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"Querdenker"-Studie: Frauen glauben stärker an Corona-Verschwörungen


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Soziologen forschen
Studie: "Querdenker"-Frauen glauben eher an Verschwörung


Aktualisiert am 17.12.2020Lesedauer: 5 Min.
"Querdenker": Sie sprechen vom "Ende der Pandemie". Mehr als 1.100 aus entsprechenden Telegram-Gruppen haben sich an einer Online-Befragung von Soziologen beteiligt. Frauen zeigten sich dabei offener für Verschwörungsideologien und waren größere Fans von Alternativmedizin.Vergrößern des Bildes
"Querdenker": Sie sprechen vom "Ende der Pandemie". Mehr als 1.100 aus entsprechenden Telegram-Gruppen haben sich an einer Online-Befragung von Soziologen beteiligt. Frauen zeigten sich dabei offener für Verschwörungsideologien und waren größere Fans von Alternativmedizin. (Quelle: imago-images-bilder)
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Vorabergebnisse einer Studie zu "Querdenkern" hatten aufhorchen lassen. 21 Prozent Grünen-Wähler in der Bewegung? Jetzt gibt es an der Zahl große Zweifel – und viele Details, die nachdenklich machen.

Was kommt heraus, wenn Wissenschaftler in Gruppen mit "Querdenkern" auf Telegram eine Umfrage starten? "21 Prozent der 'Querdenker' wählten die Grünen", titelten Medien zu ersten Ergebnissen einer Studie des Soziologen Oliver Nachtwey. Fremdenfeindlichkeit oder die Verharmlosung des Nationalsozialismus sind wenig verbreitet, so ein Ergebnis der Universität Basel. "Querdenker" verbreiteten das triumphierend und konterten: Wieso beobachtet der Verfassungsschutz Baden-Württemberg sie? Jetzt liegt die ausführliche Studie t-online vor – und sie zeigt: Die Zahlen sind nur eingeschränkt aussagekräftig. Sie können aber beim Verständnis der Proteste helfen. Und sie zeigen Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

Deutlich wird: Wer von "Querdenkern" und "Corona-Rebellen" freiwillig Antworten auf Fragen zu ihren Einstellungen haben will, bekommt kein repräsentatives Bild. Das räumen Nachtwey und sein Forscherteam von der Universität Basel ein. Sie hatten in Telegram-Gruppen mit mehr als 200 Mitgliedern in der vorletzten Novemberwoche den Link zu einer Online-Umfrage gepostet. Mehr als 1.150 Fragebögen wurden ausgefüllt.

Gruppen rieten von Teilnahme ab

Schon bei ihrer Anfrage merkten die Wissenschaftler, dass sie vielfach unerwünscht sind: In einigen Gruppen wurde vor der Teilnahme gewarnt, in großen und professionell geführten Gruppen wurden sie geblockt. "Geradezu wissenschaftsfeindlich" seien viele Rückmeldungen gewesen. Überzeugte Querdenker stehen nach Ansicht der Forscher öffentlichen Institutionen wie der Wissenschaft skeptisch gegenüber.

Und umgekehrt: Wer teilgenommen hat, antwortete trotz anonymer Befragung vielleicht strategisch so, wie er sich die Wahrnehmung von "Querdenkern" wünscht: "Wir können eine Overcoverage von Personen vermuten, die die Bewegung in ein positives Licht rücken möchten", so die Forscher.

Das heißt also: Besonders aufgewiegelte "Corona-Rebellen" haben sich eher nicht beteiligt. Und die, die den Fragebogen ausfüllten, wollten die "Querdenker" möglicherweise eher als weltoffene, gut gebildete Grünen-Anhänger erscheinen lassen. Das können sie selbst tatsächlich sein – oder sich so darstellen. Die Forscher haben keine Möglichkeit, das zu gewichten oder zu korrigieren. Es zeigt aber: Die Aussage "21 Prozent der Querdenker wählten die Grünen" ist sehr fragwürdig. Sie geht zurück auf 622 Antworten. Potenziell gerichtet hatte sich die Umfrage an Gruppen mit insgesamt 75.000 Mitgliedern.

Frauen größere Anhänger von Alternativmedizin

Auffällig war, wer teilgenommen hat: Fast keine jungen Menschen – nur sechs waren unter 20, nur zehn Prozent unter 30. Dafür ungewöhnlich viele Selbständige – mit einem Anteil von 25 Prozent viel stärker vertreten als in der Gesamtbevölkerung (9,6 Prozent). 34 Prozent gaben an, einen Studienabschluss zu haben – ein fast doppelt so hoher Anteil wie in der Bevölkerung insgesamt. Der Bildungsgrad machte bei den Ansichten einen deutlichen Unterschied aus, zeigt die Befragung. Sie hat auch ergeben, dass die Frauen etwas stärker Verschwörungsideologien anhingen.

Der Faktor Geschlecht: Männer und Frauen waren sich in den Antworten fast einig darüber, dass die natürlichen Selbstheilungskräfte stark genug seien, um das Virus zu bekämpfen. Doch im Detail gibt es bei der Einstellung zur Gesundheit sichtbare Unterschiede: Frauen waren deutlich stärker dafür, Alternativmedizin mit Schulmedizin gleichzusetzen und spirituelles Denken zu fördern. Bei ihnen war auch die Tendenz ausgeprägter, auf Gefühle zu vertrauen.

Sie neigten in fast allen Punkten etwas mehr zu Verschwörungsglauben als Männer. Einzige Ausnahme: Studien zum Klimawandel: Die hielten Männer häufiger für gefälscht. Klimawandelleugner sind die "Querdenker" in der Umfrage aber insgesamt eher nicht. Die "Querdenker" lehnten auch mit überwältigender Mehrheit die These ab, dass es wertvolles und unwertes Leben gebe – Männer stimmten dem aber deutlich häufiger zu.

Bei beiden Geschlechtern war der Glauben verbreitet, dass Gates eine Zwangsimpfung der ganzen Welt will und Politiker nur Marionetten irgendwelcher Mächte sind. Frauen stimmten deutlich häufiger zu, dass mit der Impfung Mikrochips verbreitet werden, insgesamt zweifelten die Teilnehmer aber eher daran.

Der Faktor Bildung: Diejenigen, die sich als hochgebildet darstellten, stimmten in allen Punkten rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Positionen weniger zu als jene, die einen niedrigen Ausbildungsstand haben. Sie stimmten auch verschwörungsideolgischen und wissenschaftsfeindlichen Positionen deutlich weniger zu. Besonders weit gingen die Meinungen bei der Frage zum Einfluss von Juden auf die Politik und nach Ausweisung von Ausländern bei Arbeitsplatzknappheit auseinander. Insgesamt überwog aber eher die Ablehnung dieser Thesen. Fast 30 Prozenten drückten sich aber um die Antwort auf die Frage nach dem Einfluss von Juden.

Mit Reichsflaggen wenig Probleme

Ähnlich oft machten die Teilnehmer keine Angabe bei der Frage, ob sie glauben, dass die Regierung Mikrochips implantiert. Wer Antwort gab und Abitur oder Uni-Abschluss hat, lehnte die Thesen mehrheitlich ab, die Teilnehmer mit niedriger Bildung waren unentschieden. Identisch war das Verhältnis bei der Frage, ob Klimawandel Betrug ist. Völlig unabhängig vom Bildungsgrad fanden die "Querdenker" insgesamt mehrheitlich, dass die AfD eine normale Partei ist, Aufregung über Reichsflaggen übertrieben sei. Bildung machte dann wieder einen großen Unterschied bei der Haltung dazu aus, ob Deutschland ein souveräner Staat ist: eher nicht, und die weniger Gebildeten zweifeln deutlich stärker.

Der Aktivisten-Faktor: In der Umfrage gab die Hälfte an, noch nie auf einer Demo gewesen zu sein, jeder Zehnte dagegen sagte, schon an mehr als zehn Kundgebungen teilgenommen zu haben. 86 Prozent hatten schon Petitionen unterzeichnet, nur einer gab an, gewalttätige Aktionsformen unterstützt zu haben. "Querdenker" mit Demoerfahrungen äußerten sich weniger fremdenfeindlich als die reinen Internetaktivisten und stellten sich deutlicher gegen rechtsextremistische Positionen. Sie glaubten dafür deutlich stärker, dass das Volk hintergangen wird und waren deutlicher Befürworter von Alternativmedizin.

Das Gesamtbild: An den Antworten wird auch deutlich, wie sehr grundsätzliche Überzeugungen und Misstrauen Antworten prägen. Die Forscher fragten, ob sich die Menschen freiwillig gegen Corona impfen lassen, "wenn der Impfstoff nachweislich keine nennenswerten Nebenwirkungen hat". Keine Gefahr – 84 Prozent antworteten trotzdem mit Nein.

Die Forscher kommen nach der Auswertung der Umfrage und einzelner Interviews bei Demonstrationen auch zum Schluss: Kritik der "Querdenker" zielt weniger auf einzelne Maßnahmen, sondern auf alles gleichzeitig. "Die Corona-Krise scheint eine gute Möglichkeit zu sein, einmal zu sagen, dass man eigentlich gegen alles ist – gegen die Reichen und Mächtigen, gegen die Wissenschaft, die Schulmedizin, die Justiz und Polizei." Wichtig sei nicht, wogegen man konkret ist, sondern dass man dagegen ist.

Das verbinde die heterogene und widersprüchliche Gruppe. Die Quellen der "Querdenker" würden daher ihre Glaubwürdigkeit beziehen: Glaubwürdig sei dort, was kritisch ist. Das könnte eine Erklärung der Wahlabsichten liefern: Von angeblich 15 Prozent AefD-Wählern bei der letzten Bundestagswahl würde der Wert auf 27 Prozent steigen, ergab di Befragung. Die Forscher sprechen von einer "Bewegung, die eher von links kommt, aber stärker nach rechts geht." 22 Prozent nannten völlig unbedeutende neue Anti-Corona-Parteien.

Wissenschaftler: Gesellschaft muss sich prüfen

40 Prozent der Teilnehmer gaben aber auch an, dass Wählen keinen Sinn ergibt. Für Institutionen hatten die Teilnehmer der Umfrage generell wenig übrig: Mehr als 90 Prozent haben nur geringes Vertrauen in Massenmedien, 85 Prozent geringes Vertrauen in die Regierung, knapp 40 Prozent misstrauen auch der Polizei deutlich.

75 Prozent erklärten, damit unzufrieden oder sehr unzufrieden zu sein, wie die Demokratie funktioniert. Die Forscher finden deshalb noch eine andere Frage wichtig. Wie es dazu in Deutschland kommt, wo die "Querdenken"-Bewegung stärker vertreten ist als überall sonst. Auch die Gesellschaft müsse sich prüfen: "Was für eine Gesellschaft bringt derartige Bewegungen hervor, was sind ihre strukturellen Voraussetzungen?"

Verwendete Quellen
  • Grundauswertung - Politische Soziologie der Corona-Proteste
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