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In Deutschland: Selbstverständlich gibt es in der Polizei ein Rassismusproblem


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Kein Grund für Schönfärberei
Selbstverständlich gibt es in der Polizei ein Rassismusproblem

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 11.06.2020Lesedauer: 7 Min.
Polizisten in Schutzausrüstung: Die deutsche Polizei ist bestimmt nicht mit der US-amerikanischen zu vergleichen, aber allein die öffentlich bekannten Vorkommnisse und Verfehlungen als Einzelfälle abzutun, ist Schönfärberei.Vergrößern des Bildes
Polizisten in Schutzausrüstung: Die deutsche Polizei ist bestimmt nicht mit der US-amerikanischen zu vergleichen, aber allein die öffentlich bekannten Vorkommnisse und Verfehlungen als Einzelfälle abzutun, ist Schönfärberei. (Quelle: Montage: t-online.de/imago-images-bilder)
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Die deutsche Polizei ist nicht mit der US-amerikanischen zu vergleichen, doch sie ist nicht frei von Rassismus. Das wäre auch zu schön

Es ist ein untrügliches Zeichen für eine unehrliche Debatte, wenn komplizierte Sachverhalte schwarz-weiß gezeichnet werden. Wenn die einen sagen: "Unverschämtheit. Die deutsche Polizei hat kein Rassismusproblem. Es gibt höchstens Einzelfälle", und die anderen andeuten: "ACAB: All cops are bastards"“ – "Alle Bullen sind Schweine, weil sie gewaltbereit und fremdenfeindlich sind." Mit pro und contra ist es bei der Polizei nicht getan. Politiker und Politikerinnen wissen das. Dennoch reden viele von ihnen ähnlich undifferenziert. Das nervt, weil es bloß wieder ein Ausdruck der ermüdenden Auseinandersetzung zwischen politisch rechts und politisch links ist.

Auffällig viele bei CDU, CSU, FDP und AfD tendieren dazu, die Polizei erstmal grundsätzlich zu verteidigen – vielleicht weil sie mal gelernt haben, dass "law and order" zur DNA von Konservativen gehört. Auffällig viele bei Linken, Grünen und SPD glauben indes, sie müssten die Polizei prinzipiell verurteilen – vielleicht weil sie mal gelernt haben, dass Polizisten zwingend Repräsentanten kapitalistisch geprägter Machtverhältnisse seien. Warum hält man uns Bürgerinnen und Bürger bloß für so beschränkt, dass wir nur schwarz oder weiß verstehen? Warum?

Jahrelang wurden die Opfer ignoriert

Dieses dichotome Denken findet sich ähnlich unglaubwürdig in der Debatte über die Anti-Rassismus-Proteste vom Wochenende und deren Folge für die Ausbreitung des Coronavirus wieder. Die schärfste Kritik daran, dass Zehntausende bundesweit auf die Straße gegangen sind, kam fast ausschließlich von Menschen, die der Rassismus nicht direkt betrifft und die in der Vergangenheit nicht gerade dadurch aufgefallen sind, aktiv dagegen einzutreten.

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Haben Menschen, deren Hautfarbe nicht weiß ist, etwa weniger Angst vor Covid-19? Nein. Aber sie sind es, die seit Jahrzehnten unter dem Rassismus in Deutschland leiden. Man muss die Diskriminierungen und Abwertungen seit dem Zuzug von "Gastarbeitern" nicht erneut aufführen. Das ist unzählig erfolgt. Jeder kennt die "Pollacken"-, "Spaghettifresser"-, "Ölaugen"-, "Maximalpigmentierten"- oder "Rapefugees"-Geschichten oder kann sie googeln.

Jahrelang wurden Opfer von Rassismus ignoriert. Bis heute müssen sie dafür kämpfen, ernst genommen zu werden. Das ist einer einfachen mathematischen Logik geschuldet: Von Rassismus sind Minderheiten betroffen, und Minderheiten haben es schwerer gegenüber der Mehrheit.

Demos waren moralisch vertretbar

Als nach dem brutalen Tod des Afroamerikaners George Floyd durch Polizeigewalt in den USA die Stunde gekommen schien, entluden sich der über Jahre gewachsene Frust und die bis dato aufgestaute Resignation. Das trieb die Menschen und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer auf die Straße, und wenn so viele bereit sind, die Corona-Gefahren in Kauf zu nehmen, zeigt das, wie verzweifelt die Situation für Betroffene ist. "Am Ende ist ein Aufruhr die Sprache der Ungehörten", sagte einst Martin Luther King. So weit würde ich nicht gehen, aber die Aussage bringt die Gefühlslage vieler Betroffener zum Ausdruck.

Durch die Proteste wurden allerdings auch Unbeteiligte gefährdet, an Covid-19 zu erkranken. Das macht die Sache kompliziert und tragisch. Besser wäre es sicherlich gewesen, wenn sich alle Demonstrantinnen und Demonstranten konsequent an die Abstands- und Hygieneregeln gehalten hätten.

Da es sich am Ende um eine Ausnahmesituation und ein drängendes Thema handelt, halte ich die Demos trotzdem für moralisch vertretbar, allzumal die Infektionszahlen inzwischen überschaubar geworden sind und in den Bundesländern bereits erste Corona-Regeln wieder aufgehoben werden. Es wurden keine irrwitzigen Forderungen gestellt wie bei Anti-Corona-Demos, wo prinzipiell kein Mundschutz getragen wird, und es wurde keine aberwitzige Party am Landwehrkanal gefeiert. Rassismus ist ein allgegenwärtiges Problem, wissenschaftlich bestens belegt, seit Jahrhunderten wirksam und ebenfalls Ursache für den Tod unschuldiger Menschen. Wer in die Geschichte zurückblickt, stößt auf Millionen Opfer.

Gegenseitige Vorurteile führen zu Missverständnissen

Einige diese Opfer gehen auf das Konto von Polizistinnen und Polizisten, andere wurden Dank des mutigen Einsatzes von Polizistinnen und Polizisten gerettet. Menschen lassen sich nicht alle über einen Kamm scheren. Polizistinnen und Polizisten sind ebenfalls Menschen. Bisweilen werden sie massiv beschimpft und brutal attackiert: zum Beispiel von Linksextremisten, von Rechtsextremisten. Im hessischen Dietzenbach wurden Polizisten von Gewalttätern in einen Hinterhalt gelockt und attackiert. In Duisburg-Marxloh behinderten 200 Menschen eine Festnahme. In Berlin wird ein Polizist bei einer Verkehrskontrolle vom Rapper Fler als "Fanboy" und "Schwanz" runtergemacht, angepöbelt und dabei gefilmt.

Polizistinnen und Polizisten sind oft in Problemvierteln unterwegs, wo die Kriminalitätsrate erhöht ist. Aufgrund der gesellschaftlichen Missstände leben oft Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in sozialen Brennpunkten. Viele von ihnen halten Polizistinnen und Polizisten prinzipiell für rassistisch oder fremdenfeindlich. Das befördert wiederum die Vorurteile auf deren Seiten. Gegenseitige Vorurteile führen zu Missverständnissen. Deshalb ist es wichtig, differenzieren zu lernen.

SPD-Chefin Saskia Esken hat differenziert. Dennoch wird sie aus ideologischen Gründen gescholten. Bereits nach Silvester hatte sie es "gewagt", einen Polizei-Einsatz gegen Linke in Leipzig-Connewitz kritisch zu hinterfragen, was bei manchen für Empörung sorgte. Warum? Ist die deutsche Polizei denn sakrosankt und jeglicher Kritik enthoben?

An Eskens Äußerungen gibt es sachlich nichts zu beanstanden: Für Rassisten und Rechtsextremisten dürfe es in der Polizei keinen Platz geben, sagte sie. Die große Mehrheit der Polizeibediensteten stehe solchen Tendenzen sehr kritisch gegenüber und leide unter dem "potenziellen Vertrauensverlust", sagte sie.

Sie forderte eine unabhängige Beschwerdestelle für Gewalt- und Rassismusvorfälle bei der Polizei. Belgien hat schon so eine Stelle. Dänemark auch. Und Großbritannien. Hierzulande soll so eine Forderung aber beleidigend sein?

Schließlich betonte Saskia Esken: "Auch in Deutschland gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte." Wer, bitte, will das ernsthaft bezweifeln? Da wäre der Rechtsextremismus-Skandal in der hessischen Polizei . Die NSU-Verfehlungen. Die immer wieder erhobenen Vorwürfe des "racial profiling", also der Kontrolle und Überprüfung von Personen allein aufgrund ethnischer Merkmale. Der Nafri-Eklat in Köln. Man erinnere sich an den Tod von Aamir Ageeb, Achidi John oder Oury Jalloh. In Hamburg drückte 2019 ein Polizist den Kopf eines schwarzen Mannes auf den Asphalt im Stile der Attacke auf George Floyd. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Weil jetzt ein Video des Vorfalls erneut Verbreitung fand, werden die Ermittlungen plötzlich wieder aufgenommen.

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Die deutsche Polizei ist bestimmt nicht mit der US-amerikanischen zu vergleichen, aber allein die öffentlich bekannten Vorkommnisse und Verfehlungen als Einzelfälle abzutun, ist Schönfärberei. Das belegen die vorhandenen Studien, auch wenn bisher nur wenig belastbare Empirie zu Rassismus und Gewalt bei der Polizei vorliegt. Der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr hat vielfach zu diesem Themenfeld geforscht und veröffentlicht. Im Interview mit t-online.de erneuert er seine Kritik an der deutschen Polizeiausbildung. Hans-Joachim Asmus und Thomas Enke haben eine Analyse erarbeitet. Die europäische Grundrechteagentur FRA gab 2010 auf Basis von Befragungen ein Handbuch zum Thema raus, und schon in den 90er Jahren fragte sich Albrecht Funk: "Rassismus – kein Thema für die deutsche Polizei?", bevor er seine "Gedanken zu einem Tabu" niederschrieb.

"Da wo sie herkommen, ist das üblich"

Ich selbst habe wegen der Anfeindungen gegen mich, wegen meiner öffentlichen Auftritte und wegen meiner Extremismuspräventionsarbeit relativ oft mit Polizistinnen und Polizisten zu tun. Dabei traf ich häufig verständnisvolle, mutige und engagierte Beamtinnen und Beamte, neben Ignoranten mit Vorurteilen, die mich wegen meiner Bedrohungen kritisierten: "Warum legen Sie sich denn mit Rechten an?" oder diskriminierende Worte äußerten: "Da wo sie herkommen, ist das doch üblich." Wohl jeder, der privat Polizistinnen und Polizisten kennt, kann in einer ruhigen Minute von ihnen erfahren, dass manche ihrer Kolleginnen und Kollegen tatsächlich immer wieder abwertend über bestimmte Bevölkerungsgruppen sprechen. Es ist ein offenes Geheimnis.


Selbstverständlich gibt es also in den Reihen der Polizei ein Rassismusproblem. Dabei dürfte es das schon qua Amt und Auftrag nicht geben. "Ich schwöre, das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe." So lautet der Eid laut Bundesbeamtengesetz.

Das Grundgesetz kennt keine Privilegierten und keine völkische Gemeinschaft. Polizistinnen und Polizisten sind Teil unserer Migrationsgesellschaft. Diese haben sie zu schützen. Sie vertreten einen diversen Staat, keine ethnische Nationalität. Wer völkisches Gedankengut pflegt, wird irgendwann auf Probleme stoßen.

Polizei muss kritisch begleitet werden – aber fair

Darüber hinaus stehen Polizistinnen und Polizisten allgemein unter besonderer Beobachtung. Schließlich sind sie es, die im Alltag einzelne unserer Grundrechte einschränken können. Diese Macht ist in der Vergangenheit weltweit missbraucht worden und wird es zum Teil heute noch. Manche erinnern sich oder denken mit Schrecken an die Polizei. Stichwort: Gestapo. DDR. Sowjetunion. China. Nordkorea. Die Religionspolizei in Saudi-Arabien. Hinzu kommt ähnlich wie bei Soldatinnen und Soldaten ein gewisser Korpsgeist, der für zusätzliche Skepsis sorgt. Der Berliner Kriminalhauptkommissar und Vorsitzende des Vereins Polizei Grün fordert offen zum Nachdenken darüber auf. Wir sind "Arbeitskollegen, keine Familienangehörigen", sagt er.

Eine freie und demokratische Gesellschaft muss ihre Polizei kritisch begleiten – aber fair! Polizistinnen und Polizisten müssen dahin, wo es weh tut. Sie halten den Kopf für unsere Sicherheit hin. Dafür verdienen sie Respekt. Es gibt gute und schlechte Polizistinnen und Polizisten.

Wir als Bevölkerung müssen lernen, hier zu differenzieren. Ebenso müssen Beamtinnen und Beamte lernen zu differenzieren. Wenn sie bei einem Einsatz auf feindlich gesinnte arabische Clan-Mitglieder gestoßen sind, ist ihnen nicht automatisch der nächste unbeteiligte "Schwarzkopf" auf der Straße ebenso feindlich gesinnt.

Bei der Polizei als Organisation ist so eine Differenzierung einfacher zu steuern: Sie hat ihren Platz in der Ausbildung und kann später im Berufsalltag gegenseitig und über Vorgesetzte kontrolliert werden. Der Bevölkerung ist Differenzierung schwieriger zu vermitteln. Ein Baustein sind die sogenannten Kontaktbeamten. In sie sollte der Staat investieren. Ein anderer Baustein sind Politikerinnen und Politiker – wenn denn endlich mehr von ihnen endlich anfangen würden, differenzierter über das Thema Polizei zu sprechen anstatt reflexhaft durch dichotomes Denken politische Ideologien zu bedienen.

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