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Neue Außenpolitik: Das Baerbock-Experiment


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Neue Außenpolitik
Das Baerbock-Experiment

Von Fabian Reinbold, Palau

10.07.2022Lesedauer: 5 Min.
Annalena Baerbock am Strand in Palau: "Eklatante Ungerechtigkeit."Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock am Strand in Palau: "Eklatante Ungerechtigkeit." (Quelle: Britta Pedersen/dpa)
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Die Außenministerin erklärt in paradiesischer Umgebung ihr wohl größtes Projekt: die Verknüpfung von Klima- und Geopolitik. Damit will sie nebenbei sogar Russland einhegen.

Ist das womöglich die seltsamste Rede, die Annalena Baerbock in ihren sieben Monaten als Bundesaußenministerin gehalten hat? Es beginnt schon beim Publikum, das aus der Dorfgemeinschaft des Örtchens Melekeok besteht. Es ist auf Plastikstühlen auf dem überdachten Dorfplatz versammelt.

Und weil sich im ganzen Inselstaat Palau kein Simultan-Dolmetscher auftreiben ließ, spricht die Deutsche zu den Palauern eben auf Englisch.

Dutzende Portionen Fisch und Hühnchen (und für die Gäste aus Deutschland auch Vegetarisches) werden aufgetischt, müssen aber warten, bis die deutsche Außenministerin gesprochen hat. Baerbock tritt ans Pult, wo schon das Manuskript jener Ansprache liegt, die in den Tagen zuvor mal als Grundsatzrede und mal ausdrücklich nicht als Grundsatzrede angekündigt worden war.

Die Grünen-Politikerin macht auf ihrer Asien-Reise am Samstag für rund 20 Stunden einen Zwischenstopp auf der Inselgruppe Palau im Westpazifik. Einem Ort, den man in unserer europäischen Welt gemeinhin als Paradies bezeichnet. Baerbock benutzt dieses Wort vor Ort selbst mehrfach. Sie beginnt hier – weit, weit weg von Berlin – ein Experiment, das ihre Politik bestimmen soll. Und wird deshalb doch sehr grundsätzlich.

In zehn Jahren ist die Hälfte verschwunden

Am Morgen hatte sie einen Ausflug zu einer der nahen Felseninseln gemacht, schlich barfuß durch die tropische Idylle aus sattgrünem Regenwald, weißem Sand und türkisblauem Wasser. Im einen Moment lobte sie den "wunderschönen Strand", im anderen schaute sie sorgenvoll aufs Meer hinaus. Gerade hatte man ihr eine Aufnahme derselben Insel aus dem Jahr 2012 gezeigt. Binnen zehn Jahren ist die Hälfte der Insel bereits abgetragen und überspült worden.

Die Riffe, die die Inseln seit Ewigkeiten geschützt haben, zerbröseln, die Schildkröten finden keine Nistplätze mehr, plötzlich suchen mehr Taifune und Plastikmüll aus dem Meer das Paradies heim.

Vielleicht ist das schon der Knackpunkt: Selbst hier, wo die Verheerungen der Klimakrise eigentlich unübersehbar sind, sieht man sie nicht auf Anhieb. Deshalb die Rede am Mittag. Auf dem Dorfplatz räumt sie die Mitschuld der Ersten Welt an den Verheerungen ein.

"Eklatante Ungerechtigkeit"

Palau droht bald unterzugehen, und genau deshalb ist Baerbock hier. Die steigenden Meerespegel sind hier nicht abstrakt, sondern ganz akut lebensbedrohlich. In ihrer Rede sagt sie: "Wir haben eure Warnungen gehört, aber wir haben euch nicht genug unterstützt." Die dünn besiedelten Inseln mit ihren rund 18.000 Einwohnern hätten kaum etwas zur Erderhitzung beigetragen, müssten nun aber für den Klimawandel auf dramatische Art und Weise büßen: "Eine eklatante Ungerechtigkeit."

Laut ihrem Manuskript wollte die Außenministerin ihr Entsetzen ausdrücken, dass sich die Palauer fragen müssten, ob ihre Häuser in 30 oder 50 Jahren schon vom Meer verschluckt seien. Nach einem Gespräch mit einem Hausbesitzer nebenan spitzt sie die Formulierung noch an. "Jetzt habe ich verstanden", sagt Baerbock, "dass es eigentlich um zehn Jahre geht".

Diese Dringlichkeit passt gut zu ihrem Thema. Klima ist für Baerbock das Sicherheitsproblem Nummer eins, das man auch in den Zeiten des Krieges nicht außer Acht lassen dürfe. Ihr Ansatz ist es, den Kampf gegen die Erderhitzung zu nutzen und auch darüber Deutschlands Rolle in der Welt neu zu definieren. Sie nennt es Klima-Außenpolitik.

Baerbocks Strategie

Es ist ihr Gestaltungsanspruch in der Klimapolitik, die ja größtenteils in der Zuständigkeit ihres Parteikollegen Robert Habeck liegt. Doch Baerbock schuf im Außenministerium eine Abteilung für internationale Klimapolitik und holte mit der Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan eine international exzellent vernetzte Expertin in ihr Haus. Nach Palau konnte die nicht mitkommen: Corona.

Doch das Thema ist ohnehin Chefinnensache. Es soll neben Baerbocks werteorientierten und feministischen Ansätzen der Pfeiler ihrer Politik sein.

Doch dann kam der Krieg in der Ukraine und es begann die Zeit, in der Habeck erst den Fossil-Scheichs vom Golf seine Aufwartung machte und der Bundeskanzler Investitionen in Gasenergie wieder langfristig fördern will. Es gibt neue Zweifel an Deutschlands Führungsrolle bei Klima und Energie. Jetzt erst recht will Baerbock ihren Anspruch in der Klimapolitik verdeutlichen.

Mit freundlichen Grüßen an Habeck und Scholz

Und so betont die Ministerin im palauischen Fischerdorf Melekeok, wo man sich für die interne Aufstellung der Ampelkoalition nur bedingt interessieren dürfte: "Ich bin für internationale Klimapolitik zuständig" – auch eine Botschaft an die Heimat, mit freundlichen Grüßen an die Herren Habeck und Scholz oder den beim Klimaschutz immer wieder bremsenden Koalitionspartner FDP.

In Baerbocks Vorstellung wird diese internationale Klimapolitik nämlich kein nettes Beiboot, sondern zentrales Element bei der von ihr geplanten Neuausrichtung von Deutschlands Außenpolitik sein. Im kleinen Palau soll sich zeigen, dass ihr großes Projekt gelingen kann.

Baerbock verspricht Geld, doch es gibt einen Haken

Dafür ernennt die 41-Jährige jetzt eine Sondergesandte für die pazifischen Inselstaaten – sie soll die Bande weiter knüpfen und gemeinsame Projekte zur Energiewende vor Ort starten. Die Grüne stellt in ihrer Rede ebenfalls in Aussicht, für sogenannte "Loss and Damage"-Zahlungen zu kämpfen.

Das sind Ausgleichsgelder für jene, die durch den Klimawandel schon bald ihr Eigentum oder gar ihre Heimat aufgeben müssen. Es ist die einzige Stelle, an der sie im Fischerdorf nicht nur höflichen, sondern richtig lauten Applaus bekommt.

Strategisch sieht Baerbock ausdrücklich eine Verknüpfung mit den Fragen, die auch Europa umtreiben und gerade das G20-Treffen in Indonesien dominierten, von wo aus sie per vierstündigem Charterflug nach Palau gereist war.

Und dann ist da noch China

Der Kleinstaat wurde auch deshalb ausgewählt, weil Baerbock ihn auf der richtigen Seite in den Großkonflikten wähnt: Bei der UN-Vollversammlung stimmte Palau für eine Verurteilung Russlands wegen des Ukraine-Kriegs, anders als viele andere Kleinstaaten. Es zeigt auch gegenüber China eine kritische Haltung. Bis 2024 noch steht der kleine Staat unter dem Schutz der USA und ist besorgt über die chinesische Expansionspolitik im Pazifik.

Baerbock sieht eine strategische Win-win-Situation, die sich vereinfacht gesagt so beschreiben lässt: Wenn wir den Kleinstaaten in der Klimakrise beistehen und ihr Überleben sichern, stehen sie uns in der Auseinandersetzung mit Russland und China bei, worauf Deutschlands Außenpolitik den strategischen Schwerpunkt legt.

Kein Interesse an Energiewende

Vor Ort in Palau wurde der Besuch Baerbocks vielfach als Ehre beschrieben – der letzte deutsche Außenminister kam vor 120 Jahren vorbei. Damals übte das Deutsche Kaiserreich die Kolonialverwaltung aus. Da war leicht zu übersehen, dass das mit Applaus vorgebrachte Projekt der "Loss and Damage"-Zahlungen aktuell gar nicht mehrheitsfähig in der EU ist.

Oder dass die Gastgeber sich sicherlich über neue Gelder freuen, aber während des Besuchs gar kein Interesse an Projekten zur Energiewende formulierten.

Pro Kopf stoßen die Palauer übrigens ähnlich viel Kohlendioxid wie die Deutschen aus. Im Tropenparadies surren die Dieselgeneratoren. Schon beim Testlauf in Palau warten auf Annalena Baerbocks Klima-Außenpolitik einige Hürden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Begleitung der Asien-Reise von Außenministerin Baerbock
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