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Stephan Thomae: Von der AfD zum Rechtsextremismus ist es nur ein kleiner Schritt


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Terror in Hanau
Von der AfD zum Rechtsextremismus ist es nur ein kleiner Schritt

MeinungEin Gastbeitrag von Stephan Thomae

Aktualisiert am 02.03.2020Lesedauer: 4 Min.
Rechtsextremismus in Deutschland: Die Tat in Hanau darf nicht ohne Konsequenzen bleiben, mahnt FDP-Politiker Thomae.Vergrößern des Bildes
Rechtsextremismus in Deutschland: Die Tat in Hanau darf nicht ohne Konsequenzen bleiben, mahnt FDP-Politiker Thomae. (Quelle: imago-images-bilder)
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In Hanau hat ein Mann mehrere Menschen mutmaßlich aus Fremdenhass getötet. Die AfD stellt die geistige Verwirrung des Täters in den Vordergrund. Damit macht sie es sich zu leicht, sagt der FDP-Politiker Stephan Thomae und schlägt Maßnahmen vor.

Tobias R., der Attentäter von Hanau, soll psychisch krank gewesen sein. Doch auch seine rechtsextremistische Einstellung soll ihn zu den Taten verleitet haben, gestützt von Hass und Hetze aus dem rechtsradikalen Spektrum. Die AfD – in Teilen eine rechtsextreme Partei – will davon nichts hören und beharrt darauf, es handle sich um die Tat eines erkrankten Einzeltäters. Der FDP-Politiker Stephan Thomae hat dafür kein Verständnis. Er schlägt gezielte Maßnahmen vor, die den Rechtsextremismus in Deutschland eindämmen sollen.

Nach dem schrecklichen Terroranschlag von Hanau beeilten sich Vertreter der AfD, die Taten des Tobias R. als Morde eines geistig verwirrten Täters zu qualifizieren, die mit dem Rechtsextremismus im Grunde nichts zu tun haben.

Stephan Thomae ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP im Deutschen Bundestag und Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium.

Die AfD ist erkennbar bemüht, sich den Anstrich einer im Grunde normalen Partei zu geben, die mit dem in Deutschland grassierenden Rechtsextremismus praktisch nichts am Hut habe. Zwar befindet sich die AfD auf einer fast schon mit bloßem Auge wahrnehmbaren Rutschbewegung nach rechts unten, wenn man sich ansieht, dass anfangs Bernd Lucke, dann Frauke Petry und Jörg Meuthen, anschließend Alice Weidel und Alexander Gauland, später André Poggenburg und aktuell Männer wie Andreas Kalbitz und Björn Höcke Ton und Richtung in der selbst ernannten "Alternative für Deutschland" angeben.

Man gibt sich aber gern bürgerlich. Da muss schnell zurechtgerückt werden, dass Taten wie der Mord an Walter Lübcke, der versuchte Anschlag auf eine Synagoge in Halle mit zwei Todesopfern und jetzt der rechte Terroranschlag in Hanau mit insgesamt elf Toten einschließlich des Täters nichts mit der AfD, und am besten der Anschlag in Hanau auch gar nichts mit Rechtsextremismus zu tun haben.

Täter hatte Wahnvorstellungen

Als Beweis für diese doch reichlich abenteuerliche These zur Zurückweisung einer politischen Mitverantwortung dienen das 19-seitige Schreiben des Täters an die Bundesanwaltschaft vom 6. November 2019 sowie insbesondere sein kurz vor der Tat verfasstes "Manifest". Vor allem das Letztgenannte enthält zwar krude ausländerfeindliche Auslöschungsfantasien. Beide Schreiben legen aber auch Zeugnis ab von bizarren Wahnvorstellungen des Täters, der glaubt, ein obskurer weltweiter Geheimdienst habe ihn schon wenige Tage nach der Geburt manipuliert und sich in sein Gehirn eingeklinkt, sein Privatleben und das seiner Eltern gesteuert und viele Absurditäten mehr.

Dass der Täter von Hanau psychisch gestört war, dürfte nach aktuellen Erkenntnissen kaum einem vernünftigen Zweifel unterliegen. Daraus abzuleiten, dass seine Tat mit rechter, rassistischer, ausländerfeindlicher Gesinnung nichts zu tun habe, sondern allein einer psychotischen Veranlagung geschuldet sei, übersieht aber, dass ein geschwächter Organismus nur dann krank wird, wenn ein Krankheitserreger sich seiner bemächtigt. Der Täter von Hanau besaß allem Anschein nach einen schwachen Geist. Aber erst als sich das Virus des Rechtsextremismus seiner bemächtigte, wurde aus einem schwachen Geist ein kranker Geist, der schließlich gezielt neun Menschen erschoss, die ein fremdländisches Aussehen besaßen.

Fangnetz der Neuen Rechten ist engmaschig geflochten

Ausländerfeindlichkeit und Rassismus sind keine Erfindungen der AfD. Die AfD aber bespielt die Klaviatur von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus in praktisch sämtlichen Oktaven des politischen Diskurses und übergeht sämtliche halbherzig gefassten Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Die AfD hat, wie die mittlerweile ausgetretene AfD-Politikerin Franziska Schreiber in ihrem Aussteiger-Buch "Inside AfD" beschrieben hat, die längste Unvereinbarkeitsliste aller Parteien, hält sich aber nicht daran.

Das Fangnetz der Neuen Rechten ist engmaschig geflochten. Es legt sich mittlerweile über das ganze Land: Pegida und "Reichsbürger", "Identitäre Bewegung" und "Artgemeinschaft Germanische Glaubens-Gemeinschaft", "Autonome Nationalisten" und rechte Netzwerke in der Bundeswehr, Uniter und die Chatgruppen Nord, Süd, Ost und West, "Combat 18" und "Nationaler Widerstand", "Ein Prozent" und NPD, die Partei "Der III. Weg" und "Studienzentrum Weikersheim", "Revolution Chemnitz" und "Staatsstreich-Orchester", "NSU 2.0" und "Atomwaffen Division", "Blood and Honour" und "German Defence League", "Kategorie C" und "Kyffhäuser-Treffen", "Soldiers of Odin" und "Oidoxie Streetfighting Crew", das Institut für Staatswissenschaften und "Voice of Anger" … die Liste ließe sich fortsetzen.

Allein diese beängstigend eindrucksvolle Aufzählung zeigt, wie vieldimensional und schwer durchschaubar die rechte Szene in Deutschland mittlerweile geworden ist. Vielfache Fäden führen hinein in die AfD. Gerade hat beispielsweise der Militärische Abschirmdienst (MAD) den im Büro des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Nolte arbeitenden Bundeswehr-Offizier Maximilian T. als rechtsextrem eingestuft. Dies zeigt, dass es von der AfD zum Rechtsextremismus in Deutschland nur ein kleiner Schritt ist. Die Flamme an einer Lunte ist manchmal klein und schwach. Sie kann aber eine gewaltige Detonation auslösen und verheerende Schäden verursachen. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um dies zu verhindern.

Ist der Staat auf dem rechten Auge blind?

Durch die allzu lange Unterschätzung des Phänomens Rechtsextremismus durch Regierung und Behörden ist der Eindruck entstanden, der Staat sei auf dem rechten Auge blind. Auf schreckliche Ereignisse folgten in der Regel nur Beileidsbekundungen und Lippenbekenntnisse. Wir brauchen dringend ein von Bund und Ländern getragenes Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus, das sämtliche Facetten von präventiven bis hin zu repressiven Maßnahmen beinhaltet. Dazu gehören beispielsweise

  • der Aufbau von Personal und technischer Ausstattung bei den Polizeien, Staatsanwaltschaften und Gerichten,
  • die entsprechende Fortbildung des bestehenden Personals,
  • ein verbesserter Schutz von gefährdeten Personen und Gebäuden wie Synagogen und Moscheen,
  • ein anderer Umgang mit den Opfern rechtsextremer Gewalt,
  • die vollständige Entwaffnung der rechtsextremen Szene,
  • die Durchsetzung weiterer Vereinsverbote von rechtsextremen Organisationen,
  • der zügige Ausbau des Risikobewertungsinstruments RADAR-rechts,
  • ein entschlossenes Vorgehen gegen rechtsextreme Gefährder,
  • die langfristige finanzielle Absicherung für Deradikalisierungs- und Aussteigerprogramme und
  • ein verbesserter Informationsaustausch, national wie international, denn Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus enden nicht an der Landesgrenze. Das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentraum ist bereits der richtige Ansatz, steht aber bislang noch immer nicht auf einer Rechtsgrundlage, die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, Verfahren und Abläufe, Ziele und Grenzen klar definiert.

Diese und weitere Maßnahmen zur effektiven Bekämpfung von Rechtsextremismus und -terrorismus müssen jetzt entschlossen angegangen werden.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten spiegeln die Meinung des Autors wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online.de-Redaktion.

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