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Cannabis-Legalisierung | Karl Lauterbach (SPD) ist unter Druck


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Dealer lachen über Lauterbach-Pläne
"Keine Ahnung, wie das Geschäft läuft"


Aktualisiert am 20.10.2022Lesedauer: 6 Min.
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Gesundheitsminister Lauterbach: Er soll Cannabis legalisieren, dabei war er früher gegen diesen Schritt. (Quelle: IMAGO/Christian Marquardt)
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Erste Punkte für die Cannabis-Legalisierung sind publik. Kann das den Schwarzmarkt trocken legen? Auch Dealer zweifeln daran. Lauterbach ist unter Druck.

Es ist Abend, in vielen Büros in Berlin-Mitte gehen gerade die Lichter aus. Für Thomas Hille, der in Wirklichkeit anders heißt, beginnt nun die Hauptgeschäftszeit. Im Minutentakt klingelt sein Handy, über den Kiez verteilt warten seine Kunden an vereinbarten Treffpunkten.

Im Hauseingang in einer Nebenstraße steht eine Frau, vielleicht 30 oder 40 Jahre alt, in Jeans und Parka. Die beiden nicken sich zu, begrüßen sich, laufen ein paar Schritte. Ein kurzer Handschlag: Geld wird ihm von ihr überreicht. Hille gibt ihr einen Beutel.

50 Euro für fünf Gramm

50 Euro für rund fünf Gramm Gras haben gerade den Besitzer gewechselt. Ein Geschäft in Minuten, wie es allein in der Hauptstadt täglich tausendfach abläuft. Nur ist es kein Geschäft wie jedes andere: Werden die beiden erwischt, drohen ihnen empfindliche Strafen. Je nach Cannabis-Menge sind mehrere Jahre Haft für Dealer wie Käufer möglich.

Deswegen die Nebenstraße, deswegen nennt hier niemand seinen wahren Namen. Nie war es in Deutschland anders.

Die Ampelregierung will das ändern, sie hat in ihrem Koalitionsvertrag nicht weniger als die drogenpolitische Revolution versprochen. "Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein", das ist der Hauptsatz dazu. Und dieser Satz kann viel bedeuten: ein Ende der Heimlichkeit für Konsumenten, ein Ende für Hunderttausende Strafprozesse in überarbeiteten Behörden, ein Ende – so hofft die Ampel – für Thomas Hilles Geschäft und einen Schwarzmarkt, der dem organisierten Verbrechen Milliarden bringt.

Hilles größter Konkurrent heißt seitdem Karl Lauterbach (SPD). Der Gesundheitsminister ist federführend für die Cannabis-Legalisierung zuständig, sechs andere Ministerien arbeiten daran mit. Schon das zeigt, wie kompliziert Lauterbachs Aufgabe ist.

Das Hauptspannungsfeld: Das Gesetz darf nicht zu lax sein, Deutschland soll nicht zum Paradies für Drogentouristen werden. Es darf aber auch nicht zu restriktiv ausfallen, sonst verbleiben viele Kunden auf dem Schwarzmarkt. So oder so wäre es ein Scheitern für die Ampel.

"Dann habe ich noch viele Kunden"

Der Druck auf Lauterbach ist groß. Am Mittwoch wurde ein Papier publik, nicht mehr als ein Entwurf für Eckpunkte, ein bisher unabgestimmter Vorschlag aus der noch laufenden Arbeit der Ministerin. Der aber schlug in der Presse und den sozialen Medien ein wie eine Bombe. Denn er zeigt zum ersten Mal klarer, wie sich die Ampel die Legalisierung überhaupt vorstellt.

Geht es nach dem Entwurf aus den Ministerien, über den das "Redaktionsnetzwerk Deutschland" zuerst berichtete, soll das Graskaufen für Personen über 18 Jahre in Zukunft legal sein – bis zu einer Grenze von 20 Gramm. Die Verkäufer benötigen Lizenzen, ihre Ware muss in Deutschland angebaut worden sein. Ihr Cannabis darf nur 15 Prozent des berauschenden Wirkstoffs THC enthalten, beim Verkauf an Personen zwischen 18 und 21 Jahren höchstens zehn. Bis zu zwei Pflanzen sollen zu Hause selbst angepflanzt werden können.

Große Kritik: Obergrenzen für THC und Besitz

Muss Thomas Hille nun um seinen Job fürchten? Hille lacht: "Wenn sie es so machen, dann habe ich noch viele Kunden", sagt er. "Das klingt so, als ob da nur Leute sitzen, die noch nie gekifft haben. Die haben keine Ahnung, wie das Geschäft läuft."

Hille hält die Obergrenze von 20 Gramm für zu niedrig – besonders für jene, die zu Hause selbst anbauen. Er schmunzelt aber zuallererst über die THC-Grenzen. 23 bis 27 Prozent THC habe das Gras, das er verkauft. Für weniger, glaubt er, werden viele erfahrene Kiffer nicht von der Straße in Geschäfte wechseln.

Und der Schwarzmarkt finde ohnehin seinen Weg in den legalen Sektor. "Deutschland ist ein Geldwäsche-Paradies. Niemand kontrolliert hier irgendwas", sagt Hille. Wer wolle Menschen mit Lizenzen schon davon abhalten, nebenher Tüten schwarz unter dem Tresen zu verkaufen, auf die eben keine Steuern gezahlt wird?

Auch in den Parteien ist die Kritik an Lauterbachs Entwurf groß. Vor allem die fachpolitischen Sprecher protestierten nach dem Bekanntwerden des Entwurfs – besonders laut kam dieser Protest aus den Ampelparteien, von Lauterbachs Partnern.

FDP wünscht sich mehr Freiheit, Eigenanbau – und Onlinehandel

Einige Stunden bevor Thomas Hille zu seiner abendlichen Tour aufbricht, steht Kristine Lütke vor dem Reichstag. Die Sonne scheint, einige Touristen machen Selfies. Doch Lütke ist wütend. Die 40-Jährige ist die drogenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, schon am Morgen hat sie getwittert: "Eckpunktepapier Cannabis-Legalisierung aus dem Gesundheitsministerium ist unnötig restriktiv!" Sie würde gern das Papier mitschreiben, stattdessen wurde sie vom Vorschlag aus dem Ministerium von Lauterbach überrumpelt.

Lütke zieht ihren blauen Mantel enger und geht ein paar Meter an der Spree entlang. Eine "erste Diskussionsgrundlage" nennt sie den Vorstoß aus dem Gesundheitsministerium und bleibt dann gleich wieder stehen. Sie stört vor allem eines: "Eine THC-Obergrenze befeuert den Schwarzmarkt“, sagt Lütke und atmet tief ein, "denn dort erhalten Konsumentinnen und Konsumenten schon heute verunreinigtes und gesundheitsschädliches Cannabis mit deutlich höherem THC-Gehalt. Das wird sich der Dealer ums Eck zunutze machen und sich darauf konzentrieren." Der Dealer um die Ecke, das könnte Thomas Hille sein — und das will Lütke verhindern.

Aus Sicht der FDP, der Grünen, ja, sogar aus Sicht vieler SPD-Politiker im Bundestag, muss der Entwurf an etlichen Stellen anders aussehen, um den Schwarzmarkt wirklich trocken zu legen. Weniger restriktiv. Etwa 30 Gramm pro Verkauf sollten erlaubt sein, auch mehr als zwei Pflanzen zu Hause gezogen werden dürfen, so lauten nur einige Vorschläge.

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Kristine Lütke ist von ihrem kurzen Spaziergang an der Spree fast zurück am Reichstag. Die FDP will in der Legalisierung weit gehen und den Einkauf besonders bequem machen. "Aus liberaler Sicht muss auch Onlinehandel ermöglicht und Eigenanbau mit fünf Pflanzen erlaubt werden“, sagt Lütke – und diese Punkte sind aus ihrer Sicht eigentlich nicht verhandelbar.

Lauterbach will "Morbus Scheuer" verhindern

Karl Lauterbach kennt die Kritik, Anfragen von Kollegen und der Presse fluten seit Mittwochmorgen sein Büro. Die Legalisierung ist ein Reizthema, viele Redaktionen interessiert sie mehr als das Pflege- oder Krankenhausreformgesetz. Bei der Bundespressekonferenz hat Lauterbachs Pressestelle noch dicht gemacht, am Mittag äußert sich der Minister dann selbst bei einem Termin mit Journalisten.

Man arbeite mit insgesamt sieben Ministerien an einer "großen Lösung", sagt Lauterbach. Das Hauptziel dabei aus Sicht des Gesundheitsministers: die "medizinischen Folgen des Missbrauchs von Cannabis" zu beherrschen. "Wir wollen den Handel sicherer und kontrollierbar machen, insbesondere auch den Jugend- und Kinderschutz verbessern", sagt Lauterbach. Deswegen liege die Federführung auch bei seinem Ministerium – und nicht etwa bei Finanzen oder Wirtschaft.

Es gebe noch erheblichen Klärungsbedarf bei dem Thema, der Entwurf für das Eckpunkte-Papier sei noch nicht ausgereift, betont Lauterbach. Immer im Blick müsse man aber die Rechtsprechung aus Brüssel haben, die EU sei streng in der Drogenpolitik. "Die Lücke, durch die wir gehen wollen, ist schlank", sagt Lauterbach. Es gelte, einen "Morbus Scheuer" zu vermeiden, sagt er trocken.

Lauterbach spielt damit an auf das Mautgesetz des ehemaligen Verkehrsministers Andreas Scheuer, das im Gesetzgebungsprozess Millionen verschlungen hat – und am Ende an EU-Recht scheiterte. Ein politisches Desaster, zu dem noch heute Gerichtsprozesse laufen. Lauterbach will einen solchen Fehler unbedingt vermeiden.

"Wir sind schlauer, schon immer"

Der Wunsch vieler Drogenpolitiker, Lobbyisten und Konsumenten, Cannabis weitgehend mit Alkohol gleichzustellen, wird nicht in Erfüllung gehen – das zeigt sich schon jetzt. Auch der Onlinehandel, wie ihn die FDP sich wünscht, wird im Bundesgesundheitsministerium kritisch gesehen.

Damit stehen der Koalition harte Diskussionen bevor. Einen neuen Entwurf verspricht Lauterbach auf jeden Fall – und Änderungen sind sehr wahrscheinlich. Für seine Kritiker ist das ein Hoffnungsschimmer, immerhin.

Auch Thomas Hille wartet auf den nächsten Entwurf. Eigentlich würde er nach der Legalisierung gerne wechseln, von der Straße in ein lizenziertes Geschäft, hinein in die Legalität. Doch er ist vorbestraft, ein Jahr lang hat er wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz bereits in Haft verbracht. "Vorbestraften werden die das nicht erlauben, niemals."

Vom Dealen wird er sich daher wohl in keinem Fall verabschieden. Das Gesetz werde schon genug Lücken lassen, der Schwarzmarkt bleiben, glaubt Hille. Natürlich könne man Pech haben, mal erwischt werden. Das aber sei selten. Hille ist sich sicher: "Wir sind schlauer, schon immer."

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