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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Markus Lanz" zu Uefa und Politik Tobias Hans: "Ich habe Orbáns Weihnachtskarten in den Müll geworfen"
Sollte im Münchener EM-Stadion gegen Ungarns homophobes Gesetz demonstriert werden, und wenn, dann wie? Das erwies sich – etwas überraschend – als Hauptthema bei "Markus Lanz". Und der Ministerpräsident des Saarlandes diskutierte engagiert mit.
Erst Fußball-Aktualitäten, dann die Delta-Variante des Coronavirus besprechen und dann ausführlich Ministerpräsident Tobias Hans zum endlich veröffentlichten CDU-Wahlprogramm "grillen", das Markus Lanz schon mal angriffslustig als "140 Seiten Spendierlaune", bloß ohne Steuererhöhungen bezeichnete – so hatte der Moderator sich seine Dienstags-Sendung offenkundig gedacht. Es kam anders, weil ein Thema gleich alle Gäste in eine durchaus spannende Diskussion verwickelte. Das war die Regenbogen-Optik, in die das Münchener Stadion zum heutigen zur Europameisterschaftsspiel Deutschland gegen Ungarn auf Uefa-Beschluss nicht getaucht werden darf.
Die Gäste:
- Tobias Hans, saarländischer Ministerpräsident (CDU)
- Robin Alexander, Journalist ("Welt")
- Christina Berndt, Journalistin ("Süddeutsche Zeitung")
- Lucas Vogelsang, Journalist
"Total schade", dass die Farben nicht erstrahlen, meinte Tobias Hans. Fußballjournalist Vogelsang, der vor wenigen Tagen erst bei Lanz gastiert hatte, hatte sofort den Kompromissvorschlag, der das Problem gelöst hätte, wenn früh genug jemand drauf gekommen wäre: "Man hätte sich einen großen Gefallen getan in München, an allen drei Spieltagen", die in der bayerischen Hauptstadt stattfinden, das Stadion in Regenbogenfarben zu tauchen. Es nur "ausgerechnet gegen Ungarn" zu planen, war eine "Steilvorlage" für die Uefa gewesen, den Plan als politische Aktion zu verbieten.
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Robin Alexander, Journalist der konservativen "Welt", erinnerte daran, dass Tobias Hans' CDU vor vier Jahren, als die Ehe für alle, also auch Homosexuelle, im Bundestag beschlossen wurde, mehrheitlich noch dagegen gestimmt hatte. "Leute, die sich lange sehr schwer getan haben, heben nun schnell die Hand, um auf andere zu zeigen". Ohnehin würden Aktionen und Proteste im Stadion, wenn etwa Ungarns Regierungschef Viktor Orbán (der das Spiel heute besuchen wird) ausgepfiffen werde, diesem in die Karten spielen. "In unserem Land fühlen sich alle im Recht. Wenn Orbán es geschickt anstellt, fühlen sich in Ungarn auch zwei Drittel im Recht".
"Klassisches Shit-Sandwich"
Hans bezeichnete das frisch beschlossene ungarische Gesetz, das die Informationsrechte Jugendlicher über Homosexualität einschränkt, als "himmelschreiende gesellschaftliche Ungerechtigkeit" und bekundete: "Ich habe meine Weihnachtskarten, die Viktor Orbán mir geschickt hat, in den Mülleimer geworfen" – eine etwas überflüssige Bemerkung. Schade, dass niemand fragte, ob Tobias Hans denn seine übrigen Weihnachtskarten alle an einem Ehrenplatz aufbewahrt.
Sportjournalist Vogelsang weitete den Blick und sprach vom "klassischen Shit-Sandwich": Weitere EM-Spiele finden in Aserbaidschan statt, das alles andere als eine Demokratie ist, und die Weltmeisterschaft 2022 steigt dann in Katar. Worauf Alexander noch auf die Olympischen Winterspiele 2022 in China hinwies. Werden alle, die nun gegen ungarische Gesetze protestieren, ähnlich auf die erheblich größeren Menschenrechtsverletzungen der Weltmacht China hinweisen? Nun ja, "man kann nicht Mitglied der EU sein und glauben, dass derartige gesellschaftliche Rückschritte nicht kommentiert werden" stellte Hans, auch zurecht, fest.
"SZ"-Redakteurin Christina Berndt trug als Münchnerin zur Diskussion bei, dass viele Menschen in München gerne ein Zeichen gegen "drastische Diskriminierungsschritte" setzen wollen. Moderator Lanz wies gerne immer mal wieder darauf hin, dass CSU-Chef Markus Söder noch vor wenigen Jahren gemeinsame Wahlkampfauftritte mit Orbán absolviert hat. Und Alexander darauf, dass EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen sich von EU-Abgeordneten aus Orbáns Partei Fidesz hat wählen lassen, selbst noch nach deren antisemitischem Wahlkampf. Kurzum: Das war eine offene, differenzierte Diskussion, die zeigte, dass es sowohl außerhalb als auch innerhalb der EU viele Probleme gibt, die sich in Deutschland allein nicht lösen lassen – was natürlich nicht dagegen spricht, dazu Stellung zu beziehen.
Konsequenz: Um die beiden übrigen Themen ging es nur kurz. Zur Corona-Pandemie wurde über eine Aussage Gesundheitsminister Spahns diskutiert, derzufolge "Wechselunterricht" in den Schulen im Herbst erneut zu den möglichen Maßnahme zählen könnte. "Unfassbar" nannte die "SZ"-Journalistin Berndt, dass für viele Kinder, die in der Pandemie mit "die härtesten Maßnahmen erleiden mussten", erneut Homeschooling erwogen wird, während nun Fußballfans durch teilweise gut gefüllte Stadien tingeln und ohne Masken jubeln. Alexander wiederum verstand nicht genau, was das Skandalöse an Spahns Äußerung gewesen sei. Der Minister habe ja nur laut über künftig mögliche Szenarien nachgedacht. "Ein Stück weit Versagen der EU" konstatierte Ministerpräsident Hans und meinte damit, dass in Europa noch immer kein gemeinsames Verständnis der Pandemie herrscht. In manchen Staaten sind volle Stadien zugelassen, in anderen wie in Deutschland nur mäßig gefüllte.
In der letzten Viertelstunde ging's ums CDU-Programm, dabei weniger um Fragen der Finanzierung als um Details: das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare, das Gendern, das Tierwohl. Journalist Alexander hätte Hans gerne zur CO2-Bepreisung befragt. Anhand des CDU-Programms könne man gar nicht ausrechnen, in welche Höhe der Benzinpreis künftig steigen wird – anders als bei den Grünen, die genau dafür "auf die Mütze bekamen".
"Sie wollen keinem wehtun" wiederholte Markus Lanz suggestiv und fragte Tobias Hans dann noch "Gendern Sie auch?", um dann einen Ausschnitt aus einer Show im Mai einzuspielen, in der der Hamburger CDU-Chef Ploß das Gendern für staatliche Stellen "unterbinden" wollte. Dabei gendert Tobias Hans unüberhörbar, hatte etwa von "Zuschauenden" statt von Zuschauern im Stadion gesprochen. Als Vater findet er, seine beiden Töchter sollten sich später nicht vom generischen Maskulinum "mitmeinen" lassen müssen, sieht aber kein Problem darin, dass dieses Thema nicht im Unions-Wahlprogramm auftaucht. Zumindest besitzt Hans Routine genug, kurzatmige Attacken zu parieren. Das zeigte der letzte Teil der insgesamt aber kurzweiligen Sendung.
- "Markus Lanz" vom 22. Juni