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Klimastreik in Berlin – wütende Demonstranten: "Viel zu spät, viel zu wenig"


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Klima-Demonstranten sauer
"CDU und CSU sind solche Blockadeure!"

  • Nicolas Lindken
Von Madeleine Janssen und Nicolas Lindken

Aktualisiert am 20.09.2019Lesedauer: 5 Min.
Klima-Demonstranten in Berlin: Viele äußerten ihren Ärger über den Kompromiss des Klimakabinetts.Vergrößern des Bildes
Klima-Demonstranten in Berlin: Viele äußerten ihren Ärger über den Kompromiss des Klimakabinetts. (Quelle: Fabian Sommer/dpa)

Dieser Freitag sollte das große Zeichen gegen den Klimawandel sein. Doch die Maßnahmen der Bundesregierung verlieren sich im Kleinklein. Die Demonstranten sind wütend.

Hinter dem Berliner Reichstag, nahe dem Friedrich-Ebert-Platz, tanzen drei Mädchen im Kreis. Sie rufen: "Wir sind hier! Wir sind laut! Weil ihr uns die Zukunft klaut!" Sie sind vielleicht acht Jahre alt. Die Passanten sammeln sich um sie herum, manche halten das Smartphone hoch und drehen ein Video. Je mehr Menschen stehenbleiben, umso lauter schreien die Mädchen. Für sie ist das kein Spiel. Sie lachen nicht. Sie meinen das, was sie sagen, ernst.

"Alle fürs Klima", unter dem Motto sind in Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main und vielen anderen Städten am Freitagnachmittag Millionen Menschen auf die Straßen gegangen und haben friedlich für Klima- und Umweltschutz demonstriert. Allein in Berlin sind es nach Angaben der Veranstalter knapp 300.000. Ein Mann trägt ein Fragezeichen aus Pappkarton, darauf steht: "Alte Gewohnheiten infrage stellen".

Ob das gelingt mit dem, was die große Koalition nun als Klimapaket verabschiedet hat? Denn das ist das Ergebnis der nächtelangen Klimaverhandlungen: Ein CO2-Preis soll Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas verteuern, die Regierung will damit mit 10 Euro pro Tonne CO2 ab 2021 einsteigen, 35 Euro werden für diese Verschmutzungsrechte ab 2025 fällig. E-Autos sollen gefördert, Ölheizungen schrittweise verboten werden. Um Verbraucher zu entlasten, sollen Pendlerpauschale und Wohngeld erhöht, die EEG-Umlage für erneuerbare Energien gesenkt werden. Finanzminister Olaf Scholz hält an der "schwarzen Null" fest, Schulden machen will er für den Klimaschutz nicht.

Das Klimapapier der Bunderegierung hier zum Nachlesen

Die Demonstranten schimpfen. "Viel zu spät, viel zu wenig, wieder ein Kompromiss, scheiße!", sagt eine Seniorin, die sich mit ihrem Partner in den Demo-Zug eingereiht hat. "Die wollen immer noch nicht wahrhaben, dass es um alles geht", sagt er. "CDU und CSU sind solche Blockadeure!", sagt sie.

Es steht viel auf dem Spiel. Das treibt immer mehr Menschen auf die Straße. Man muss wieder an die Gesichter der tanzenden Mädchen am Ebert-Platz denken. Neu an dieser Demo ist: "Fridays for Future" wird erwachsen. Es ist kein einfacher Schulstreik mehr. Auch wenn der Großteil der Protestierenden Jugendliche sind, haben sich diesmal auffällig viele Erwachsene zu ihnen gesellt. Im Vorfeld hatten Gewerkschaften und Kirchen, aber auch einzelne Unternehmen zum Klimastreik aufgerufen. Flixbus etwa gab seinen Mitarbeitern frei und wollte auch Demonstranten kostenlos in die Demo-Städte fahren.

"Fridays for Future" wird erwachsen

Das, was Greta Thunberg vor einem guten Jahr in Stockholm losgetreten hat, hat sich weiterentwickelt, "… for Future" ist zur Marke geworden. In Berlin zu sehen: Es gibt "Omas for Future", "Babys for Future", sogar Hunde tragen Schilder aus Pappe und sind "Dogs for Future". Wie ernst das alles ist, daran erinnert aber die Gruppierung "Scientists for Future". Die Wissenschaftler haben Zettel mit Fakten zum Klimawandel an die Straße des 17. Juni geklebt.

Einer, dem die Entwicklung des Planeten schon seit Jahren Sorgen macht, ist Christoph Wohlfarth. Am Morgen des großen Klimastreiks steht er in einer Filiale der GLS-Bank, die mit nachhaltigen Investments wirbt, und schreibt auf eine Pappe: "Mehr Mut fürs Klima!" Damit wird er später zum Brandenburger Tor ziehen. Der 41-Jährige ist jemand, den man früher vielleicht abfällig als "Öko" bezeichnet hätte. Heute ist er womöglich eher ein Pionier. Wohlfarth betreibt in Berlin seit neun Jahren eine kleine Chocolaterie, die er fast vollständig auf Klimaschutz trimmt: Seinen Kakao bezieht er direkt vom Hersteller. Die Schokolade verpackt er erst in Zellglastütchen und danach in einen Karton. Selbst bei den Aufklebern zum Verschließen ist Wohlfarth penibel: Die Farben enthalten kein Erdöl.

Er sagt: "Wir verballern dieses Öl mit enormem Energieaufwand, um etwas ganz kurz in der Hand zu halten." Seit einem Urlaub auf Kos, wo er den Plastikmüll am Strand liegen sah, sieht Wohlfarth das nicht mehr ein. "Da gibt es genug Alternativen." Gleichzeitig weiß er: Im Alltag stößt er an seine Grenzen. Er hat kein Auto und fährt bei jedem Wetter mit dem Fahrrad. Um Plastikfläschchen und -verpackungen zu vermeiden, wäscht er ausschließlich mit Seife. Die Sache mit den Tomaten ist aber ein Kampf: Er will sie unverpackt kaufen. Dann sind sie häufig nicht "bio". Dafür müsste er dann in verschiedenen Läden einkaufen.

"Reicht nicht! Nicht zufrieden!"

Zwischen Brandenburger Tor und Reichstagsgebäude wabert die Melodie eines alten Bob-Dylan-Songs. "The answer, my friend, is blowin‘ in the wind", singt ein Mann ins Mikrofon. Unwillkürlich denkt man an die Antworten, die die Regierung am Nachmittag gegeben hat. Die Menschen auf den Straßen haben vom Klimakabinett passende Antworten erwartet auf die Probleme, vor die der Klimawandel die Gesellschaft stellt. Konfrontiert man sie jetzt mit dem jetzt festgelegten CO2-Preis von 10 Euro je Tonne, schwanken sie zwischen Fassungslosigkeit und Wut. "Das funktioniert so nicht", sagt die 15-jährige Tora. "Enttäuschend, das bleibt unter den Forderungen zurück", sagt Christin (38). "Reicht nicht! Nicht zufrieden!", schimpft Anna (34). "Es muss wehtun, auch dem Einzelnen!"

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"Alte Gewohnheiten infrage stellen", hatte der Mann mit dem Fragezeichen aus Pappe postuliert. Zur Wahrheit gehört aber auch: Diese Demo ist vor allem eine Konsens-Demo derer, die sich Klimaschutz entweder bereits leisten können oder zu herben Einschnitten bereit sind, also wenig kaufen, und das ausschließlich im "Unverpackt"-Laden oder einer "Produktionsgenossenschaft" statt beim günstigen und überall ansässigen Lidl oder Penny. Man sieht Mütter und Väter mit teuren Kinderwägen, Studenten, Menschen, die allem Anschein nach dem deutschen Mittelstand angehören.

Wer die Ergebnisse des Klimakabinetts positiv deuten möchte, erkennt vielleicht das Bestreben, die Menschen, und zwar nicht nur die Gutverdiener, nicht allzu sehr unter den Beschlüssen leiden zu lassen. Aus Sicht der meisten Demonstranten, gerade auch der Wissenschaftler, dürfte das zu kurz gedacht sein – wer jetzt nicht handelt, wird es später bereuen, ist hier das Credo.


Der Schokoladenhersteller Christoph Wohlfahrt ist enttäuscht. "Da muss noch viel mehr passieren", sagt er. Dennoch: Überrascht ist er nicht. Tiefgreifende Veränderungen durchzusetzen sei eben unpopulär. "Es wird der Anschein erweckt, als müsste man überhaupt nicht verzichten." Wohlfarth lässt sich noch ein wenig mit den anderen Demonstranten treiben, dann fährt er mit dem Rad zurück zu seiner Manufaktur.

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