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Zum journalistischen Leitbild von t-online.NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty "Wir sind zu viel von Bedenkenträgern umgeben gewesen"
Thomas Kutschaty will Nordrhein-Westfalen für die SPD zurückerobern. Wie blickt er auf die Ampelregierung in Berlin – und die Neuaufstellung der Bundes-SPD am Wochenende? Ein Interview.
Thomas Kutschaty will Ministerpräsident werden – und zwar nicht irgendwo, sondern in Nordrhein-Westfalen. Das bevölkerungsreichste Bundesland gilt noch immer als Herzkammer der Sozialdemokratie. Doch im Moment regiert die CDU.
Bei der vergangenen Wahl verlor Hannelore Kraft 2017 für die SPD gegen Armin Laschet. Der ist inzwischen als CDU-Kanzlerkandidat gescheitert und sitzt nun im Bundestag. Kutschaty, 53 Jahre alt, bekommt es deshalb im Land mit dessen Nachfolger zu tun, Hendrik Wüst. Im Mai wird in Nordrhein-Westfalen gewählt.
Wie viel Rückenwind Thomas Kutschaty von der Bundes-SPD und der Ampelregierung bekommt, entscheidet sich in diesen Tagen. Ein Interview über Ampelpersonal aus NRW, Corona-Politik und die neue Parteispitze – der ab Samstag auch Kutschaty angehören will.
Herr Kutschaty, wie dankbar sind Sie eigentlich Armin Laschet?
Thomas Kutschaty: Wer sich für das Amt des Bundeskanzlers bewirbt, muss souverän auftreten. Das ist ihm wegen der Politik seiner Regierung in NRW und bei vielen Momenten im Wahlkampf nicht gelungen. Aber die Wahl haben wir letzten Endes nicht wegen der Fehler der CDU gewonnen, sondern weil wir das bessere Programm und den stärkeren Kanzlerkandidaten hatten.
Wie haben Sie es denn geschafft, gleich zwei Vertreter aus Ihrem Bundesland im Kabinett von Olaf Scholz unterzubringen?
Der neue Kanzler hat sein Kabinett so zusammengestellt, dass jeweils die fähigsten Leute den Job bekommen haben.
Das müssen Sie jetzt sagen.
Nein, so ist es. Weder bei Svenja Schulze noch bei Karl Lauterbach gibt es den geringsten Zweifel, dass sie für ihre Ämter genau die Richtigen sind. Svenja Schulze hat in ihrer Zeit als Umweltministerin bereits viel internationale Erfahrung gesammelt, deshalb wird sie eine gute Ministerin für globale Entwicklung sein. Und wenn man in diesen Zeiten einen Gesundheitsminister braucht, führt absolut kein Weg an Karl Lauterbach vorbei. Er ist genau der Richtige.
Sollte das Prinzip "Kompetenz vor Proporz", das Sie Olaf Scholz zuschreiben, nicht besser grundsätzlich bei der Bildung von Kabinetten gelten?
Ich gehe davon aus, dass alle diese Entscheidungen immer auch nach Kompetenz getroffen werden ...
… das ist ja der Punkt: auch nach Kompetenz.
Aber sie ist doch immer das entscheidende Kriterium. Dass man auch andere Aspekte wie das Geschlecht berücksichtigen muss, ist klar. Und natürlich spielt auch die regionale Herkunft eine Rolle. Ich wäre irritiert, wenn nur Nordrhein-Westfalen im Bundeskabinett säßen.
Das wichtigste Thema ist gerade Corona. Fanden Sie die Performance der Ampel auf Bundesebene überzeugend?
Ich finde gut, dass der Bundestag wieder Verantwortung übernommen hat. Dadurch gibt es auch mehr Rechtssicherheit.
Die Länder haben auch noch immer viel Verantwortung. Sind Sie mit der Corona-Politik in NRW zufrieden?
Nein, die Regierung aus CDU und FDP in Düsseldorf ist eher ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Es war ein großer Fehler, Ende September die Impfzentren zu schließen. Jetzt muss die Infrastruktur wieder hastig aufgebaut werden. Und dass die Landesregierung bei steigenden Inzidenzen noch Anfang November die Maskenpflicht aufgehoben hat, ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Auch da musste sie die überfällige Kehrtwende vollziehen.
Die Aufhebung der Maskenpflicht in nordrhein-westfälischen Schulen war ein Zugeständnis der CDU an die FDP. In der Ampel auf Bundesebene gab es ebenfalls Konzessionen von SPD und Grünen an die Liberalen. Deshalb rief die Ampel erst eine Art "Freedom Day" aus – und musste sich dann quälend zurück auf Los bewegen.
Ich war eher entsetzt darüber, wie sich die Kanzlerin und der Bundesgesundheitsminister in den vergangenen Wochen zurückgezogen haben, als ob sie mit der Pandemiebekämpfung nichts mehr zu tun hätten.
Das war nicht die Frage.
Ich muss gegen Ihre Interpretation protestieren: Die Ampel ist nicht Richtung "Freedom Day" gelaufen. Sie hat vielmehr dafür gesorgt, dass etwa im Nahverkehr, in Fernzügen und am Arbeitsplatz 3G, und in der Gastronomie und bei Events 2G gilt. Das sind harte Maßnahmen und richtig massive Eingriffe. Sie hat schon gehandelt, als sie noch gar nicht im Amt war.
Wie optimistisch sind Sie denn, dass Sie die Landtagswahl im Mai gewinnen? Zuletzt hatte der Amtsinhaber immer einen großen Bonus, der sich vor allem auf den letzten Metern bemerkbar machte.
Gerade in NRW zählte der Amtsbonus zuletzt nicht mehr wirklich viel. Nehmen Sie die Wahlen 2010 oder 2017 – wir sind ein Land der schnellen Wechsel geworden. Insofern ist alles offen. Die SPD liegt in Umfragen zwar gerade deutlich vorn, aber wir wissen: Das sind Momentaufnahmen. Wir stehen alle an derselben Startlinie.
Ihr Konkurrent Hendrik Wüst hat gerade gesagt, er mache sich über den Wahlkampf noch keine Sorgen, sondern über die Pandemie.
Das finde ich dann doch eine putzige Selbstbeschreibung seines Handelns. In seinen ersten Wochen war Hendrik Wüst weniger Ministerpräsident als ehemaliger CDU-Generalsekretär. So hat er Olaf Scholz in einem Brief gedroht, den neuen Corona-Maßnahmen nicht zuzustimmen. Zum Glück musste er dann schnell wieder zurückrudern.
Am Wochenende wählt die Bundes-SPD ihre neue Parteispitze. Sie wollen Vizechef werden und haben angekündigt, sich für die Eigenständigkeit der Partei gegenüber Regierung und Fraktion einzusetzen. Man konnte zuletzt den Eindruck gewinnen, dass Olaf Scholz das etwas anders sieht. Sind da nicht Konflikte programmiert?
Nein. Olaf Scholz ist keiner, der sagt: Jetzt darf es in der SPD nur noch die Auffassungen geben, die wir mit den Koalitionspartnern abgesprochen haben. Das wäre ja absurd. Stärke ergibt sich auch daraus, dass klar ist, was man erreichen will. Eine klare SPD hilft deshalb auch dem Kanzler im Kabinett. Das bedeutet nicht, dass es täglich Querschüsse geben wird. Die SPD wird Olaf Scholz geschlossen unterstützen.
Sind Saskia Esken und Lars Klingbeil als neue Parteichefs und Kevin Kühnert als neuer Generalsekretär für dieses Vorhaben eine gute Wahl?
Ja, ich freue mich darauf. Es ist gut, dass Saskia Esken weitermacht. Es hätte mich auch gefreut, wenn Norbert Walter-Borjans weitergemacht hätte. Ich kann seine persönlichen Gründe für den Abschied aber auch verstehen.
Was bleibt von ihm?
Er und Saskia Esken haben einen großen Anteil an der Geschlossenheit der SPD und damit am Wahlerfolg. Sie haben der SPD wieder ein klareres sozialpolitisches Profil gegeben und in zwei Jahren mehr erreicht als andere in zehn. Ich weiß, dass Lars Klingbeil und Kevin Kühnert ein großes Interesse haben, die SPD mit Saskia Esken genau in diese Richtung weiterzuentwickeln. Wir dürfen jetzt nicht stehen bleiben. Was mit einer programmatisch leeren Partei passiert, sieht man an der CDU.
Was wollen Sie als künftiger Parteivize erreichen?
Mehrere Dinge. Ich möchte einerseits, dass die Länderinteressen noch stärker berücksichtigt werden.
Das überrascht als SPD-Landeschef nicht.
In der Tat. Auf Bundesebene muss die Partei jetzt ihre Rolle im neuen Dreieck an der Seite der Bundesregierung und der Bundestagsfraktion finden. Die Partei darf nicht nur Sprechorgan der Regierung oder der Fraktion sein. Sie muss ihre eigene Agenda haben und trotz der nötigen Kompromisse in der Ampel klarmachen, was "SPD pur" bedeuten würde.
Und was treibt Sie inhaltlich besonders um?
Zwei Dinge liegen mir sehr am Herzen: Da ist zunächst die Bildungsgerechtigkeit. Die SPD muss die Partei bleiben, die die Hoffnungen der jungen Menschen Wirklichkeit werden lässt. Darüber hinaus möchte ich weiter an der Modernisierung des Staates arbeiten. In den Koalitionsverhandlungen habe ich die entsprechende Arbeitsgruppe geleitet. Und da gibt es jetzt viel zu tun, um insbesondere die Beschleunigung der Planungsverfahren umzusetzen.
Gerade wenn man durch Nordrhein-Westfalen fährt, hat man den Eindruck, dass es viel zu modernisieren gibt. Die Ampel will die Dauer von Planungsverfahren halbieren. Ist das nicht illusorisch?
Nein, da geht wirklich was. Wenn man den Willen hat, bei diesem Thema etwas zu verändern, gibt es auch die rechtlichen Möglichkeiten. Dafür haben wir gesorgt. Wir sind früher viel zu viel von Bedenkenträgern umgeben gewesen. Das bedeutet aber auch, dass wir bei Zielkonflikten klare Entscheidungen brauchen und ehrlich sind. Wenn wir Windkraftanlagen bauen, kann das Auswirkungen auf den Artenschutz am konkreten Ort haben. Da muss man klar sagen, welche Entscheidung in dem Moment wichtiger ist.
Was ist Ihre Antwort?
Wenn unser Planet unbewohnbar wird, nützt uns alles andere nichts mehr. Deshalb muss dem Klimaschutz und dem Ausbau der erneuerbaren Energien ein höheres Gewicht beigemessen werden. Es ist darum richtig und wichtig, den Klimaschutz als besondere staatliche Aufgabe zu definieren. Das hat konkrete Auswirkungen auf die Entscheidungen von Genehmigungsbehörden und Gerichten, welche Eingriffe sie zulassen.
Naturschützer werden das anders sehen.
Das weiß ich nicht einmal. Ein Schlüssel wird sein, die Menschen viel früher bei Projekten zu beteiligen. Das entschärft Misstrauen und schafft Akzeptanz. Manchmal wird es berechtigten Einspruch von Bürgern geben, und das ist auch gut so. Wichtig ist aber, dass die Anliegen im frühen Stadium einer Planung geklärt werden.
- Gespräch mit Thomas Kutschaty per Videotelefonie