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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Pandemie-Talk bei "Anne Will" Virologin über Corona-Politik: "Bin wahnsinnig frustriert"
Mit zwei Wissenschaftlerinnen und drei Politikmachenden hat Anne Will am Sonntagabend über die Wirksamkeit der neuen Corona-Regelungen diskutiert. Arbeitsminister Hubertus Heil nutzte die Sendung dabei für einen Appell an die Bürger.
Die Corona-Zahlen schießen in die Höhe und ein Ende ist nicht in Sicht. Bund und Länder haben sich deswegen jüngst auf Gegenmaßnahmen geeinigt – dazu gehören beispielsweise die 3G-Regel am Arbeitsplatz sowie Kontaktbeschränkungen. Doch kann Deutschland die vierte Corona-Welle überhaupt noch brechen? Diese Frage diskutierte Anne Will am Sonntagabend mit ihren Gästen.
Die Gäste
- Hubertus Heil (SPD), Arbeitsminister
- Tobias Hans (CDU), saarländischer Ministerpräsident
- Melanie Brinkmann, Virologin
- Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Bundestagsabgeordnete
- Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation
Wo Verbesserungspotenzial besteht, erklärte die Virologin vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Melanie Brinkmann. Sie sah vor allem einen Bedarf darin, Impflücken so schnell wie möglich zu schließen. Ihrer Meinung nach sei die Politik bei Impfkampagnen bisher nicht proaktiv genug vorgegangen und habe zu wenige Menschen erreicht.
"Die Ungeimpften treiben die Pandemie", erinnerte die Wissenschaftlerin bei Will. Eine Impfquote von knapp 68 Prozent, wie es sie derzeit in Deutschland gibt, hätte bei der Ursprungsvariante des Virus ausgereicht. Angesichts der ansteckenderen Delta-Variante sei das allerdings nicht mehr der Fall.
Zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes erklärte sie: In einigen Gebieten, in denen die Inzidenz niedrig sei, könnten 2G- und 3G-Regelungen möglicherweise ausreichen, um das Infektionsgeschehen abzubremsen. In anderen Gebieten, zum Beispiel in Sachsen oder Bayern, sei es hingegen dringend nötig, auch konsequent Kontaktreduzierungen durchzusetzen.
Die aktuelle Entwicklung ist für die Virologin keine Überraschung: Darüber, dass die Politik bislang nicht auf die Warnungen aus der Wissenschaft gehört habe, sei sie "wahnsinnig frustriert". Vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen gehe es ähnlich. Sie seien "fassungslos darüber, in welche Lage wir geraten sind", so die Expertin.
Ministerpräsident Hans räumt Fehler ein
Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans erklärte, er habe nicht vorausgesehen, dass die Corona-Zahlen im November "so massiv nach oben gehen", nachdem sie im Herbst zunächst zurückgegangen waren. Deswegen habe man auch geglaubt, dass man zu diesem Zeitpunkt Maßnahmen lockern könne.
Auf Wills Frage, ob er sich als Verantwortungsträger Vorwürfe mache angesichts der aktuellen Lage, räumte Hans ein, er sei "nicht geneigt zu sagen, wir haben 100-prozentig alles richtig gemacht".
Die gleiche Frage richtete Will auch an SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil. Eine klare Antwort gab es von ihm jedoch ebenfalls nicht: "Wer mich kennt, weiß, dass ich eher zum Team Vorsicht gehöre und zwar durchgehend", so der SPD-Mann.
Heil: "Lasst euch impfen"
Seinen Auftritt bei Will nutzte Heil für einen Appell an die Bürger. Während er sicherstellte, dass er direkt in eine Kamera blickte, rief der SPD-Mann auf: "Lasst euch impfen, wenn ihr das noch nicht gemacht habt!" Wer bereits geimpft sei, solle sich eine Booster-Impfung holen.
Ein wenig den Wind aus den Segeln nahm ihm Brinkmann. Sie finde es zwar "total gut", dass er zur Impfung aufrufe, es gehe derzeit jedoch vielmehr darum, Menschen zu erreichen, die "Anne Will" nicht schauten. "Aber wir sind ja nun mal hier", entgegnete Heil trocken.
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Strack-Zimmermann: Pandemie führt zu "sozialen Verwerfungen"
Doch am Sonntagabend waren nicht nur Impfungen und Infektionszahlen Thema: FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann verwies zudem auf die "großen sozialen Probleme", die mit der Pandemie einhergingen.
Aus ihrer Sicht habe die Pandemie zu "sozialen Verwerfungen" geführt, deren Konsequenzen man wohl auch in Jahren noch spüren werde. Als Beispiele nannte sie unter anderem Fünftklässler, die wegen verpassten Unterrichts noch nicht richtig schreiben könnten. Insgesamt gebe es viele Menschen, bei denen die Lage zu Depressionen geführt habe.
Auch die Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, Cornelia Betsch, erklärte: "Man sieht sehr deutlich, dass die Belastung gerade ansteigt." In ihren Augen sei an dieser Stelle Unterstützung notwendig.
Darüber hinaus sei eine klare Kommunikation vonseiten der Politik essenziell, um die Lage in den Griff zu bekommen. Die Mehrheit der Leute halte sich zwar bereitwillig an die Corona-Maßnahmen, so die Expertin. Durch undeutliche Kommunikation und zu langsames Handeln würden diese Menschen jedoch abgehängt. Vor diesem Hintergrund sei es besser, Regeln bundesweit einheitlich zu gestalten, damit alle Bürger sie verstehen.
In der neuen Woche treten in Deutschland zum Teil deutlich verschärfte Gegenmaßnahmen in Kraft. Die besonders betroffenen Bundesländer Bayern und Sachsen schränken das öffentliche Leben wieder deutlich ein.
Die Sieben-Tage-Inzidenz bei den Neuinfektionen war auch am Wochenende bundesweit weiter angestiegen und hatte am Sonntag abermals den Höchststand erreicht.
- "Anne Will" vom 21. November 2021