfragetrieben" vor, bemängelte Lau.
Die gegen ihn und seine Partei vorgebrachten Vorwürfe wollte der CSU-Chef keineswegs auf sich sitzen lassen. So rechtfertigte Söder etwa sein Umdenken bei der Atomkraft. Während er sich früher deutlich gegen das Festhalten an dieser Energieform ausgesprochen hatte, befürwortete der 55-Jährige bei "Markus Lanz" eine Verschiebung des Atomausstiegs "auf jeden Fall bis Ende 2024". "Ich würde jetzt auch neue Brennstäbe kaufen", setzte Söder hinzu. Schließlich könne man nicht wissen, wie lang der Krieg noch dauere.
Daneben brachte der bayerische Ministerpräsident Fracking ins Spiel. Das ist bei vielen Grünen und Klimaprotestlern ähnlich unbeliebt wie die Atomkraft. Weil das offensichtlich noch nicht reichte, stichelte Söder auch weiter gegen beide Gruppen. Die Haltung des grünen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck in der Weiterbetriebsfrage der deutschen Atomkraftwerke bezeichnete er als "Tiki-Taka". Der "Letzten Generation" bescheinigte der CSU-Politiker wiederum, ihrem Anliegen mehr zu schaden als zu nutzen, und argumentierte für die Beibehaltung der Präventivhaft, die in seinem Bundesland gegen die Aktivisten verhängt wird, sofern diese weitere Straftaten ankündigen.
- zdf.de: "Markus Lanz" vom 17. November 2022