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Bundeswehr-General in der Corona-Krise: "Die Gesamtlage ist ernst"


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Bundeswehr in der Corona-Krise
"Wir packen überall an, wo niemand sonst Hilfe leisten kann"

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

31.03.2020Lesedauer: 6 Min.
General Martin Schelleis: Der Inspekteur der Streitkräftebasis der Bundeswehr ist der Mann, der die Hilfeleistungen der Bundeswehr in der Corona-Krise koordiniert.Vergrößern des Bildes
General Martin Schelleis: Der Inspekteur der Streitkräftebasis der Bundeswehr ist der Mann, der die Hilfeleistungen der Bundeswehr in der Corona-Krise koordiniert. (Quelle: dpa)

Er ist der Mann, der die Hilfe von 15.000 Bundeswehrangehörigen in der Corona-Krise koordiniert: Generalleutnant Martin Schelleis zeigt im Interview mit t-online.de auf, wo die Bundeswehr helfen kann – und wo ihre Grenzen liegen.

Martin Schelleis steht zum Sport um 5 Uhr auf und versucht, zur Hauptnachrichtensendung abends daheim zu sein. Der Drei-Sterne-General verantwortet die Hilfseinsätze der Bundeswehr in der Corona-Krise und ist aktuell permanent in Telefon- und Videokonferenzen. Schelleis spricht dabei auch mit Entscheidungsträgern außerhalb der Bundeswehr. Das Interview mit t-online.de hat er mehrfach verschieben müssen, es konnte schlussendlich nur schriftlich geführt werden. Schelleis spricht darüber, wieso die Bundeswehr auch Hilfsgesuche ablehnt und wie viel Ressourcen sie hat.

t-online.de: Wie oft telefoniert man als Nationaler Territorialer Befehlshaber aktuell mit der Bundesregierung?

Martin Schelleis (60): Regelmäßig, im Bedarfsfall auch anlassbezogen, informiere ich die Angehörigen der Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung – also die Ministerin, die Staatssekretäre und den Generalinspekteur – über den Stand der Dinge. Mit den zuständigen Abteilungsleitern stehe ich täglich in Kontakt.

Wer ist Martin Schelleis?
Generalleutnant Martin Schelleis steht als Nationaler Territorialer Befehlshaber an der Spitze des eigens gegründeten "Einsatzkontingents Hilfeleistungen Corona". Der 60-jährige frühere Tornadopilot und Vater zweier Kinder ist Inspekteur der Streitkräftebasis. Die Streitkräftebasis wurde 2000 ins Leben gerufen, um Aufgaben zu bündeln, die bei Heer, Luftwaffe, Marine und Sanitätsdienst jeweils einzeln übernommen wurden.

Wie groß sind Ihre Sorgen mit Blick auf die nächsten Wochen und Monate?

Die Gesamtlage ist ernst, ohne Frage, und die weitere Entwicklung ist nur schwer vorhersehbar. Aber ich habe großes Vertrauen, sowohl in die zuständigen Politiker, die Wissenschaftler und Krisenmanager als auch in die Disziplin der deutschen Bevölkerung. Die Allermeisten haben verstanden, worum es jetzt geht und sie verhalten sich entsprechend. Und auf meine Truppe kann ich mich hundertprozentig verlassen – da mache ich mir gar keine Sorgen!

Wie hohe Erwartungen werden denn in die Bundeswehr gesetzt?

Die Bevölkerung in Deutschland erwartet von der Bundeswehr zu Recht, dass sie unterstützt, wo sie darf und wo sie kann. Und das machen wir ja auch. Bereits seit Beginn der Krise sind wir aktiv, insbesondere im Bereich des Gesundheitswesens. Die bundeswehreigenen Krankenhäuser sind schon zu rund 80 Prozent mit zivilen Patienten belegt, zusätzlich helfen wir an anderer Stelle mit medizinischem Fachpersonal und Gerät aus. Wir setzen unsere Flugzeuge zur Ab- und Rückholung Gefährdeter und Erkrankter ein, stellen Landtransport und Unterbringung bereit. Wir unterstützen mit Material aller Art und Lagerkapazitäten. Und wir packen überall da an, wo niemand sonst die Hilfe leisten kann.

184.000 aktive Soldatinnen und Soldaten hat die Bundeswehr. Wie viele Kräfte könnten sinnvoll in der Bewältigung der Corona-Krise eingesetzt werden?

Um die erforderliche Unterstützung auch bei einer möglichen Lageverschärfung reaktionsschnell leisten zu können, stellen wir nun ein Einsatzkontingent eigens für die mögliche Hilfeleistung auf. Das ist ein Novum in der 65-jährigen Geschichte der Bundeswehr.

Unser Kernauftrag ist es, die äußere Sicherheit zu gewährleisten, also der Einsatz im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements, die Vorbereitung auf Landes- und Bündnisverteidigung und die dafür erforderliche Ausbildung. Damit sind wir normalerweise bereits gut ausgelastet.

In dieser Krise aber halten wir mit dem angesprochenen Einsatzkontingent 15.000 Männer und Frauen aus allen Bereichen der Bundeswehr eigens für den Hilfseinsatz bereit. Damit können wir neben medizinischer auch spezialisierte und querschnittliche logistische Unterstützung leisten und Schutzaufgaben übernehmen. Das ist schon einmal eine schlagkräftige Truppe und damit können wir den absehbaren Bedarf gut decken.

Sie haben auch diverse Anträge auf Amtshilfeleistung abgelehnt. Was sind die Gründe?

Es darf ja nicht vergessen werden: die Bundeswehr darf erst dann helfen, wenn es keine Alternative mehr gibt. Das meiste aber, was die Bundeswehr an Unterstützung bieten kann, gibt es in Deutschland in Hülle und Fülle auf dem Markt. Diese Kapazitäten sind noch lange nicht erschöpft und die gilt es zunächst zu nutzen. Jeder Antrag muss individuell geprüft werden.

Neben der Rechtmäßigkeit muss immer auch die Verfügbarkeit der geforderten Hilfeleistung verifiziert werden. Nicht alles, was man von uns fordert, dürfen wir, nicht alles haben wir! In der Sanität gibt es einen besonderen Engpass.

Wo wird die Bundeswehr denn aktuell bereits besonders gebraucht?

Der Schwerpunkt nachgefragter Unterstützung liegt nach wie vor auf der medizinischen Unterstützung mit Personal, Material, Krankenhauskapazität. Unsere Sanitätstruppe ist bereits stark gebunden, sodass hier zusätzlich nur noch punktuell unterstützt werden kann. Es darf nicht übersehen werden – weniger als ein Prozent der Ärzte in Deutschland gehören der Bundeswehr an.

Für die Stadt Heinsberg hat die Bundeswehr "aus weiten Teilen der Republik" Material zusammengetragen, "um die Versorgung sowie den Schutz von Patienten und Bediensteten über das Wochenende (21./22. März) hinaus sicherzustellen". Wie oft geht das noch?

In Heinsberg hat die Bundeswehr sehr kurzfristig und an dem angesprochenen Wochenende die größte Materialnot gelindert. Dies streben wir auch weiterhin an. Wir werden zukünftig wie bisher jedes Hilfeleistungsersuchen individuell sorgsam prüfen und das, was wir leisten können und auch anbieten dürfen.

Und wo könnte die Bundeswehr noch besonders wichtig werden?

Das ist schwer vorhersehbar, weder von uns noch von den zuständigen zivilen Behörden, die uns dafür anfordern müssten. Gleichwohl halten wir die Truppe in verschiedenen, potenziell nachgefragten Fähigkeiten vor. So z. B. für Straßentransport, Lagerung, Verteilung von Gütern. Oder für die praktische Unterstützung mit helfenden Händen bei personalintensiven Aufgaben, nicht zuletzt für Sicherungs- und Schutzaufgaben.

Die Befugnisse der Bundeswehr in der Corona-Krise beschäftigen viele Menschen. Was darf die Bundeswehr – und könnte oder sollte sich das noch ändern?

Unsere Unterstützung erfolgt im Rahmen der Amtshilfe, wie sie im Grundgesetz in Artikel 35 (1) geregelt ist. Das heißt, dass Gemeinden, Kreise, Bundesländer oder andere Bundesressorts von uns technisch-logistische Hilfe erbitten können. Dazu muss aber eine Katastrophe eingetreten sein, die Hilfe muss explizit beantragt werden und die Bedarfsdeckung darf nicht über andere Wege möglich sein. Hoheitliche Aufgaben dürfen wir in der aktuellen Situation nicht übernehmen.

Und Aufgaben der Polizei?

Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 noch einmal präzisiert, welche Voraussetzungen dafür gegeben sein müssen. Demnach kann ein Land gemäß Absatz 2 des Artikels 35 die Hilfeleistung durch die Bundeswehr beantragen, wenn eine Katastrophe bereits eingetreten, mindestens aber immanent ist, und die eigene Polizei auch durch Verstärkung aus anderen Ländern oder der Bundespolizei nicht in der Lage ist, die Aufgabe zu erledigen. Dann könnten Soldaten in Unterstützung und unter Führung der Polizei im Inland eingesetzt werden.

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Was machen die Soldaten im Moment, die nicht für Hilfeleistungen eingesetzt sind?

Maßstab für unseren Dienstalltag ist der Kernauftrag, der Schutz der äußeren Sicherheit. Allein in den Dauereinsatzaufgaben, den laufenden Auslandseinsätzen und den aktuellen einsatzgleichen Verpflichtungen sowie in der unmittelbaren Einsatzvorbereitung sind fast 20.000 Soldatinnen und Soldaten gebunden. Ausbildung und Grundbetrieb müssen auch zumindest soweit aufrechterhalten werden, dass die Einsatzbereitschaft nicht nachhaltig leidet. Wir wissen ja nicht, wo die Bundeswehr infolge der Corona-Krise vielleicht schon bald in weiteren Auslandseinsätzen gefragt sein könnte. Überall dort, wo dies vertretbar ist, arbeiten aber auch die Soldaten von zu Hause bzw. halten sich dort in Bereitschaft. So leistet die Bundeswehr ihren Beitrag zur Reduzierung der Ansteckungsrate.

In sozialen Netzwerken wurden noch sehr rege Fotos von Materialtransporten und veraltete Texte zum Manöver Defender-Europe geteilt. Wie viel ist von dem Manöver übrig geblieben?

Die in Deutschland vorgesehenen Anteile der Übung Defender Europe sind samt und sonders gestrichen worden, hier wird nichts mehr stattfinden. Auch an den noch nicht endgültig abgesagten Übungen in anderen Ländern werden deutsche Soldaten nicht mehr teilnehmen. Natürlich muss das für die Übung bereits verlegte Personal und Material wieder in die Heimatstandorte zurückgeführt werden. Das muss zunächst geplant werden, die Rückverlegung steht aber derzeit hintenan.

Übung Defender Europe
Die USA planten mit der Übung "Defender-Europe 20" im Zeitraum Februar bis Mai 2020 die Verlegung einer Division nach Europa und dort nach Osteuropa, Deutschland war zentrale Drehscheibe. Angesichts der Corona-Krise wurde die Verlegung nach Europa am 13. März eingestellt. Ein Großteil des Materials aus den USA und aus Depots war aber bereits unterwegs durch Europa. Nun läuft die Rückverlegung. Damit sind weiterhin Militärtransporte von Panzern und weiterem Gerät vor allem auf der Schiene zu sehen. Das soll bis Mitte Mai andauern.

Hat das Manöver seinen Zweck auch annähernd erfüllt?

Die wesentlichen Ziele der Übung sind aus deutscher Sicht erreicht worden. Wir haben ein starkes Signal der fortwährenden US-amerikanischen Bündnissolidarität mit Europa gesehen und wir haben als Europäer, insbesondere auch als Deutsche, unseren substanziellen Anteil geliefert. Wir haben nachgewiesen, dass die Nato-Partner große Truppenteile über strategische Strecken und länderübergreifend reibungsarm verlegen können.

Wir haben in Deutschland gesehen, dass die zivilmilitärische Zusammenarbeit funktioniert. Und nicht zuletzt haben wir als Streitkräftebasis nachgewiesen, dass wir mit unserer Führungsorganisation und unseren Truppenteilen gut darauf vorbereitet sind, unseren Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Drehscheibe Deutschland zu liefern.

Pressearbeit der Bundeswehr
Die Bundeswehr hat offen und weitreichend über das Manöver informiert, zahlreiche Medientermine mit Gesprächen mit Soldaten angeboten. Fragen zu dem Manöver haben die Presseoffiziere in der Regel schnell beantwortet. Die Bundeswehr ist aber keine unabhängige Quelle.

Die veralteten Texte und Videos von Militärfahrzeugen sind auch zum Teil geteilt worden mit abstrusen Gerüchten. Sehen Sie darin einen Teil einer Strategie von Propaganda und Desinformation? Von wem?

Die Bundeswehr unterrichtet durch umfassende und aktive Informationsarbeit die Bevölkerung mittels des eigenen Artikeldienstes und über die Medien objektiv und wahrheitsgemäß zu Sachstand und weiterem Vorgehen. Deshalb mein Appell: verlassen Sie sich ausschließlich auf seriöse und offizielle Quellen – egal, ob es um Defender Europe 20 oder die Corona-Krise geht.

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