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Coronavirus-Pflichttests: Hat die Regierung bei Urlaubsrückkehrern gepennt?


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Corona-Pflichttests
Hat Spahn beim Thema Urlaubsrückkehrer geschlafen?


Aktualisiert am 28.07.2020Lesedauer: 5 Min.
Jens Spahn: Der Gesundheitsminister will Tests für Rückkehrer aus Risikogebieten zur Pflicht machen. Zu spät – sagt nicht nur die Opposition.Vergrößern des Bildes
Jens Spahn: Der Gesundheitsminister will Tests für Rückkehrer aus Risikogebieten zur Pflicht machen. Zu spät – sagt nicht nur die Opposition. (Quelle: Tobias Schwarz/reuters)

Jetzt soll sie kommen: die Corona-Testpflicht für Rückkehrer aus Risikogebieten. Doch reicht das aus? Und warum wird erst mitten in der Ferienzeit darüber diskutiert?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich entschieden: Es soll eine generelle Testpflicht für Einreisende aus Risikogebieten geben. Die entsprechende Anordnung soll wahrscheinlich in der kommenden Woche in Kraft treten. "Wir müssen verhindern, dass Reiserückkehrer unbemerkt andere anstecken und so neue Infektionsketten auslösen", sagte der CDU-Politiker. Ist das sinnvoll? Reicht das aus? Und warum erst jetzt, wo die Sommerferien zum Teil schon wieder enden? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Wieso wird erst jetzt über die Testpflicht diskutiert?

Das Ministerium verweist auf Anfrage auf aktuelle Interviews von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zum Thema. Dort beantwortet er diese Frage allerdings unterschiedlich. Er betont zum einen, dass es schon jetzt für Einreisende aus Risikogebieten eine Pflicht zur 14-tägigen Quarantäne gebe, die nur durch einen negativen Test aufgehoben werde. Allerdings bräuchte es ja keine neue Regelung, wenn er das für ausreichend halten würde.

Im Deutschlandfunk antwortete Spahn, man könne immer fragen, ob eine Regelung zwei Wochen früher nicht besser gewesen wäre. Jetzt sei aber der richtige Zeitpunkt, da es einen noch sehr eingeschränkten Flug- und Reiseverkehr in Nicht-EU-Staaten gebe. Im ZDF sagte Spahn am Montagabend, man sehe zunehmend Ausbrüche in Familien und in Freundeskreisen, die etwas mit Einreisen aus Risikogebieten zu tun hätten. Das sei neu, und deshalb brauche es jetzt eine Testpflicht für diese Menschen.

Welche anderen Gründe gibt es für das späte Handeln womöglich?

Darüber spricht man zumindest in der Regierungskoalition nur hinter vorgehaltener Hand. Aus Koalitionskreisen heißt es, es gebe wohl keine objektiven Gründe für die späte Beschäftigung mit dem Thema. Die Gesundheitsminister, auch die der Länder, seien offenbar lange auf Sicht gefahren, es sei die ganze Zeit eher um Lockerungen als um Verschärfungen gegangen. Nun hätte die aktuelle Lage mit steigenden Zahlen in vielen Staaten und Bildern von Partys in Urlaubsländern das Thema in der Öffentlichkeit wieder dringlicher werden lassen.

Jemand anderes kritisiert, die Gesundheitsminister hätten in den Ferien offenbar schlicht nichts mit Corona zu tun haben wollen. Auch Spahn habe viel zu lange nicht gehandelt. Er sei wohl eher mit der CDU-internen Vorsitzkandidatur beschäftigt gewesen.

Was sagt die Opposition zur jetzigen Debatte?

Die Testpflicht wird generell auch in der Opposition begrüßt. Dass die Tests für Reisende kostenlos sein sollen, kritisiert derzeit nur FDP-Chef Christian Lindner. Am Zeitpunkt der Debatte gibt es aber scharfe Kritik. "Ich kann nicht begreifen, dass darüber erst jetzt gesprochen wird, das wäre schon am Anfang der Pandemie notwendig gewesen", sagte Linke-Chef Bernd Riexinger im Gespräch mit t-online.de. "Sobald Tests zur Verfügung standen, hätte man systematisch alle Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko testen müssen."

Auch aus der FDP gab es harsche Kritik. Es sei "vollkommen unverständlich", warum Spahn erst jetzt Pflichttests prüfe, kritisierte die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus vor einigen Tagen. "Ob ein verpflichtender Test überhaupt rechtlich möglich ist, hätte er schon vor Monaten klären müssen."

Sind die Pflichttests rechtlich möglich?

Ja. Das Bundesgesundheitsministerium begründet die Rechtmäßigigkeit mit Paragraf 5 des Infektionsschutzgesetzes, das kürzlich für Ausnahmelagen wie die Corona-Pandemie geändert worden ist. Demnach können Einreisende aus Risikogebieten zu einer ärztlichen Untersuchung verpflichtet werden – ausschließlich zur Feststellung und Verhinderung der Einschleppung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit.

"Wer in Risikogebiete reist, muss damit rechnen, dass danach ein Test auf ihn zukommen könnte", sagte kürzlich der Rechtswissenschaftler Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg. Ein solcher Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit sei zumutbar und verfassungsrechtlich legitim.

Wie sehen Wissenschaftler und Ärzte die Testpflicht?

Die Testpflicht erfährt allgemein viel Zustimmung. Dass laut dem Beschluss nur Urlaubsrückkehrer aus Risikogebieten getestet werden sollen, betrachten jedoch manche Forscher als mangelhaft. Gérard Krause, Leiter der Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, sagte dazu im ZDF-"Morgenmagazin", dies sei zwar ein Problem. "Aber wir müssen irgendwo anfangen, zu fokussieren."

Der Epidemiologe Prof. Markus Scholz von der Universität Leipzig hatte schon Mitte Juli im Interview mit t-online.de erklärt: "Eine große Gefahr geht von den verstärkten Reiseaktivitäten aus." Es gebe zwar aktuell viele Kreise, in denen über Wochen keine neuen Fälle mehr aufgetreten seien. "Durch verstärkte Reiseaktivitäten kann es in diesen Kreisen jedoch jederzeit wieder zu neuen Einträgen des Virus kommen, die dann aufgrund der weitgehenden Lockerungen wieder zu neuen Ausbrüchen führen."

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Wie verlässlich sind die Tests überhaupt?

Die sogenannten PCR-Tests, die das Virus über einen Abstrich aus dem Mund-, Nasen- oder Rachenraum nachweisen, liefern nur eine Momentaufnahme. "Ein negatives PCR-Ergebnis schließt die Möglichkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2 nicht aus", heißt es dazu vom RKI. Falsch-negative Ergebnisse seien etwa wegen schlechter Qualität der Probennahme, unsachgemäßen Transports oder ungünstigen Zeitpunkts der Probenentnahme nicht auszuschließen. Werde ein Patient mit begründetem Verdacht auf eine Corona-Infektion in der ersten PCR negativ getestet, sollte mit dem Labor eine erneute Probenentnahme und -untersuchung abgesprochen werden, rät das RKI.

Warum sind Tests trotz Symptomfreiheit wichtig?

Bis das Testergebnis verfügbar ist, müssen Reisende aus Risikogebieten in Quarantäne gehen. Nur bei einem negativen Testergebnis entfällt die sonst vorgeschriebene 14-tägige Quarantäne. Das ist aus epidemiologischer Sicht sinnvoll. Denn zum einen entwickeln nicht alle mit SARS-CoV-2 Infizierten überhaupt Symptome. Zum anderen ist bei dem Erreger tückisch, dass Infizierte schon vor Beginn von Krankheitsanzeichen besonders ansteckend sind. Wird jemand durch Symptome auffällig, hatte er oft schon Kontakte mit mehreren Personen, die inzwischen auch schon wieder ansteckend sein könnten.

Welche Staaten und Regionen sind Risikogebiete?

Das legt die Bundesregierung mit dem Robert Koch-Institut (RKI) in einer Liste fest. Zentrales Kriterium ist, in welchen Staaten oder Regionen es in den vergangenen sieben Tagen mehr als 50 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner gegeben hat. Das Auswärtige Amt aktualisiert dazu fortlaufend seine Reisewarnungen. Auch das RKI bietet online eine Auflistung internationaler Risikogebiete. In der jüngsten Version reicht sie von Afghanistan und Ägypten über die USA bis zur Zentralafrikanischen Republik. Auch das EU-Land Luxemburg steht darauf.

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Aktuell zählen aber vor allem außereuropäische Länder zu den Risikogebieten. Beliebte Reiseländer wie Italien, Spanien oder Österreich oder Kroatien stehen derzeit gar nicht auf der Liste. Dies kann sich aber jederzeit ändern.

Wie viel machen Reiserückkehrer an den Fallzahlen in Deutschland aus?

Das ist laut Robert Koch-Institut (RKI) kompliziert zu sagen, weil nicht immer ganz eindeutig geklärt werden kann, wo sich ein Erkrankter wirklich infiziert hat. Ute Rexroth, die Leiterin der Epidemiologischen Surveillance beim RKI, sagte am Dienstag, dass Reiserückkehrer etwa zehn Prozent aller Fälle in Deutschland ausmachten. Während am Anfang der Pandemie sehr viele Fälle auf Reisen zurückzuführen gewesen seien, sei die Zahl zwischendurch gegen null gegangen – weil schlicht kaum noch jemand gereist ist. "In den letzten Wochen sehen wir, dass das wieder zunimmt", sagte Rexroth. Und sie prognostizierte, dass diese Zahlen mit der Rückreisewelle weiter zunehmen würden. Länder des Westbalkans wurden laut dem RKI in den vergangenen Wochen am häufigsten als wahrscheinliche Infektionsländer genannt.

Allerdings erhöhen eben nicht nur Reisen in ausgewiesene Risikogebiete die Gefahr, dass Urlauber das Virus nach Deutschland tragen. Das zeigt das Beispiel Spanien, wo die Zahl der Neuinfektionen innerhalb kurzer Zeit wieder stark nach oben geschnellt ist. Laut RKI-Expertin Rexroth gilt derzeit aber auch: Für Menschen, die in Deutschland leben, sei das auch der wahrscheinlichste Ort für eine Ansteckung.

Reicht eine Testpflicht für Risikogebiete aus?

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach meint: Nein. "Es sollte kostenlose Pflichttests für alle Urlaubsrückkehrer geben", sagte er t-online.de. "Die Unterscheidung zwischen Risikogebiet und Nicht-Risikogebiet macht keinen Sinn mehr. Es waren die Nicht-Risikogebiete, in denen es die großen Partys gab. Das Risikoverhalten ist entscheidend, und da ist in den Nicht-Risikogebieten viel mehr erlaubt als in den Risikogebieten." Lauterbach forderte, dass es auch an großen Bahnhöfen und an Autobahnen kostenlose Testmöglichkeiten für Reisende geben sollte.

Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche weist noch auf einen anderen Aspekt hin. "Verpflichtende Tests bei der Einreise können sinnvoll sein, aber sie sind nur eine Momentaufnahme", sagte sie t-online.de. "Deshalb ist eine Wiederholung sehr sinnvoll, um eine Infektion sicher ausschließen zu können."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • RKI: "Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2"
  • Pressekonferenz des RKI am 28. Juli
  • Interview mit Jens Spahn im ZDF
  • Interview mit Jens Spahn im Deutschlandfunk
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters
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