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AKW-Streit: Die Ampel-Koalition bröckelt – und könnte an diesen Projekten zerbrechen


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Machtwort des Kanzlers
Ein schlechtes Zeichen


Aktualisiert am 18.10.2022Lesedauer: 7 Min.
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Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne, li.) und Finanzminister Christian Lindner (FDP, re.): Mit einem Machtwort legte Olaf Scholz (SPD) ihren Streit bei. (Quelle: Markus Schreiber/AP/dpa)
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Der Kanzler greift im AKW-Streit durch. Doch das Bündnis bröckelt – und schon jetzt zeichnen sich neue Streitpunkte ab.

Es ist ein Machtwort in schönstem Bürokratendeutsch. "Ich habe als Bundeskanzler entsprechend Paragraph 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung die nachfolgende Entscheidung getroffen" – so beginnt das Schreiben, das das Kanzleramt am Montagabend verschickte und kurz danach an die Presse gab. Dann folgt die Ankündigung, dass die gesetzliche Grundlage geschaffen wird, um den Betrieb der Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland "über den 31.12.2022 hinaus bis längstens zum 15.4.2023 zu ermöglichen". Mit freundlichen Grüßen.

Die Adressaten des Schreibens: Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Überrascht wurden sie vom Inhalt des Schreibens nicht. Am Sonntag war ein geheimes Treffen von Scholz, Habeck und Lindner im Kanzleramt ohne Lösung zu Ende gegangen. Damit zeichnete sich ab, dass es nur noch einen Ausweg aus dem festgefahrenen Streit um den Weiterbetrieb der AKW gab: ein Machtwort des Kanzlers.

Doch was bedeutet der Basta-Auftritt von Scholz für die Zukunft der Koalition? Können die drei zerstrittenen Partner überhaupt noch miteinander regieren? Und wenn man sich jetzt zusammenrauft – an welchen Punkten droht das nächste Auseinanderbrechen?

Auf den ersten Blick wirkt das Eingreifen des Kanzlers wie ein Schritt, von dem alle profitieren: die SPD, weil Scholz endlich einmal Führung zeigt. Die FDP, weil sie sich mit ihrem Ziel durchsetzen konnte, dass alle drei noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke weiterlaufen – die verkürzte Laufzeit scheint da verschmerzbar. Die Grünen, weil ihnen das Machtwort die Möglichkeit gibt, gesichtswahrend dem begrenzten Weiterbetrieb zuzustimmen, gegen den sie sich ausgesprochen hatten, der aber von einer Mehrheit der Bevölkerung gewünscht wird.

Wie ein Haarriss in einem Atomreaktor

Doch auf den zweiten Blick wirkt das Machtwort wie ein Haarriss in einem Atomreaktor: ein feiner Schaden an der Oberfläche, der erstmal nicht dramatisch aussieht. Wird jedoch nichts gegen ihn getan, kann er sehr gefährlich werden. Zumal die Geschichte zeigt: Wer sich auf die Richtlinienkompetenz des Kanzlers berufen muss, ist bereits auf einer hohen Eskalationsstufe angekommen.

16 Jahre lang regierte Merkel durch mehrere Krisen hindurch und wendete das Kanzlerprinzip kein einziges Mal an. Üblicherweise reicht ein deutliches Drohen damit, um die Koalitionspartner wieder auf Linie oder zu einem Kompromiss zu bringen, so war es auch bei Merkel und der störrischen CSU in der Flüchtlingsfrage. Dass Scholz nach nicht einmal einem Jahr im Amt nun davon Gebrauch machen muss, ist ein schlechtes Zeichen.

Der Unmut bei den Grünen ist groß

Zwar zeigt sich Robert Habeck einsichtig und verständnisvoll, doch das gilt nicht für seine Partei. Für die Grünen gehört das Festhalten am Atomausstieg schließlich zu ihrer DNA. Reagierten die Spitzen von Partei und Fraktion noch moderat, schimpft die Grüne Jugend über die "Basta-Politik" des Kanzlers. Besonders im linken Flügel der Fraktion ist der Unmut groß: "Die Entscheidung ist fachlich nicht gerechtfertigt, sie ist nicht durch den Stresstest gedeckt, sie ist politisch außerordentlich fragwürdig", sagte auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin, Vorkämpfer der Anti-AKW-Bewegung in der Fraktion, dem ZDF. "Das wird, glaube ich, noch eine ganz schwierige Operation."

Eine Sondersitzung der Grünen-Fraktion am Montagabend verlief wie von Trittin prognostiziert: schwierig. Realos und Linke rangen miteinander, der Unmut gegen den Kanzler war groß. Am Ende entschied die Fraktion laut "Frankfurter Allgemeiner Zeitung", dass sie das verkürzte parlamentarische Verfahren, das eigentlich geplant war, nicht unterstützt. Die Gesetzesänderung muss deswegen zunächst dem Bundesrat zugeschickt werden, der Bundestag kann erst im nächsten Monat entscheiden. Für die AKW-Betreiber wie die Koalition bleibt so ein Risiko: Sie müssen den Weiterbetrieb bereits vorbereiten – obwohl sie sich nicht sicher sein können, dass der Bundestag ihm zustimmt.

Und während diese Krise noch nicht bewältigt ist, zeichnen sich am Horizont bereits weitere Probleme ab. An ihnen könnte sich die Koalition bis zur Manövrierunfähigkeit verhaken, wenn die Parteien nicht pragmatisch, sondern starrsinnig an ihren Glaubenssätzen festhalten. Schon jetzt zeichnet sich ab: Dieser Winter wird so nicht bloß zum Stresstest für das Land, sondern zuallererst für die Ampelregierung werden.

Die strittigsten Punkte und größten Baustellen, die sich schon jetzt abzeichnen:

Der finale Atomausstieg: Grüne versus FDP

Deutschlands Energieprobleme werden über den Winter nicht gelöst. Der bereits jetzt nur mit einem Machtwort des Kanzlers geschlichtete Konflikt um die letzten deutschen Kernkraftwerke dürfte deswegen spätestens im Frühjahr erneut aufbrechen – schließlich wollte die FDP in der eskalierten Diskussion nicht nur, dass die AKW bis Mitte April 2023 weiterlaufen, sondern bis 2024. Dasselbe fordert die CDU in der Opposition.

Dafür müssen die Kernkraftwerke aber mit neuen Brennstäben aufgeladen werden – und das ist ein absolutes No-Go für die Grünen. Schon jetzt betont die Partei die für ihre Mitglieder wichtigste positive Nachricht aus der Kanzlerentscheidung am Montagabend: Immerhin sei das Ende der Laufzeit für die AKW Mitte April 2023 nun festgeschrieben.

"Jetzt herrscht Klarheit: Es bleibt beim Atomausstieg", twitterte Umweltministerin Steffi Lemke. Und Grünen-Chefin Ricarda Lang betonte: "Klar ist damit, dass keine neuen Brennstäbe beschafft werden und alle deutschen Atomkraftwerke spätestens zum 15. April 2023 endgültig vom Netz gehen."

Schon jetzt ziehen die Grünen also eine neue rote Linie: Auf keinen Fall dürfen die AKW länger als April 2023 laufen, auf keinen Fall dürfen sie neu aufgeladen werden. Ob sich das halten lässt, wird maßgeblich vom Druck abhängen, der durch die Versorgungssicherheit entsteht – und vom Druck, den die FDP macht.

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Die Liberalen bereiten den Koalitionspartner allerdings bereits jetzt auf weitere Diskussionen zu den Atomkraftwerken vor: "Ich gehe davon aus, dass wir Anfang kommenden Jahres wieder über die Zukunft der Energieversorgung über den 15. April hinaus sprechen werden", sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki dem "Spiegel" am Dienstagmittag. Er blicke den Diskussionen gelassen entgegen, weil Scholz’ Machtwort gezeigt habe, dass man die energiepolitischen Fragen im Kanzleramt "sehr umsichtig und pragmatisch" behandele.

Die FDP wähnt die SPD nach dem Eingreifen des Kanzlers also bereits auf ihrer Seite und macht nicht einmal 24 Stunden später erneut Druck. Die Grünen dürften toben.

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Fracking: FDP versus Grüne und SPD

Die wichtigste Aufgabe der Ampelregierung ist derzeit, Deutschland so krisenresistent und unabhängig wie möglich in der Energieversorgung zu machen. Neben der AKW-Diskussion rückt deswegen im öffentlichen Diskurs zunehmend eine bisher verpönte Methode der Energiegewinnung in den Fokus: Fracking.

Beim Fracking wird mehrere Kilometer tief in die Erde gebohrt, um Gas oder Öl mit Hilfe von Druck und Chemikalien aus tiefliegenden Gesteinsschichten zu lösen. Die USA entwickelten sich mit dieser unkonventionellen Methode in den vergangenen Jahren zu einem der größten Erdgaslieferanten weltweit.

Der größte Vorteil der Methode: Deutschland würde so eigene Rohstoffreserven anzapfen, ganz unabhängig von anderen Ländern. Der Nachteil: Fracking gilt als extrem umweltschädlich. Erstens kommen bei der Methode Chemikalien zum Einsatz, die Kritikern zufolge eine Belastung für das Grundwasser darstellen. Zweitens erhöht sich durch die Bohrmethode die Erdbebengefahr in der Region.

In Deutschland ist die Ausbeutung von Gasvorkommen in Schiefer- und Kohleflözschichten wegen ihrer Gefahren für die Umwelt seit 2017 eigentlich verboten. In der Energiekrise hat die FDP das Thema aber bereits ins Spiel gebracht und das Verbot infrage gestellt. Torsten Herbst, Parlamentarischer Geschäftsführer der Liberalen, argumentierte im Juni mit verbesserten modernen Sicherheitsstandards, die Umweltschäden vermieden. Wer Frackinggas aus den USA importiere, könne nicht gegen eine sichere Frackingförderung in Deutschland sein, so Herbst.

Der Vorstoß traf allerdings nicht nur bei den Grünen auf Gegenwehr. "Es bringt nichts, wenn wir jetzt Technologien der Vergangenheit wieder ins Spiel bringen", sagte SPD-Chef Lars Klingbeil. Diese Forderungen würden "keine Unterstützung in der Sozialdemokratie finden".

Beendet sein wird die Diskussion damit noch nicht, sondern dürfte nach den Landtagswahlen in Niedersachsen auf Bundesebene nun erneut hochkochen.

Corona-Politik: FDP versus SPD

Auch bei den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie gibt es Konfliktpotenzial. Denn allen Lockerungen zum Trotz ist sie noch nicht vorüber. Einen Vorgeschmack gab das Oktoberfest: Dort feierte man ganz ohne Beschränkungen – die Inzidenz in der Region stieg danach auf 1.500, Kliniken berichten von Problemen. Da Krankenhäuser wegen Personalmangels vielerorts ohnehin auf Notbetrieb laufen, ist die Lage nach wie vor angespannt.

Die Bundesregierung hat zwar einen Instrumentenkasten für die Bundesländer vorbereitet, der unter anderem eine Maskenpflicht in Innenräumen vorsieht. Doch bisher hat noch kein Land diese Option gezogen. Ein hartes politisches Durchgreifen vom Bund könnte – wie in den vergangenen Jahren immer wieder – notwendig werden, wenn Landesregierungen zu lange zögern.

Eine einheitliche Linie zu finden, dürfte in der Ampelregierung aber schwer bis unmöglich sein. Die FDP hat sich gerade in den letzten Monaten einen Namen als "Freiheitspartei" auch in der Corona-Politik gemacht, führende Politiker wie Wolfgang Kubicki dürften den Aufstand proben.

Schuldenbremse: FDP versus SPD und Grüne

Christian Lindner will um jeden Preis im kommenden Jahr an der Schuldenbremse festhalten, so wie es im Bundeshaushalt auch vereinbart wurde. Doch in der SPD und bei den Grünen sind viele der Ansicht, dass sie weiter ausgesetzt werden müsste, um die Bürger noch stärker in der Krise entlasten zu können. Für die FDP ist die Schuldenbremse aber inzwischen zu einem ähnlichen Identitätsmerkmal geworden wie der Ausstieg aus der Atomkraft für die Grünen.

Und so erweist sich das Machtwort des Kanzlers am Ende als riskanter Schritt. Ein Auseinanderbrechen der Koalition ist zwar unwahrscheinlich: Zu groß wäre die Gefahr, bei der Bevölkerung den Eindruck zu hinterlassen, in einer der größten Krisen der bundesrepublikanischen Geschichte versagt zu haben – und dies bei anschließenden Wahlen bitter zu bezahlen. Doch die Alternative ist wenig verlockend: Vier weitere Jahre ein ständiges Gezerre und Gestreite würden die drei Parteien zermürben.

Zumal die Bevölkerung die Empfindlichkeiten der Ampelkoalitionäre herzlich wenig interessiert, sondern einzig, ob sie gut durch die Krise und den Winter kommt. Die Streithähne wären gut beraten, wenn sie das Machtwort des Kanzlers als Weckruf verstünden, zu einem Modus Vivendi, einer Verständigung, zurückzufinden, um kontroverse Fragen vor ihrer Eskalation zu lösen. Das Format dafür muss nicht erfunden werden, es steht bereits im Koalitionsvertrag: ein regelmäßig und auch anlasslos tagender Koalitionsausschuss.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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