Anschlag in Halle Die Stadt ist seit dem Rechtsterror nicht mehr dieselbe
Am 9. Oktober hat ein schwer bewaffneter Mann zwei Menschen erschossen und versucht, die jüdische Synagoge in Halle zu stürmen. Der Anschlag hat die Stadt verändert.
Vor der Synagoge in Halle stehen Polizisten. Ein großer, grauer Metallcontainer nimmt direkt vor dem jüdischen Gotteshaus ein gutes Stück der schmalen Straße ein. Es ist eine neue, mobile Polizeiwache. Sie macht spürbar: Die Stadt hat sich durch den Rechtsterror verändert.
Nicht nur die Polizeipräsenz ist neu, auch die Stadtgesellschaft ist eine andere. "Das Attentat vom 9. Oktober hat Halles Zivilgesellschaft stark getroffen", sagt der parteilose Oberbürgermeister Bernd Wiegand. Die Menschen seien zusammengerückt. Es habe in den vergangenen vier Wochen eine Vielzahl bewegender Veranstaltungen an den Anschlagsorten – vor der Synagoge und vor dem Dönerladen in der Ludwig-Wucherer-Straße – aber auch auf dem Marktplatz gegeben.
"Eine Wimpelkette für Zusammenhalt"
Rückblende: Vor etwa einem Monat, am 9. Oktober, schießt mitten in der Saale-Stadt ein schwer bewaffneter Attentäter auf die verschlossene Tür der Synagoge. Er will das Gebäude, in dem mehr als 50 Menschen das Fest Jom Kippur feiern, stürmen und ein Massaker anrichten. Sein Plan scheitert, weil die Tür standhält. Aber zwei zufällige Opfer verlieren durch ihn ihr Leben. Die Polizei trifft Minuten später ein.
Vier Wochen später wehen im Herbstwind bunte Wimpel quer über Straßen, Bäume und Zäune – wenige Hundert Meter von der Synagoge entfernt. An einem Zaun neben einer der farbenfrohen Girlanden hängt noch der Aufruf: "Macht mit! Eine Wimpelkette für Zusammenhalt." Die Schrift ist von Regen und Sonne verblichen.
Der Oberbürgermeister sagt: "Die erste Konsequenz für mich persönlich lautet: Der Kampf gegen Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus wird sichtbar in unserer Stadt und in unserer Verwaltungsstruktur verankert." Am Donnerstag besuchte US-Außenminister Mike Pompeo Halle – mit rund 240.000 Einwohnern die bevölkerungsstärkste Stadt in Sachsen-Anhalt – im Rahmen seiner Deutschland-Reise.
Deutlich mehr Polizisten
Nicht nur vor der Synagoge, überall in der Stadt sind dieser Tage deutlich mehr Polizisten unterwegs. An mehreren Orten wurden Streifenwagen und Beamte positioniert. Insbesondere sei der Schutz von jüdischen Einrichtungen und Moscheen erhöht worden, berichtet das Magdeburger Innenministerium.
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Max Privorozki, steht seit dem Anschlag in regem Austausch mit den Beamten, sagt er. Noch immer sei die jüdische Gemeinde unter Schock. Doch die Mitglieder müssten auch darauf vertrauen, dass das Land und die Sicherheitsorgane sie künftig schützen würden.
Die Synagogentür mit den Einschusslöchern soll bald ausgetauscht und zu einem Gedenkort werden. Sie habe viele Menschen vermutlich vor dem sicheren Tod bewahrt, sagt Privorozki. Ein Termin steht noch nicht fest. "Sie wird aber nicht weggeschmissen."
Die Blumen verwelken langsam
Direkt vor der Synagoge, an der eine 40 Jahre alte Passantin zufällig auf den Attentäter traf und erschossen wurde, liegen noch immer Blumen als Zeichen der Anteilnahme. Auch vor dem Döner-Imbiss, in dem der Attentäter einen 20 Jahre alten Merseburger kaltblütig tötete, sind noch Beileidsbekundungen zu sehen. Etliche Blumen sind schon verwelkt. Fan-Artikel des Halleschen FC, dessen Anhänger der 20-Jährige war, hängen noch immer an einem Baum vor dem Laden.
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Der 27 Jahre alte Attentäter übertrug seine Taten per Helmkamera ins Netz. Nachdem er an der Synagogentür scheiterte, die 40 Jahre alte Fußgängerin erschoss und zum Döner-Imbiss ging, um wahllos auf den 20-Jährigen zu schießen, flüchtete der Täter. Die Polizei konnte ihn Stunden nach dem ersten Schuss festnehmen. Er handelte aus rechtsextremistischen, antisemitischen Motiven, wie er sagte. Heute sitzt er in Untersuchungshaft in Halle.
Keine zwei Kilometer von den Anschlagsorten entfernt.
- Nachrichtenagentur dpa