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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Grünen-Lokalpolitikerin "Diese Perspektive brauchen die Grünen dringend"
Auf ihrem Parteitag wählen die Grünen eine neue Doppelspitze – Nachfolger von Ricarda Lang und Omid Nouripour. Auch die Lokalpolitikerin Susanne Bauer kandidiert – obwohl sie keine Chancen hat.
Die Grünen entscheiden auf ihrem Parteitag über den neuen Bundesvorsitz. Als Favoriten für die Doppelspitze gelten Staatssekretärin Franziska Brantner und der ehemalige NRW-Parteichef Felix Banaszak. Auch die bisher völlig unbekannte Susanne Bauer tritt an, Bezirkssprecherin in Oberfranken.
Da die Grünen immer eine Doppelspitze aus einer Frau und einem Mann wählen, fordert Bauer Brantner im Zweikampf heraus – anders als Brantner, die zum Realo-Flügel zählt, tritt Bauer als unabhängige Kandidatin an.
t-online: Frau Bauer, Sie kandidieren gegen eine sehr aussichtsreiche Kandidatin. Warum tun Sie sich das an?
Susanne Bauer: Unsere Demokratie ist unter Beschuss. Deshalb sollten wir auch als Partei intern demokratische Werte leben. Das heißt: freie Wahlen abhalten. Und zu freien Wahlen gehört nun mal, dass mehrere Kandidatinnen und Kandidaten zur Auswahl stehen.
Worin unterscheiden Sie sich denn von Frau Brantner?
Wir sind völlig unterschiedlich. Ich habe mehr als 20 Jahre lang mit Menschen in prekären Verhältnissen gearbeitet, engagiere mich ehrenamtlich für Geflüchtete und Benachteiligte. Ich kenne die Lücken im System und weiß, was es heißt, um Würde zu kämpfen. Außerdem komme ich aus der strukturschwachen Region Oberfranken. Diese Perspektive brauchen die Grünen dringend. Auch, um Menschen zu überzeugen, die uns bisher nicht gewählt haben.
Zur Person
Susanne Bauer ist Sprecherin des Bezirksverbands Oberfranken der Grünen, seit 2020 sitzt sie zudem für die Partei im Stadtrat Pegnitz und im Kreistag Bayreuth. Neben ihrer politischen Arbeit ist Bauer als Sozialarbeiterin tätig. Mitglied bei den Grünen ist sie seit 2013.
Ist das Kritik an der Berliner Distanz zur Basis?
So würde ich das nicht formulieren. Alle Lebensläufe haben ihre Berechtigung. Doch mit der Arbeit in Berlin und einem Job in der Bundespolitik hat man eben einen ganz anderen Blick auf die Dinge als auf dem Land. Ich bin eine Alternative zur Hauptstadt-Perspektive.
Rechnen Sie sich ernsthaft Chancen gegen Frau Brantner aus?
Mir ist klar, dass ich nicht als Spitzenkandidatin ins Rennen gehe. Frau Brantner ist bekannter und anders vernetzt. Aber ich mache ein Angebot an alle, die meinen Blick auf die Welt teilen.
Was würden Sie denn konkret anders machen als die aktuelle Parteispitze?
Wir haben ein starkes Wachstum an neuen, oft jungen Mitgliedern. Ich möchte Strukturen schaffen, um diese Leute an der Basis stärker einzubinden, etwa mehr Foren, mehr Diskussionsrunden. Möglich machen, dass sie mitreden, statt sie auszubremsen. In den letzten Jahren und um die Partizipation in der Partei beibehalten zu können, müssen unsere Strukturen mitwachsen. Dafür bräuchte es etwa Foren, die die verschiedenen Perspektiven bündeln. Das würde die Partei von innen heraus stärken.
Der Vorstand der Grünen Jugend ist zurückgetreten und hat sogar die Partei verlassen. Sind die Grünen eine gespaltene Partei?
Wir haben schon immer einen offenen Diskurs gepflegt, Dinge erstritten. Rote Linien neu verhandelt. In dieser Koalition zu sein, war für die Grünen nicht einfach, gerade mit Christian Lindner und seiner fixen Idee der Schuldenbremse. Die Fraktion hat das Beste gegeben, aber wir als Partei mussten uns oft sehr strecken. Das kam nicht bei allen gut an.
In der Tat: Aktuell stehen die Grünen in Umfragen bei 11 Prozent. 2021 lagen sie zeitweise bei knapp 20 Prozent. Hat Robert Habeck überhaupt Chancen auf die Kanzlerschaft?
Derzeit sieht es wirklich nicht sehr rosig aus, das stimmt. Das liegt daran, dass der Populismus immer stärker wird, gerade auch in der Union. Hier liegt aber auch die Chance für uns, weil wir langfristig denken, und das geht mit Robert Habeck. Er hat die richtige Haltung für das Kanzleramt, weil er auf langfristige Lösungen und Stabilität setzt.
Gerade Robert Habeck stand doch für viele schmerzhafte Kompromisse in den vergangenen Jahren. Er hat bereits angekündigt, die Partei weiter in die Mitte führen zu wollen. Ist das etwa in Ihrem Sinne?
Nun ja, die Verschiebung des Diskurses nach rechts macht mir große Sorge, zumal die Linke gerade nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Vernünftige Antworten und unbequeme Wahrheiten sind schwerer zu vermitteln als reißerische Kommentare: Diese bieten aber auch keine Lösungen. Wir müssen dagegenhalten, mit vernünftigen Antworten, Robert Habeck kann das.
Vor welche Herausforderungen stellt Sie denn der sehr kurze Wahlkampf?
Es wird alles sehr knapp. Ein Beispiel: In manchen Regionen darf drei Monate vor der Wahl mit Plakaten geworben werden, also in gut einer Woche. Das ist für alle Parteien eine Herausforderung, dazu kommt der Winter. Aber wir haben solide Grundlagen mit unserem gemeinschaftlich erarbeiteten Grundsatzprogramm, auf das wir aufbauen können.
Die Kälte und Weihnachten erschweren den Wahlkampf?
Ja, viele Events draußen fallen weg. Für uns Wahlkämpfer ist es ungemütlicher, in der Kälte herumzustehen. Aber alle Parteien haben diese erschwerten Bedingungen. Es frieren nicht nur die Grünen. Unsere Mitglieder sind bereit, machen sich schon detailliert Gedanken um den Wahlkampf, bis hin zur Plakatierung. So gibt es für alles Lösungen: Tapetenkleister etwa friert bei Minusgraden ein – dann plakatieren wir eben mit Kabelbindern. Trotzdem sind wir überall präsent: an den Haustüren auf dem Land, in den Fußgängerzonen in der Stadt.
Was planen Sie da genau?
Wir werden je nach Region gucken, was gut funktioniert, und wir werden sicher auch auf Weihnachtsmärkten zu finden sein mit einem entspannten Gesprächsangebot bei Glühwein und Plätzchen. Ich habe schon von der Idee gehört, Lebkuchenherzen mit "Habeck for Kanzler"-Aufschrift zu verteilen. Alles, was uns mit Leuten ins Gespräch bringt, ist erst mal gut.
Viele sind über die Feiertage aber nicht in der Stimmung für Politik.
Dass endlich Ruhe einkehrt, ist aktuell das stärkste Bedürfnis der Wähler. Das ist aber auch jenseits von Weihnachten so. Wir gehen, wie immer, mit Ruhe und Gelassenheit auf sie zu; bieten ihnen an, mit uns ins Gespräch zu kommen. Zwischen den Jahren wird es sicher etwas ruhiger, aber der Wahlkampf geht ja auch noch im neuen Jahr weiter.
Haben Sie dafür genug Ehrenamtliche, gerade über die Feiertage?
Da sehe ich überhaupt kein Problem. Ich bin in ständigem Kontakt mit den vielen Ehrenamtlichen bei uns. Viele haben sich für den Wahlkampf längst über Gruppen organisiert. Trotzdem hoffen wir alle, dass die Wahl jetzt nicht immer im Februar stattfindet.
Ihre Prognose: Wo landen die Grünen im Bundestag?
Ich bin optimistisch, dass wir zweistellig bleiben. Ob wir dann aber Teil einer Regierung werden, halte ich für völlig offen. Eine schwarz-grüne Koalition kann ich mir im Moment inhaltlich kaum vorstellen, wenn ich mir allein die Positionen der Union bei sozialen Themen anschaue. Das wäre dann eine Frage, was tatsächlich im Koalitionsvertrag steht. Mit uns geht nur, was Klimaschutz und Menschenrechten wirklich dient.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Bauer.
- Telefoninterview mit Susanne Bauer