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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Von "Team Todenhöfer" bis Yoga-Partei So viele Freak-Parteien wie nie wollen in den Bundestag
Fast 50 Parteien treten bei der Wahl an. Die meisten davon sind Kleinstparteien: Sie wollen die Welt durch Meditation retten, eine Gesellschaft ohne Fleisch – oder einfach nur Geld vom Staat.
Jürgen Todenhöfer hat eigentlich keine Zeit. Er ist Anfang dieser Woche in Kabul, wo er, wie er am Telefon sagt, mit dem Außenminister der Taliban verhandelt. Was man zum Zeitpunkt des Gesprächs aber noch nicht schreiben soll. Um seine Sicherheit nicht zu gefährden. Todenhöfer hat dann doch Zeit, fast eine Stunde sogar: Wahrscheinlich, weil es um ihn geht – und seine Partei. Wobei man beides nicht so ganz voneinander trennen kann.
Todenhöfer ist ein bekannter Publizist, er hat sich ins Zentrum des Islamischen Staats begeben und ein Buch darüber geschrieben. Man kennt sein Gesicht aus Talkshows, jetzt ist es groß auf Plakaten zu sehen – zusammen mit dem Namen seiner Partei "Team Todenhöfer – Die Gerechtigkeitspartei".
"Deutschland ist in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit abgehängt, beim Breitband sieht es genauso aus, die digitale Ausbildung von Lehrern ist beschämend", schimpft Todenhöfer im fernen Kabul.
Er hat den Glauben an die etablierten Parteien verloren, den an sich selbst nicht. Im Gegenteil: An seinem 80. Geburtstag im vergangenen November gab er nach 50 Jahren seinen Austritt aus der CDU bekannt – und die Gründung seiner eigenen Partei.
"Team Todenhöfer" setzt sich dafür ein, dass Deutschland sich aus allen militärischen Aktionen zurückzieht und sich künftig an keinen Kriegseinsätzen mehr beteiligt. Mit dem Geld will Todenhöfer die Rente retten. Retten will er auch die Beziehung zu Russland. Und noch einiges mehr.
Das Parteiprogramm habe er mit den "gescheitesten Menschen des Landes" entwickelt, "auch mit Chefredakteuren", deren Namen er aber nicht nennen möchte.
Das Parteiprogramm ist das eine schlagkräftige Argument, das andere ist er selbst.
Todenhöfer sieht es realistisch, also zumindest halbwegs: Kanzler werde er nicht. Aber: Das liege vor allem am Wahlsystem. Könnten die Bürger den Regierungschef direkt wählen, wäre die Sache klar. Dann würde er all die Baerbocks, Laschets und Scholzens hinter sich lassen. Trotz seines hohen Alters. "Konrad Adenauer war 87, als er sich zurückzog. Und der war vielleicht der beste Kanzler überhaupt."
Nie zuvor traten so viele Parteien bei einer Bundestagswahl an wie in diesem Jahr: 47. Die meisten von ihnen werden nur eine sehr geringe Anzahl von Stimmen einsammeln. Bei der Bundestagswahl 2017 erreichten alle Kleinparteien zusammen gerade einmal fünf Prozent der Stimmen. Sie werden nicht einmal mit Namen genannt, sondern bilden als "Sonstige" den kleinsten Balken am Wahlabend. Normalerweise. Womöglich ändert sich das in diesem Jahr. Denn in Umfragen erreichen die "Sonstigen" bis zu neun Prozent.
So leicht war es für Kleinstparteien noch nie
Die Gründe dafür sind laut Experten vielfältig: Da ist etwa die Zersplitterung der Gesellschaft. Menschen haben spezifischere Ansprüche als früher und fühlen sich von den einstigen Volksparteien nicht mehr repräsentiert. Auch die Tatsache, dass zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik kein amtierender Kanzler mehr antritt, sorgt für mehr Unsicherheit, aber auch für mehr Experimentierfreude der Wähler.
Hinzu kommen die Folgen der Corona-Pandemie. Normalerweise müssen Parteien, die bei einer Bundestagswahl antreten wollen, mindestens 2.000 Unterschriften einsammeln. Es ist ein Sicherungsmechanismus: Wer zur Wahl antritt, soll es auch ernst meinen. Doch in diesem Jahr reicht ein Viertel der üblichen Unterschriften. Mit ein paar Hundert vermeintlichen oder tatsächlichen Unterstützern kann man antreten.
So mischen sich nun Neulinge wie die "Klimaliste" oder die "Volt"-Partei mit Dauerbewerbern wie der separatistischen Bayernpartei, die für die Unabhängigkeit des Freistaats kämpft und in den fünfziger Jahren schon einmal im Bundestag saß. Dann gibt es das "Bündnis C", eine fundamental-christliche Partei, die ein Wahlrecht auch für Kinder fordert. Es gibt die ultra-linke MLPD, die eine 30 Stunden Woche will – bei vollem Lohnausgleich, eine "Gartenpartei", und eine Partei, die "Liebe" heißt und für Liebe und Respekt gegenüber allen Lebewesen und der Natur kämpft.
Dass es einer einzelnen Kleinpartei gelingt, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen, geschieht so gut wie nie. Chancen rechnen sich in diesem Jahr lediglich die Pro-Europa-Partei Volt aus und die Freien Wähler, die in Bayern mitregieren und sich bundesweit als neue konservative Kraft der Mitte etablieren wollen. Bei drei Prozent stehen die Freien Wähler in Umfragen derzeit immerhin.
"Dada" ist nur der spirituelle Lehrer
Aber um die Fünf-Prozent-Hürde geht es vor allem den Freak-Parteien oft nicht. Sie sind schon mit einem Zehntel zufrieden. Wer mehr als 0,5 Prozent der Stimmen auf sich vereint, bekommt eine Erstattung für die Wahlkampfkosten. Immerhin 83 Cent pro Stimme. 2017 reichten dafür gut 200.000 Stimmen. Neben den Freien Wählern schafften "Die Partei" und die Tierschutzpartei die relevante Hürde.
Todenhöfers Partei ist nicht die einzige, die auf eine Einzelperson ausgerichtet ist. Auch die Yoga-Partei "Menschliche Welt" hat einen Guru. Er heißt Dada Madhuvidyananda. Weil er gewohnt ist, dass die Menschen seinen Namen nicht aussprechen können, schlägt er zu Beginn des Telefonats vor, ihn einfach "Dada" zu nennen, was für "Bruder" stehe. Der 58-Jährige ist Yoga-Mönch und sieht auch so aus: Vollbart, Turban, Kutte.
Für den Bundestag tritt er nicht selbst an, vielmehr ist er der spirituelle Lehrer der Kandidaten seiner Partei. Den Grundsatz, dem seine Organisation folgt, fasst er so zusammen: "Der Mensch ist in seinem Wesenskern gut – nur hat er manchmal negative Gedanken, die ihn das Falsche tun lassen." Aber: "Mit Meditation findet der Mensch zu sich selbst zurück." Deshalb will er das Meditieren ins Parlament bringen. Dada selbst meditiert fünfmal am Tag, das erste Mal bereits um 4.30 Uhr morgens, dann gleich drei Stunden lang.
"Menschliche Welt" ist die einzige Partei, die das Ziel verfolgt, dass Abgeordnete aus einem höheren Bewusstsein heraus Entscheidungen treffen. Es gibt aber auch Kleinparteien, die einander sehr ähnlich sind. Dem Klimaschutz etwa haben sich etliche verschieben. Bei einer Wahl, die so knapp zu sein scheint wie diese, könnte das im Extremfall sogar Einfluss darauf haben, ob die Grünen auf dem zweiten oder dritten Platz landen.
Folge eines Traumas der Grünen
Die "V-Partei³“ sieht Veganismus als Mittel gegen den Klimawandel: "Jeder, der sich fleischlos ernährt, kann jährlich zwei Tonnen Treibhausgase einsparen", erklärt Parteichef Roland Wegner per Videoanruf. Hinter seiner rechten Schulter lugt das Ende einer Möhre hervor, die auf einem Wahlplakat abgedruckt ist. Der 46-Jährige war lange Jahre Weltrekordhalter im Rückwärtslaufen und hat sich für die Verbreitung von Treppensteigen als Sportart eingesetzt. Für ein Ratgeberbuch probierte er die vegane Lebensweise aus und blieb dabei, weil er sich "so leistungsfähig wie nie zuvor" fühlte. Seither habe er keine Mittagstiefs mehr.
Die Gründung der "V-Partei³" hängt mit einem großen Trauma der Grünen zusammen, dem "Veggie-Day". Als die Grünen den fleischfreien Tag für öffentliche Kantinen forderten, war Wegner sofort angetan. Als sie ihre Forderung angesichts des öffentlichen Aufschreis wieder zurücknahmen, sah er seine Chance gekommen. Damals noch SPD-Mitglied, setzte Wegner den "Veggie-Day" aufs Programm seiner Partei für den Stadtrat in Augsburg. Als SPD und CSU in ihrer Koalitionsvereinbarung von Wegners Vorhaben partout nichts wissen wollten, gründete er seine eigene Partei.
So ernst sein Anliegen im Kern auch sein mag, Menschen wie er tragen dazu bei, dass Kleinparteien eher belächelt werden. Dabei machen manche auf häufig übersehen Missstände aufmerksam. So wie "Die Urbane. Eine HipHop Partei". Sie versteht sich vor allem als politische Heimat der schwarzen Bevölkerung Deutschlands, die sich im politischen Parteiensystem nicht genug repräsentiert fühlt. Und sie will Menschen eine Stimme geben, die wegen ihres Glaubens, ihrer Herkunft oder ihrer Sexualität diskriminiert werden. Die Partei selbst hat eine Quote, nach der nicht mehr als 50 Prozent der Mitglieder weiße Männer sein dürfen und jedes sechste Mitglied eine Person mit Behinderung sein soll.
Was das alles mit Musik zu tun hat, erklärt die Vorsitzende Sabrina Rahimi: "Hip-Hop ist die Musik, mit der Diskriminierte einander Kraft geben." Zustimmung erhält die Partei aber nicht nur von Hip-Hop-Hörern. Rahmig: "Ein weißes Hippiepärchen, beide im Rentenalter, hat uns geschrieben, dass ihre Rente nicht reicht, um uns zu unterstützen. Aber sie haben vor, uns zu wählen, auch wenn sie nicht Hip-Hop hören. Sondern Reggae."
- Eigene Recherchen