Homeoffice wegen Corona Ökonom: "Zuerst die Büros schließen, dann die Schulen"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Bundesregierung bittet Arbeitgeber darum, ihre Angestellten zu Hause arbeiten zu lassen. Wirtschaftsprofessor Harald Fadinger kritisiert: Das genügt bei Weitem nicht.
Die Infektionszahlen sind anhaltend hoch, die Gesundheitsämter überarbeitet, die Infektionswege bleiben deswegen unklar. Immer lauter wird der Ruf danach, im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus auch die Wirtschaft stärker in die Pflicht zu nehmen.
Homeoffice ist dabei ein Schlüsselwort, die Homeoffice-Pflicht ein Reizwort. Während sich die Grünen inzwischen für eine Verpflichtung der Arbeitgeber aussprechen, kündigten SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil und CSU-Ministerpräsident Markus Söder an diesem Montag an, auf Freiwilligkeit und Zielvorgaben setzen zu wollen.
Harald Fadinger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und Research Fellow am Centre for Economic Policy Research in London. Er hat während des ersten Lockdowns im Frühjahr mit der Studie "My home is my castle" untersucht, wie sich die Homeoffice-Rate auf die Pandemie und die Lebenswelt von Arbeitnehmern auswirkt. Sein Fazit ist deutlich: Mehr Homeoffice, deutlich weniger Ansteckungen.
t-online: Herr Fadinger, Arbeitgeber werden von der Bundesregierung bisher nur darum gebeten, Homeoffice-Möglichkeiten zu schaffen. Ist Bitten genug angesichts der aktuellen Pandemielage?
Harald Fadinger: Nein, denn mehr Homeoffice führt zu deutlich weniger Corona-Infektionen. Das haben wir in einer Studie über die erste Welle im Frühjahr gezeigt. Wenn nur ein Prozentpunkt der Arbeitnehmer mehr im Homeoffice arbeitet, dann reduziert das die Infektionen um vier bis acht Prozent. Gerade die in der Pandemie dauerhaft kritischen Großstädte profitieren, weil es hier besonders viele Bürojobs gibt.
Welche Corona-Politik würden Sie im Arbeitsbereich stattdessen empfehlen?
Eine Homeoffice-Pflicht für alle Berufe, die im Homeoffice arbeiten können. Und eine Beweislastumkehr während der Pandemie: Will der Arbeitgeber nicht, dass sein Angestellter im Homeoffice arbeitet, dann muss er beweisen, dass der Job nicht von zu Hause gemacht werden kann.
Die Grünen fordern die Homeoffice-Pflicht gerade auf Bundesebene, inklusive Bußgeldern gegen Verstöße. Warum kommt die Diskussion in Deutschland erst im elften Monat der Pandemie so richtig auf?
Ich denke, das Bewusstsein kommt jetzt erst auf, da die Infektionszahlen trotz Lockdown kaum sinken. Das war im Frühjahr ganz anders, damals fielen die Infektionsraten sehr rasch, weil viel mehr Menschen die Kontaktbeschränkungen einhielten.
Die Grünen-Politikerin Laura Dornheim hat unter dem Hashtag #MachtBürosZu eine Aktion gestartet und sammelt Berichte von Menschen, die trotz Pandemie angehalten werden, ins Büro zu kommen. Sind das Einzelfälle oder ein systemisches Problem?
Es ist schwer einzuschätzen, dazu fehlen leider Daten. Ich kenne auch nur Anekdoten – zum Beispiel von Medienagenturen, die ihre Mitarbeiter weiter jeden Tag ins Büro kommen lassen. Da kann man sich nur wundern.
Wie hoch müssten Bußgelder angesetzt sein, um Wirkung zu zeigen?
Das ist spontan schwierig zu sagen, ich würde aber meinen, im selben Bereich wie andere Verstöße durch Unternehmen gegen Infektionsschutzmaßnahmen. Also empfindliche Strafen in Höhe von bis zu mehreren Tausend Euro pro Arbeitnehmer.
Wie viele Menschen arbeiten zurzeit im Homeoffice?
Da ist leider ein trauriger Trend zu beobachten: Im Frühjahr haben einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge 27 Prozent der Arbeitnehmer aus dem Homeoffice gearbeitet. Jetzt, im November, waren es nur noch 14 Prozent – knapp die Hälfte. Es arbeiten jetzt also viel weniger Menschen im Homeoffice als im Frühjahr – obwohl die Unternehmen Zeit hatten, sich umzustellen und erste Erfahrungen zu sammeln.
Und obwohl die Infektionszahlen sehr viel höher sind als im Frühjahr, also auch die Infektionsgefahr für die Arbeitnehmer. Was sind die Gründe für den massiven Rückgang beim Homeoffice?
Es liegt vermutlich an Arbeitgebern wie Arbeitnehmern. Ich glaube, dass die großen Unternehmen auf Homeoffice setzen. Sie haben die notwendige Infrastruktur geschaffen, sehen vielleicht auch zusätzlich Pluspunkte, wie eine mögliche Kostenersparnis durch eine Reduktion der Bürofläche. Vor allem kleinere Unternehmen aber schicken ihre Angestellten ohnehin ungern ins Homeoffice. Da schwingt nach wie vor viel unbegründetes Misstrauen mit. Man befürchtet zum Beispiel, dass nicht dieselbe Leistung erbracht wird. Dabei haben Studien dieses Vorurteil schon widerlegt.
Was spricht für Arbeitnehmer gegen das Homeoffice?
Für Arbeitnehmer war der erste Lockdown hart: Viele mussten unter schlechten Bedingungen aus dem Homeoffice arbeiten, es fehlten technische Voraussetzungen. Und, ein sehr wichtiger Faktor: Die Schulen hatten zu. Homeoffice und Kinderbetreuung gleichzeitig geht nicht. Wenn die Infektionslage es noch zulässt, muss die Politik sich entscheiden: Entweder bleiben die Kinder zu Hause oder die Eltern. Das hat der erste Lockdown deutlich gezeigt.
Wofür plädieren Sie: Zuerst die Schulen oder die Büros schließen bei hohen Infektionszahlen?
Büros müssen zuerst geschlossen werden. Die Kosten für die Erwachsenen sind sehr viel geringer als für die Kinder. Ein Jahr weniger Bildung für ein Kind reduziert sein Lebenseinkommen um fünf bis sieben Prozent, zeigen Berechnungen. Besonders trifft es die Kinder, die aus Familien mit wenig Geld stammen oder wenig Unterstützung erhalten. Die Kosten für die Arbeitnehmer sind im Vergleich vernachlässigbar.
In manchen Berufen ist Homeoffice ganz unmöglich. Wie viele Arbeitgeber könnten in Deutschland denn überhaupt ihren Job von zu Hause aus machen?
56 Prozent aller Arbeitnehmer, über alle Branchen hinweg, sagen in Deutschland: Ich könnte meinen Job zumindest teilweise im Homeoffice machen. Ausgeschlossen davon sind vor allem Bereiche, in denen eine spezielle Ausrüstung für die Arbeit notwendig ist, zum Beispiel in der Industrie oder in Laboren. Oder Jobs, in denen Kontakte zwingend sind, wie in der Krankenpflege, bei Frisören oder im Einzelhandel.
Vor allem jene, die weniger verdienen, können oft nicht im Homeoffice arbeiten. Ist das gerecht?
Die Frage nach Homeoffice ist immer auch eine soziale Frage, weil sie so eng mit dem Faktor Bildung verbunden ist. Menschen, die einen Uniabschluss haben, können sehr häufig ohne Probleme aus dem Homeoffice arbeiten. Leute, die nicht studiert haben, verdienen weniger, müssen eher in Präsenz arbeiten, haben dadurch ein höheres Infektionsrisiko und auch ein höheres Risiko, in Kurzarbeit geschickt zu werden. Für mich ist das Homeoffice deswegen auch eine Frage der Solidarität.
Inwiefern?
Wir sollten die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Kosten nicht auf die ohnehin Schwächeren in der Gesellschaft abschieben. Die Privilegierten, die aus dem Homeoffice arbeiten und ihre Kontakte maximal reduzieren können, sollten das unbedingt tun – dann sinken die Infektionszahlen und damit auch die Risiken für alle anderen.
Auch außerhalb der Pandemie wird über einen Homeoffice-Anspruch diskutiert. Zuletzt ging es dabei um einen Anspruch von 20 Tagen pro Jahr. Zu wenig, kritisierten viele.
Das denke ich auch. Gerade Frauen haben im Beruf riesige Nachteile, weil sie oft auch noch Haushalt und Kinderbetreuung stemmen müssen. Sie schrecken davor zurück, Vollzeitjobs anzunehmen – mit dramatischen Konsequenzen für ihr Gehalt und ihre Altersvorsorge. Diese Unmöglichkeit von Vollzeitjobs würde durch das Homeoffice stark reduziert, denke ich.
Laufen Frauen dann nicht Gefahr, im Homeoffice erst recht Job, Kinder und Haushalt stemmen zu müssen und auszubrennen?
Die Gefahr besteht. Umso wichtiger ist es, die Arbeitszeit- und -schutzgesetze auf das Homeoffice zu übertragen. Dann schafft Homeoffice Flexibilität, dann können die Vorteile die Nachteile bei Weitem überwiegen.
- Eigenes Interview
- Studie: "My home is my castle - The benefits of working from home during a pandemic crisis"