Unterschätzte Gefahr? So steht Deutschland im Kampf gegen Terror von rechts da
Drei rechtsextreme Anschläge mit Toten in weniger als einem Jahr, deutlich mehr Rechtsextreme, von denen Hunderte per Haftbefehl gesucht werden: Was tut der Staat?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiter hat im Interview mit t-online.de die drei Anschläge auf Walter Lübcke, in Halle und Hanau einen weiterer Beleg dafür genannt, "dass die deutschen Sicherheitsbehörden die Gefahren des Rechtsextremismus unterschätzt haben". Steinmeier sagte auch, dass sich Haltung und Bewertung verändern. Doch wo liegen die Probleme und was ändert sich?
1. Worin besteht die größte Gefahr?
Die Zahl Rechtsextremer kann wenig Aussagekraft haben, wenn Radikalisierung völlig unbeobachtet von den Behörden stattfindet: Den mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan E. hielten die Sicherheitsbehörden für kein großes Risiko – er hatte seit 2009 keine einschlägigen Taten mehr begangen. BKA-Chef Holger Münch sagt, das große Probleme seien die Täter, "die ohne Strukturen zur Tat schreiten". Der 27-Jährige, der im Oktober 2019, aus antisemitischen Motiven, in der Synagoge von Halle möglichst viele Personen jüdischen Glaubens töten wollte, war Sicherheitskräften nicht aufgefallen. Mit selbstgebauten Waffen erschoss er zwei Menschen. Der psychisch kranke Attentäter von Hanau, der rassistisch motiviert in Shisha-Bars gemordet und seine Mutter und sich getötet hat, verschickte krude Briefe. Tatpläne waren daraus nicht absehbar. Experten sprechen bei solchen Tätern auch von "Schwarmterrorismus".
Thesen von einem geplanten "Bevölkerungsaustausch", die auch AfD-Politiker verbreiten, liefern solchen Tätern in deren Logik auch Rechtfertigung. Experten macht Sorge, dass die Kontaktschwelle zwischen den Milieus deutlich niedriger geworden sind und sich ultrarechte Szene und Konservative durchmischen. Soziologe Daniel Köhler, der die "Deutsche Terrorismusdatenbank – Rechtsextremismus führt, sagte t-online.de: "Da sitzen dann nach einer Veranstaltung der verurteilte Rechtsterrorist mit Leuten zusammen, die früher nie mit so jemandem in Kontakt gekommen wären".
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2. Wie viele Rechtsextreme gibt es?
Die offizielle Zahl liefert der Verfassungsschutz, und diese Zahl ist gerade nach Jahren mit einem leichten Anstieg in die Höhe geschnellt: Ein Drittel mehr, nun sind es 32.000 Rechtsextremisten. Kurz nach dem Mord an Walter Lübcke im Juni 2019 hatte der Verfassungsschutzbericht noch eine Zahl von 24.100 angegeben. Heute werden die geschätzt 7.000 Anhänger des "Flügels" der AfD dazu gezählt: Der Flügel gilt nun als „gesichert extremistische Bestrebung“. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang nennt daher Führungsfiguren wie Björn Höcke oder Andreas Kalbitz auch „Rechtsextremisten“. Problem für die AfD: Die Parteispitze geht nicht auf Distanz, verortet Höcke und den Flügel zum Teil in der "Mitte der Partei".
3. Wie hoch ist die Gewaltbereitschaft?
Die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremer wird auf rund 13.000 geschätzt. Sie ist damit auch nach der Flügel-Einstufung weitgehend unverändert. Stark geändert hat sich in den Vergangenen Monaten die Risikobewertung: Die Zahl derer, denen die Behörden jederzeit „politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung“ zutrauen, hat sich seit einem Jahr fast verdoppelt: Im Verfassungsschutzbericht waren 34 Personen als Gefährder eingestuft, inzischen sind es rund 60, die Zahl wird nach Einschätzung von BKA-Chef Münch weiter steigen. Zum Vergleich: Fünf Personen gelten als linksextremistische Gefährder, die Zahl islamistischer Gefährder liegt bei 660, sie ist rückläufig. Zur Abwehr von islamistischem Terror war ein System entwickelt worden, das nun weiterentwickelt wurde und dabei helfen soll, potenziell tickende Zeitbomben von rechts zu finden: Mit „RADAR-rechts“ wird anhand verschiedener Informationen und Kategorien im Einzelfall bewertet, wie groß bei einer Person das Risiko einer politisch motivierten Straftat ist.
4. Wie kriminell ist die rechte Szene?
Politisch motivierte Kriminalität wird von der Polizei gesondert erfasst. In einer Antwort der Bundesregierung von Anfang März auf einer Linken-Anfrage wurde die Zahl rechter Straftaten im Jahr 2019 mit 20.856 angegeben. Das sind viel mehr als vor dem Jahr des großen Flüchtlingszuzugs (2014: 16.559 Straftaten) und auch mehr als 2018 (19.409). Die Zahl liegt aber unter dem Niveau von 2016 (22.471). Erfasst sind hier auch Volksverhetzungen oder Hakenkreuzschmierereien.
Gewalttaten machten in der Statistik 917 Fälle aus. Die Zahl bedeutet einen leichten Rückgang gegenüber 2018, liegt jedoch deutlich unter der Zahl von 2016 (1600), als es auch besonders viele Straftaten an und im Umfeld von Asylbewerberunterkünften registriert wurden. 482 Rechtsextreme werden sogar mit Haftbefehl gesucht. 105 der abgetauchten Rechten werden wegen politisch motivierter Delikte gesucht, bei den übrigen geht es zum Teil um Gewalttaten, die Delikte waren aber unpolitisch.
5. Wie gut sind die Behörden aufgestellt und was tun sie?
Nach Jahren, in denen dem islamistischen Terror das Hauptaugenmerk galt, haben vor allem BKA und Verfassungsschutz Ressourcen für die Bekämpfung rechten Terrors und rechter Gewalt ausgebaut und bekommen weiter Verstärkung: Hunderte neue Stellen. Zur Einstufung des "Flügels" nannte Verfassungsschutz-Präsident Haldewang es Aufgabe der Behörde, "als Brandmelder der Demokratie nicht nur die Brandherde, sondern auch alle relevanten Brandstifter und Brandbeschleuniger zu erkennen und zu benennen".
In den vergangenen Monaten gelang es mehrfach, rechte Netzwerke auszuheben, in denen Terrorpläne geschmiedet wurden. Anders als früher wird das Umfeld mutmaßlicher und überführter Täter genauer untersucht, um Gefährder zu identifizieren, aber auch, um auf bislang unbekannte Figuren im rechtsextremen Milieu zu stoßen. BKA-Chef Münch sprach von einem "weiteren Ansatz, Netzwerke aufzuhellen". Zum Teil sind Behörden auch sehr findig darin, Rechtsextremen mit Auflagen Veranstaltungen madig zu machen, die zur Vernetzung dienen. Die Polizei in Thüringen mietete sogar die einzige Tankstelle in einem Ort, damit bei einem Festival niemand Alkohol trinken konnte.
Strukturell etwas ändern soll auch das Gesetz gegen Hasskriminalität, das zuletzt in der vergangenen Woche im Bundestag in erster Lesung behandelt wurden: Netzwerkbetreiber müssen demnach dem BKA mögliche Hass-Straftaten von sich aus Daten melden, das BKA kann damit eine eigene Datenbank aufbauen. Die Regelung gehe viel zu weit, meinen Kritiker. Für strafbare Hasspostings sollen auch die Strafen verschärft werden, damit im Netz ein gemäßigterer Ton herrscht. „Die Gefahr, die von Hasspostings ausgeht, ist sehr groß", sagte BKA-Chef Münch t-online.de. Problem bei strafbarem Hass im Netz ist bisher oft die Verfolgung, Anzeigen werden von überforderten Behörden meist eingestellt.
- Eigene Recherchen
- Verfassungsschutzbericht 2019