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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Heikles Thema bei Kanzler-Auftritt Und dann wird er doch giftig
Olaf Scholz will bei seinem großen Auftritt in Berlin die Deutschen beruhigen – doch dann wird er selbst etwas unwirsch.
Der Kanzler hatte Zeit mitgebracht – und eine Botschaft, die auf keinen Fall untergehen sollte. 105 Minuten lang stellte sich Olaf Scholz den Fragen der Hauptstadtjournalisten. Es war seine erste Sommerpressekonferenz. Ein Termin, den seine Vorgängerin Angela Merkel zur Tradition gemacht hatte.
Und der SPD-Mann ließ sich auch bei seiner Botschaft von seiner CDU-Amtsvorgängerin inspirieren. Wurde er zur Energiekrise gefragt, zu den schmerzhaft gestiegenen Preisen oder zu einem drohenden Winter der wütenden Bürgerproteste, lautete seine Antwort sinngemäß: Wir schaffen das.
Natürlich sagte er den Satz so nicht wortwörtlich. Stattdessen wiederholte er gleich dreimal sein Mantra, das er im Juli bei einem eilig einberufenen Auftritt zur Gaskrise erstmals hervorgeholt hatte und mit dem der Kanzler sein Volk beruhigen will: "You’ll never walk alone".
Er wählte also etwas mehr Internationalität und Fußball (FC Liverpool), aber seine Botschaft transportiert letztlich dasselbe wie der berühmte Merkel-Satz aus den Zeiten der Flüchtlingskrise. Scholz drückte es so aus: "Die Bürgerinnen und Bürger können sich darauf verlassen, dass wir sie nicht alleine lassen werden."
Er agiert betont entspannt – zunächst
Scholz' Variation von Wir-schaffen-das lautet also: Wir-lassen-euch-schon-nicht-im-Stich.
Betont entspannt absolvierte Scholz seinen mit Spannung erwarteten Auftritt. Und das in Zeiten, in denen die Auswege aus dem Ukraine-Krieg und der Inflation unklar sind. Die Suche danach sorgt ebenso wie die Atomkraft-Frage oder die Corona-Politik in seiner Ampelregierung für erheblichen Streit.
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Er kam ohne Krawatte, gestikulierte ab und an ein bisschen, was die Fotografen freute, und gab freundliche, aber bestimmte Antworten. Soziale Unruhen wegen der Energie- und Inflationskrise, wie sie zuletzt etwa Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) befürchtete, sehe er nicht, betonte der Kanzler. Ohne den Namen Wladimir Putins auszusprechen, sagte er: "Das entscheidet ja jemand anders, wie das mit der Energieversorgung ist – aber wir werden uns unterhaken."
So kündigte Scholz ein neues Entlastungspaket an, ohne freilich zu sagen, wann es kommt oder was darin enthalten sein müsste. Denn dies sind ja die Fragen, bei denen die Koalition zum Ende der Sommerpause noch weit von einer Einigung entfernt ist. Nur so viel: "Wir lassen niemanden alleine."
Kein Reiseverbot für russische Bürger
Im Ukraine-Krieg will Scholz Kurs halten und keine neuen Maßnahmen ergreifen. Während andere europäische Länder wie Finnland überlegen, russischen Staatsbürgern keine Visa mehr zu erteilen, lehnt Scholz eine solche Ausweitung der Sanktionen ab. "Es ist Putins Krieg und deshalb tue ich mich mit diesem Gedanken sehr schwer", sagte er dazu.
Die Rolle eines souveränen Regierungschefs hielt Scholz über weite Strecken seines Auftritts durch – doch er gab sie auf, als es um ein bestimmtes Thema ging, das an verschiedenen Stellen der Befragung aufkam: seine Rolle als damaliger Hamburger Bürgermeister in einer Affäre um die Hamburger Bank Warburg und ihren millionenschweren Steuerbetrug durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte.
Die 200.000-Euro-Frage
Die Affäre schwelt seit Jahren und seit langer Zeit sind Scholz und sein Umfeld genervt von Fragen danach. Doch nun ist wieder Bewegung in die Sache geraten. Zum einen wurden bei der Durchsuchung eines Bankschließfachs des Hamburger SPD-Politikers Johannes Kahrs, der in der Affäre eine wichtige Rolle spielt, etwa 200.000 Euro in bar gefunden. Zum anderen muss Scholz selbst kommende Woche dem Untersuchungsausschuss in der Hansestadt Rede und Antwort stehen.
Die Generalprobe vor der Hauptstadtpresse geriet holprig. Auf die Frage, was er über den Bargeldfund in einem Schließfach von Kahrs wisse, lautete Scholz' vollständige Antwort: "Nichts". Nächste Frage bitte.
So ging es immer wieder hin und her. Scholz' Mantra in dieser Affäre lautet: Seit zweieinhalb Jahren wurde doch alles untersucht und es gebe keine Indizien, dass er und sein damaliger Hamburger Senat Einfluss auf die Sache genommen habe. Alles sei gesagt, sagte der Kanzler.
Ein seltsamer Moment
Hier zeigte sich, dass Scholz zwar zunehmend souverän die Rolle als Krisenkanzler ausfüllt – schließlich amtiert er seit Dezember permanent in einem Umfeld schwerer internationaler Krisen vom Ukraine-Krieg bis zur Rekordinflation und hat dementsprechend Übung. Doch sobald es um seine eigene Rolle in der Cum-Ex-Affäre geht, die ihn nun erstmals wieder als Kanzler einholt, wirkt er ein bis zwei Stufen weniger souverän.
Und so kam es dann im Saal der Bundespressekonferenz zu einem seltsamen Moment. Als ein niederländischer Journalist Scholz in einer Frage auf die "Tatsache" verwies, nach dessen Treffen mit dem Warburg-Chef habe die Bank die hinterzogenen Steuern nicht zurückzahlen müssen, reagierte der Bundeskanzler unwirsch. Er warnte den Fragesteller: "Sie könnten diese Tatsachenbehauptung nicht erhärten, wenn Sie es müssten. Bedenken Sie das, wenn Sie so etwas sagen!“
War das eine verhohlene Drohung mit einer Klage? Auch wenn Scholz die Bemerkung ausdrücklich damit einleitete, er sei nicht jemand, der zu solchen Schritten greife, hallte dieser Moment nach.
Er stand bis zuletzt im Raum, als der Bundeskanzler wieder eine ganz genehme Frage bekam: Ob er angesichts der zahlreichen Krisen nicht auch Merkel vermisse, wurde Scholz gefragt. Diese Antwort wiederum fiel ihm leicht.
"Ich telefoniere gern mit ihr, aber ich bin jetzt auch gern Bundeskanzler." Wie groß diese Lust am Job während des Rituals der Sommerpressekonferenz und insbesondere bei Fragen zum Komplex Warburg-Bank ausfällt, behielt der Kanzler allerdings für sich.
- Eigene Beobachtungen vor Ort