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Karl Lauterbach als Gesundheitsminister: Ist er noch der Alte?


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Karl Lauterbach
Ist er noch er selbst?


Aktualisiert am 23.12.2021Lesedauer: 5 Min.
Karl Lauterbach und die FDP, hier Verkehrsminister Volker Wissing: Sie sind nicht gerade natürliche Verbündete in der Corona-Politik.Vergrößern des Bildes
Karl Lauterbach und die FDP, hier Verkehrsminister Volker Wissing: Sie sind nicht gerade natürliche Verbündete in der Corona-Politik. (Quelle: Omer Messinger/AFP-Pool/dpa)

Karl Lauterbach ist jetzt Gesundheitsminister. Und mancher findet, dass ihn das Amt schon jetzt verändert hat. Doch ganz so einfach ist es nicht. Was auch an einem Zerrbild des Politikers liegt.

Moment mal. Ist das wirklich Karl Lauterbach, der da am Mittwoch in der Bundespressekonferenz sitzt?

Statt einen Lockdown zu fordern, erklärt der Mann dort wortreich, warum die Ampelregierung mit den Ministerpräsidenten am Vortag eben keinen beschlossen hat. Hoppla? Er wolle kurz auf die Lage der Pandemie eingehen, sagt Lauterbach zu Beginn, "aus der Perspektive der Bundesregierung". Das ist nun seine Rolle.

Er ist jetzt Bundesregierung. Aber ist er noch er selbst?

Kein anderer Minister der neuen Ampelregierung ist mit so hohen Erwartungen ins Amt gestartet wie der Gesundheitsminister. Und niemand wird nun schon so schnell an all diesen Erwartungen gemessen. Das liegt an seinem Amt, das in der alles dominierenden Corona-Krise eben sehr wichtig ist. Aber es liegt auch an Karl Lauterbach selbst.

Wer viele Hoffnungen weckt, kann viele Hoffnungen enttäuschen. Hat er das also schon? Haben die wenigen Tage im Amt einen anderen Menschen aus ihm gemacht? Hat ihn seine neue Macht gar korrumpiert?

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Diese Geschichte von der wundersamen Wandlung des Karl Lauterbachs ist eingängig und auch deshalb gerade beliebt. Sie ist nicht ganz falsch, natürlich muss sich ein Gesundheitsminister anders verhalten als ein einfacher Abgeordneter.

Aber die Geschichte ist eben auch nicht ganz richtig. Denn sie verkennt den Politiker, der Karl Lauterbach schon immer war. Und ersetzt ihn durch eine Art Zerrbild-Karl. Eine öffentliche Projektion, die so nie der Wirklichkeit entsprochen hat. Ein Missverständnis.

Der Rücktritt von "Karlchen Überall"

Wer den Karl Lauterbach von heute besser verstehen will, muss zunächst kurz zurückschauen und wahrscheinlich spätestens mit dem 6. September 2019 beginnen, einem Freitag. Damals tritt Lauterbach zurück, von seinem bis dahin höchsten politischen Job.

Er gibt sein Amt als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion auf. Zu dieser Zeit sucht die SPD gerade in einem öffentlichen Wettbewerb neue Parteichefs. Lauterbach hat sich mit Nina Scheer beworben – und spricht sich dabei so klar wie kaum ein anderer für den Ausstieg aus der Großen Koalition aus. Derselben Koalition also, die er als Fraktionsvize an wichtiger Stelle mitgestalten und der er Mehrheiten organisieren muss.

Das passt nicht zusammen, finden viele in der SPD – und Lauterbach dann auch. Also tritt er zurück.

Weil Lauterbachs Kandidatur für den SPD-Vorsitz scheitert, steht er wenig später allerdings komplett ohne herausgehobenes Amt da. Nicht einmal Sprecher für Gesundheitspolitik ist er noch. Institutionelle Macht, also Macht qua Amt, hat er schlicht nicht mehr.

Lauterbach perfektioniert deshalb, was er schon vorher im kleineren Maßstab getan hat: Er wirkt politisch, indem er öffentlich spricht, in Interviews und in Talkshows. Sein spöttischer Spitzname "Karlchen Überall", den ihm Parteikollegen noch vor seiner Corona-Omnipräsenz verpasst haben, trifft es jetzt eigentlich ganz gut.

Man kommt nicht an ihm vorbei, auch die Politiker mit den Ämtern und der institutionellen Macht nicht – und das ist sein Hebel.

Politiker? Wissenschaftler? Die Antwort ist klar

Der öffentliche Auftritt ist in dieser Zeit Lauterbachs beste Möglichkeit, Einfluss auszuüben auf das, was passiert in Deutschland. Politik zu machen. Also nutzt er diese Möglichkeit. Ausgiebig.

In der Corona-Krise wächst Lauterbach zudem gewissermaßen über seine Rolle als öffentlicher Politiker hinaus. Zumindest in dem Bild, das sich viele Menschen von ihm machen, wird er zum öffentlichen Intellektuellen. Zum obersten Corona-Erklärer, der nachts Studien liest und tagsüber sagt, was Sache ist.

Schon das ist jedoch streng genommen Teil vom Zerrbild-Karl, dem Missverständnis über Lauterbach und sein Wirken. Es ist ein Missverständnis, dem Lauterbach selbst nicht energisch widerspricht, weil es ihm hilft. Gesundheitspolitiker gibt es viele, oberste Corona-Erklärer nicht. Also ist er in den Medien gefragter als sie. Nur wenige verstehen das polit-mediale Spiel so gut wie Prof. Dr. Lauterbach.

Wer ihn jedoch fragt, was er denn nun eigentlich sei, Politiker oder Wissenschaftler – der bekommt eine klare Antwort: Politiker natürlich, zumindest wenn er gerade nicht in Harvard unterrichtet. Und damit ist er nicht in erster Linie dem Erkenntnisgewinn verpflichtet oder der Wahrheit. Lauterbach will Politik machen. Mehrheiten organisieren. Druck auf die Leute mit den Ämtern aufbauen.

Und wer genau hinschaut, der merkt das auch.

Der ewige Mahner? Nicht so richtig

Denn ein weiterer Teil des Zerrbild-Karls, des Missverständnisses über sein Wirken, ist die Erzählung von Karl Lauterbach, dem ewigen Mahner. Der Kassandra. Es stimmt natürlich, Lauterbach warnt viel, die Pandemie gibt ihm ja auch viel Anlass dazu. Aber er macht mehr als das, und manchmal macht er es auch bewusst nicht.

Er selbst betont immer, wenn ihm das ewige Mahnen vorgeworfen wird, dass er mindestens genau so viele Vorschläge mache, wie es besser laufen könnte. Konstruktive Kritik also.

Interessanter aber ist etwas anderes, um besser zu verstehen, warum der Karl Lauterbach von heute sich dann doch gar nicht so sehr vom Karl Lauterbach von vor ein paar Wochen unterscheidet. Denn er mahnt eben nicht einfach wild darauf los – sondern meist wohlkalkuliert.

Lauterbach mahnt vor allem in den Zwischenzeiten, in denen er die Corona-Debatte noch unentschieden sieht und er hofft, sie mit großer Geste groß beeinflussen zu können. Direkt vor oder direkt nach einer Entscheidung hält er sich hingegen auffällig zurück. Wer ihn am Tag einer Bund-Länder-Runde anruft und eine deftige Kritik erwartet, wird in der Regel enttäuscht. Stattdessen lobt er vor allem, auch am nächsten Tag noch. Und zwar nicht erst, seit er Minister ist.

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Nur bekommen das eben die Wenigsten mit, weil sein Lob medial meist verhallt, während seine großen Mahnungen in Erinnerung bleiben.

Lauterbach kommt groß raus

Karl Lauterbach lobt natürlich nicht, weil er so ein netter Typ ist und seine Kollegen schonen will. Er tut es, weil er den getroffenen Entscheidungen eine Chance geben will, erfolgreich zu werden. Er will Politik verändern, damit sie besser wird, und nicht Politik torpedieren, nur um groß rauszukommen.

Wobei Lauterbach natürlich auch groß rauskommen will. Abseits aller Eitelkeiten lässt sich das eine in der Politik nie vom anderen trennen. Wer mehr Macht hat, kann mehr bewegen. Das weiß Lauterbach sehr genau, weil er sie eben lange nicht hatte, zumindest im institutionellen Sinne. Und das zählt am Ende.

Jetzt hat er sie als Gesundheitsminister, diese Macht. Und versucht im Grunde genau das weiter zu tun, was er vorher auch getan hat: Das Beste aus seinen Möglichkeiten zu machen. Und das bedeutet in seiner neuen Rolle eben jetzt mehr Machen als Mahnen. Die Regierung von außen unter Druck zu setzen funktioniert für ihn nicht mehr, einfach weil er jetzt selbst drin sitzt.

Es ist eine offene Frage, ob er mit diesem Amt erfolgreichere Corona-Politik machen kann als bisher oder eher nicht. Das entscheidet sich einerseits daran, wie gut er mit seiner neuen Rolle zurechtkommt. Und andererseits an den Kabinettskollegen und seinen Fähigkeiten, sie von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen. Denn er sitzt ja nicht alleine in der Regierung.

Der Vorteil an der Großen Koalition war für ihn, dass er in Angela Merkel so etwas wie eine Schwester im Corona-Geiste hatte. Beide waren inhaltlich oft nah beieinander. Näher wahrscheinlich, als Lauterbach seinem Parteifreund Olaf Scholz mitunter ist. Von der FDP, dem jetzigen Ampelkoalitionspartner, war Lauterbach in der Corona-Politik ohnehin immer weit entfernt.

Viel einfacher wird es für Karl Lauterbach also nicht unbedingt. Ob er ein erfolgreicher Gesundheitsminister wird, ist ungewiss. Aber er ist schon noch er selbst.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Gespräche
  • Bundespressekonferenz mit Karl Lauterbach, Lothar Wieler, Andreas Gassen vom 22. Dezember 2021
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