Kritik von Aktivistin Wird Merkel zur "Klimazerstörungskanzlerin"?
US-Präsident Joe Biden hat Entscheider aus aller Welt zu virtuellen Klimagesprächen geladen. Auch Kanzlerin Angela Merkel ist dabei. Was ist übrig von ihrem verblassten Titel als "Klimakanzlerin"? Aktivisten sind skeptisch.
Es geht auch viel um Symbolkraft, wenn US-Präsident Joe Biden an diesem Donnerstag und Freitag 40 Staats- und Regierungschefs zum virtuellen Klimagipfel lädt. Die USA kommen nach der langen Ära unter Donald Trump, der Klimaschutz als überflüssig abtat, zurück an den Verhandlungstisch. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schaltet sich online zu, ihre Rede ist für Donnerstagnachmittag angesetzt. Und schon vorab herrschen im Kanzleramt Freude und Erleichterung darüber, dass sich der neue Mann im Weißen Haus ganz anders als sein republikanischer Vorgänger den Kampf gegen die Erderhitzung auf die Fahne schreibt.
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Nach dem Wiedereintritt der USA ins Pariser Klimaabkommen – eine der ersten Amtshandlungen von Joe Biden – sei dieser Klimagipfel "ein weiteres positives Signal", teilt die Bundesregierung mit. Die USA spielten als große Wirtschaftsnation eine entscheidende Rolle für den internationalen Klimaschutz. Mit Spannung erwarte Deutschland den "neuen nationalen Beitrag" der Vereinigten Staaten – also konkrete Zusagen zur Senkung von Treibhausgas-Emissionen bis 2030, heißt es auf Anfrage aus dem Kanzleramt.
Bis 2030 muss sich weltweit mehr tun, wenn die Erderwärmung, wie 2015 in Paris vereinbart, deutlich unter zwei Grad bleiben soll. Denn schon jetzt hat sich die Erde um gut ein Grad erwärmt, im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Die zehn Jahre von 2011 bis 2020 waren das wärmste Jahrzehnt seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die fatalen Folgen, je nach Region: mehr Hitzewellen und Dürren sowie Stürme, Unwetter und Überschwemmungen.
Deutschland selbst orientiert sich am europäischen Klimaziel, das die Verhandler in Brüssel in der Nacht zu Mittwoch endgültig festgezurrt haben. Bis Ende der Dekade sollen die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um mindestens 55 Prozent sinken. Die Betonung liege dabei auf "mindestens", sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Mittwoch. Für Deutschland bedeute der europäische Beschluss, dass "auch wir unser Tempo beim Klimaschutz deutlich erhöhen werden".
Merkel hat "eine Menge im Gepäck"
55 Prozent bis 2030 sei "für Deutschland eine gewaltige Aufgabe", sagt Ottmar Edenhofer, Präsident des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. "Jetzt brauchen wir konkrete Maßnahmen, vor allem einen Ausbau der europäischen Bepreisung von CO2", fordert der Ökonom. Der von Biden einberufene Gipfel sei eine große Chance, um mithilfe der Vereinigten Staaten einen internationalen Systemwechsel zu befördern.
Um die Treibhausgase weltweit zu reduzieren, wäre aus Edenhofers Sicht ein weltweiter CO2-Mindestpreis ein gutes Instrument. Vieles hänge jetzt von der Dynamik auf europäischer Ebene ab. Die EU will bis Juni ihr Gesetzespaket zur Ausgestaltung der neuen Klimaziele vorlegen. "Der europäische Green Deal ist ein sehr, sehr ambitioniertes Paket", sagt Edenhofer. Auch Frau Merkel habe "schon eine Menge im Gepäck".
Umweltverbände sind dagegen eher ernüchtert. Sie fordern, dass Deutschland sich ein eigenes Reduktionsziel von mindestens 70 Prozent im Vergleich zu 1990 verbindlich setzt.
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Aktivistin fürchtet "Symbolpolitik"
Und sie erwarten von der Bundeskanzlerin, die in der Vergangenheit immer wieder hoffnungsvoll als "Klimakanzlerin" betitelt wurde, ambitioniertere Zusagen zur Unterstützung ärmerer Staaten im Kampf gegen die Klimakrise. Bis zum Jahr 2025 sollte Deutschland seine Anstrengungen verdoppeln und acht Milliarden Euro jährlich für diesen Zweck zur Verfügung stellen, sagt etwa Jan Kowalzig, Klimaexperte der Hilfsorganisation Oxfam. Von Greenpeace heißt es, die Bundeskanzlerin müsse klar machen, dass sie in ihren letzten Monaten im Amt Deutschland auf einen 1,5-Grad-Pfad führen werde. Auch die deutschen Klimaziele seien "meilenweit vom Pariser Klimaziel entfernt".
Der Klimaforscher Edenhofer betont, dass nicht allein die Geldmenge ausschlaggebend sei, sondern vielmehr der Verwendungszweck. So wäre aus seiner Sicht etwa ein internationaler Fonds zum globalen Kohleausstieg sinnvoll. Wichtig wäre es auch, sagt Edenhofer, Subventionen für fossile Brennstoffe abzubauen. Die Tonne CO2 werde derzeit weltweit mit etwa 150 Dollar subventioniert, rechnet er vor. Ein absoluter Missstand, finden auch die Klima-Aktivisten von Fridays for Future.
Die aktuellen Verpflichtungen aus Deutschland reichten bei weitem nicht aus, sagt die Kölner Klimaaktivistin Pauline Brünger. Sie befürchtet "Symbolpolitik", die den Planeten ruiniere. Dabei sei die Kanzlerin in ihrer jetzigen Position, kurz vor Ende ihrer Kanzlerschaft, "freier denn je", kraftvolle Zusagen zu machen, argumentiert die junge Frau. Wenn Angela Merkel am Donnerstag kein deutliches Zeichen setze, laufe sie Gefahr, als "Klimazerstörungskanzlerin" in die Geschichte einzugehen.
- Nachrichtenagentur dpa