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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Russland-Politik Macht die SPD reinen Tisch?
Die Kritik an der Russland-Politik der SPD wird lauter – jetzt auch in den eigenen Reihen: Parteinahe Historiker kritisieren die Spitze und fordern eine Enquete-Kommission. Das Vorbild: die Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Der Streit um die deutsche Politik gegenüber Wladimir Putins Russlands spitzt sich zu. Es geht um das richtige Maß bei der aktuellen Unterstützung der überfallenen Ukraine und um die Auseinandersetzung mit der Außenpolitik der vergangenen Jahre. Im Zentrum beider Debatten: die SPD.
Grüne und FDP haben die Kritik an ihrem Koalitionspartner auf beiden Feldern zuletzt merklich verstärkt: Sie zielen auf die aus ihrer Sicht zögerliche Haltung des SPD-Kanzlers Olaf Scholz bei Waffenlieferungen an die Ukraine sowie auf die Art von rücksichtsvoller Russland-Politik, wie sie die SPD in den vergangenen Jahren oft betrieb.
Auch im sozialdemokratischen Kosmos wird die Kritik lauter. Mitglieder des SPD-Geschichtsforums fordern jetzt eine umfassende Aufarbeitung der SPD-Russlandpolitik – und kritisieren die Parteispitze für deren Zögern.
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"Bei der SPD sehe ich momentan Abwehrreflexe statt eines Willens zur Aufarbeitung der Russland-Politik. Leider zeigt die Partei noch kein großes Problembewusstsein", sagte der sozialdemokratische Zeithistoriker Ulrich Mählert t-online. "Dass wir die Interessen der osteuropäischen Nachbarn wie der Ukraine lange vernachlässigt haben, gehört endlich auf den Tisch."
"Aufarbeiten, wo gekungelt worden ist"
In Mählerts Augen bedarf insbesondere die Rolle der SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig der Aufklärung. "Wir müssen aufarbeiten, an welchen Stellen in Mecklenburg-Vorpommern und anderswo mit Wladimir Putins Russland gekungelt worden ist. Wie man sich in Schwerin um Sanktionen gegen Nord Stream 2 herummogeln wollte, ist wahrlich keine Glanzstunde unserer Politik." Mählert wurde vom Parteivorstand in das SPD-Geschichtsforum berufen, ein Gremium, das die Partei in historischen Fragen berät.
Die Aufklärung müsse systematisch betrieben werden: "Letztlich geht es aber nicht nur um eine Pipeline, sondern um die letzten dreißig Jahre der Russland-Politik der SPD, aber auch der politischen Akteure insgesamt."
Mählert, seit 1984 SPD-Mitglied, arbeitet im Hauptberuf für die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur – und sieht darin ein Vorbild für die nun zu leistende Aufklärungsarbeit im Bundestag: "Eine Aufarbeitung der Russland-Politik im Rahmen einer Enquete-Kommission wäre richtig. Wie der Bundestag bereits bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte gezeigt hat, kann ein solcher mit Politikern und Fachleuten besetzter Ausschuss große öffentliche Resonanz herstellen."
Kritik an der Parteispitze
Zuletzt hatten sich Politiker von Union und FDP für ein solches Format ausgesprochen. Auch der SPD-Außenpolitiker Michael Roth hatte sich offen dafür gezeigt. Mählert sagt: "Eine Enquete-Kommission zur deutschen Russland-Politik hätte starken Signalcharakter, dass wir es mit der Zeitenwende ernst meinen."
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Zweifel an einer solchen Ernsthaftigkeit plagen auch den Potsdamer Zeithistoriker Jan C. Behrends. Er fordert seine SPD zu einer parteiinternen Untersuchung auf. "Es ist jetzt wichtig, dass wir eine institutionalisierte Aufarbeitung der Russland-Politik der SPD in den vergangenen zwanzig Jahren beginnen. Wir müssen untersuchen, wann im Parteivorstand über Russland- und Osteuropa-Themen gesprochen wurde, wer dabei Einfluss hatte und warum bestimmte Entscheidungen so getroffen worden sind", sagte Behrends t-online.
- Recherche zu Nord Stream 2: Als Sanktionen drohten, schaltete sich Schwesig persönlich ein
In der Partei gebe es sehr wohl Mitglieder, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen wollten, so Behrends. "Leider haben sich das Willy-Brandt-Haus und der Parteivorstand bei diesem Thema bislang nicht bewegt."
Keine Mehrheit für Aufarbeitung
Behrends wurde wie Mählert vom Parteivorstand in das SPD-Geschichtsforum berufen. Ihr Wunsch nach systematischer Aufarbeitung fand zu Beginn des Ukraine-Krieges in dem Gremium keine Mehrheit. In einer Stellungnahme des Forums von Anfang März heißt es: "Bemühungen sozialdemokratischer Politiker*innen, im Dialog mit Russland auf Deeskalation zu setzen, waren nicht falsch, haben sich jedoch leider als vergeblich erwiesen."
Zwei führende Sozialdemokraten haben jüngst nach großer Kritik Fehler in der Russland-Politik eingestanden: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der als Außenminister von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 die Russland-Politik der Bundesregierung prägte, sowie Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Schwesig.
Sie ist wegen ihrer engen Absprachen mit russischen Staatskonzernen unter Druck geraten. Mittels einer sogenannten Klimastiftung hatte Schwesig versucht, US-Sanktionen gegen die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 zu umgehen. Damit wird sich ab Mai im Schweriner Landtag ein Untersuchungsausschuss beschäftigen.
- Eigene Recherchen