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Karl Lauterbach muss um den Rückhalt in der eigenen Regierung kämpfen


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Was macht der Gesundheitsminister?
Karl im Chaos


Aktualisiert am 15.02.2022Lesedauer: 5 Min.
Karl Lauterbach: Er kämpft – doch reicht das?Vergrößern des Bildes
Karl Lauterbach: Er kämpft – doch reicht das? (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de/imago-images-bilder)
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Karl Lauterbach wollte mit wissenschaftlichen Methoden die Pandemie besiegen. Nun zerreiben ihn die politischen Fronten. Die Geschichte eines Mannes, der endlich ist, was er immer sein wollte – aber auf einsamem Posten kämpft.

Der Antrieb von Karl Lauterbach in diesen Tagen ist eine Zahl. Die Zahl liegt irgendwo zwischen 400 und 500, so genau kann Lauterbach das nicht sagen. Trotzdem tourt er mit dieser Zahl durch die Medien. Zunächst am vergangenen Dienstag im "heute journal", dann noch mal am Freitag und zuletzt am Sonntag bei "Anne Will". 400 bis 500, so viele Menschen könnten sterben, glaubt Lauterbach. Pro Tag. Wenn es zu weitreichenden Lockerungen der Corona-Maßnahmen kommt. Und weil diese Zahl so hoch ist, will Lauterbach diese Lockerungen verhindern.

Die Warnungen von Karl Lauterbach ziehen sich durch die Pandemie: Oft hatte er damit recht, manchmal lag er daneben. Und nun, da Lauterbach seit zwei Monaten Gesundheitsminister ist, sinkt die bundesweite Inzidenz erstmals seit Dezember. Die Hospitalisierungsrate halten einige Fachleute für kontrollierbar. In vielen Ländern weltweit werden die Corona-Regeln gelockert. Nur Lauterbach warnt weiter. Er will ganz vorsichtige, langsame Schritte gehen.

Lauterbach wirkt in diesen Tagen wie ein Mann, der einen aussichtslosen Kampf führt. Er scheint der letzte prominente Vertreter des Teams "Vorsicht" zu sein, will weiter seine klare politische Linie der Behutsamkeit durchsetzen – und scheitert dabei an immer mehr Fronten: mal an der rasenden Verbreitung der Omikron-Variante, mal am Freiheitsdrang der FDP, mal an eigenwilligen Ministerpräsidenten.

Karl im Chaos. Es wirkt beinahe wie eine Ironie der Geschichte: In der vierten Welle ist Lauterbach, was er immer werden wollte: Gesundheitsminister. Doch sein Einfluss auf die tatsächliche Corona-Politik scheint kleiner zu sein als zu jenen Zeiten, als er einfacher Abgeordneter war, aber das Ohr der Kanzlerin hatte.

Ein "Freedom Day" – und dann?

Nun kommt ihm vor allem jene Runde in die Quere, in der er als Experte auch immer anerkannt war: die Ministerpräsidentenkonferenz, in der Maßnahmen bundesweit synchronisiert werden sollen. Das mit der Synchronisation ist ohnehin so eine Sache, mehrere Länder lockern schon deutlich stärker als andere. So planen unter anderem Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt ein Ende der Maskenpflicht in Schulen.

Doch vor allem haben sich Bund und Länder einer ersten Beschlussvorlage zufolge auf einen eindeutigen Öffnungskurs verständigt, den sie Mittwoch beschließen könnten: Wenn die Zahlen nicht erneut stark steigen, sollen ab dem 20. März die meisten Regelungen Geschichte sein. Der bayerische FDP-Chef Martin Hagen spricht bereits vom "Freedom Day". Schon vorher sollen auch größere Treffen ermöglicht werden, Bars und Clubs wieder öffnen.

Deutschland macht auf.

Und Lauterbach? Der Mann, der noch am Sonntag ein Selfie mit Christian Drosten getwittert hatte und dazu schrieb, sie "bereiten jetzt Maßnahmen gegen Omikron" vor? Der vorsichtige Warner muss mit ansehen, wie sich die Ampelfraktionen schon bei der nächsten Frage zerstreiten.

Am 19. März läuft das Infektionsschutzgesetz aus und mit ihm die Grundlage für alle Einschränkungen. Auch für die Maskenpflicht. Eine Verlängerung findet die FDP "absolut falsch", wie ihr Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Montag sagte. Falls es wieder schlimmer werde, könne der Bundestag ja neue Maßnahmen beschließen.

Die Koalitionspartner sehen das anders. SPD-Chefin Saskia Esken will eine "Folgeregelung" für das Infektionsschutzgesetz. Eine "rechtliche Grundlage" forderte auch Grünen-Chefin Ricarda Lang. Damit eine Maskenpflicht möglich bleibe, aber "auch für den Fall, dass sich die Situation verschlechtern sollte". Ausgang: offen.

Es geht hin und her, Lauterbach kämpft um den Rückhalt in der eigenen Regierung. Er ist eingezwängt: Einerseits will er möglichst vorsichtig vorgehen, andererseits kann er die liberalen Koalitionspartner nicht als realitätsferne Politiker hinstellen. Denn getrieben wird er meistens von der FDP.

Und neuerdings auch von Markus Söder, der in Bayern immer mehr lockert. Als Lauterbach kürzlich von Söders Generalsekretär Markus Blume gefragt wurde, ob er nun als Gesundheitsminister oder als Privatperson spreche, schnaubte Lauterbach: "Stellen Sie sich doch nicht dümmer, als Sie sind." Der Ton wird schärfer, der Gesundheitsminister muss sich immer häufiger verteidigen.

Ist er noch er selbst?

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da stellten sich Medien und Lauterbach-Anhänger eine bange Frage: Ist Karl überhaupt noch Karl? Es war Mitte Dezember, Lauterbach war gerade Gesundheitsminister geworden. Bund und Länder einigten sich auf härtere Maßnahmen für den Winter: 2G, 3G am Arbeitsplatz und so etwas. Einigen ging das nicht weit genug, sie wollten einen Lockdown. Doch Lauterbach verteidigte die Entscheidung.

Hatte ihn sein Amt plötzlich zu einem anderen Menschen gemacht? Hatte ihn die Macht korrumpiert? Vom Warner zum Beschwichtiger?

Diese Fragen sind in den vergangenen Wochen leiser geworden, einfach weil Lauterbach wieder mehr warnt. Sie können aber jederzeit erneut aufkommen, in dieser Woche schon. Denn sie basierten auch damals auf einem Missverständnis. Es stimmt zwar: Lauterbach versucht, die Politik besser wissenschaftlich zu begründen. Es war sein Professorentum, das ihn in der Pandemie so populär gemacht hat.

Aber Lauterbach ist und bleibt Politiker. Und als Politiker mahnte er auch schon früher sehr selektiv: Nämlich immer dann, wenn er glaubte, die Debatte noch beeinflussen zu können. Wenn eine Entscheidung gefallen war, reihte er sich ein und verteidigte sie. Er weiß, wie Politik funktioniert, und will eben nicht sofort wieder alles zerreden.

Debatte um Impfpflicht

Und trotzdem scheint das Chaos manchmal zu groß: Ab Mitte März gilt die Impfpflicht für medizinisches Personal. Doch wie sie umgesetzt werden soll, wer sie kontrolliert und was die arbeitsrechtlichen Folgen sind, darauf gibt es aus Sicht einiger bis heute nicht ausreichend Antworten. Und über allem schwebt die Sorge, dass Tausende Pfleger ihren Job aufgeben müssen und sich der Pflegenotstand noch verschlimmert.

Mehrere Bundesländer haben deshalb angekündigt, sie nicht umzusetzen. Der Ärger über das Chaos richtet sich gegen Lauterbach. Sein Haus habe die Umsetzung nicht gut genug vorbereitet. Das Gesundheitsministerium hingegen glaubt, dass es den Ländern am politischen Willen mangele.

Aber: Wenn schon eine Teilimpfpflicht ein solches Chaos auslöst – wie soll das mit der geplanten, allgemeinen Impfpflicht werden?

Scheitert sie, dann scheitert Lauterbachs bislang wichtigstes Projekt als Bundesgesundheitsminister. Noch vor wenigen Wochen warnte er davor, dass es im Herbst eine neue, noch gefährlichere Corona-Variante geben könnte. Nur die Impfung helfe, diesen Schrecken abzuwenden. Und die Wiederholungsschleife aus Lockdowns und Lockerungen zu durchbrechen. Daher müsse sie verpflichtend kommen.

Doch derzeit ist völlig unklar, ob überhaupt eine Mehrheit für irgendeine Form von allgemeiner Impfpflicht im Bundestag zusammenfindet. Und das vor allem, weil die Ampelregierung sich nicht auf einen gemeinsamen Antrag verständigen konnte.

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Fehler fressen Autorität

Die Probleme mit der Impfpflicht könnten nicht nur über die Zukunft der Pandemie entscheiden. Sie nagen auch an der Autorität des Gesundheitsministers. Und Autorität ist in der Politik eine wichtige Währung. Niemand weiß das so gut wie Karl Lauterbach, der die längste Zeit in dieser Pandemie kein Amt hatte, aber großen Einfluss allein durch seine Autorität.

Impfpflicht-Probleme helfen Lauterbach deshalb nicht gerade, seine eigenen Überzeugungen gegen Widerstände in der Bundesregierung durchzusetzen. Genauso wenig wie andere Fehler, die sich in seinen ersten Wochen angesammelt haben.

Mitte Dezember etwa, als das Robert Koch-Institut (RKI) plötzlich kurz vor einer Bund-Länder-Runde "maximale" Kontaktbeschränkungen forderte, nachdem der offizielle Corona-Expertenrat zuvor deutlich vorsichtiger gewesen war. Oder Mitte Januar, als das RKI den Genesenenstatus kurzerhand von sechs auf drei Monate halbierte – und Lauterbach in Erklärungsnot brachte.

In seinem Amt als Gesundheitsminister ist er nun für all das verantwortlich. Selbst, wenn es nicht alles seine Schuld ist.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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