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Fall Walter Lübcke (✝65): Die Liste von Attentaten auf Politiker ist lang


Mordfall Walter Lübcke
Gewalttätige Angriffe von Rechtsaußen häufen sich

Von Dietmar Seher

Aktualisiert am 18.06.2019Lesedauer: 5 Min.
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Die Trauerfeier von Walter Lübcke (CDU): Die Bundesanwaltschaft geht von einer rechtsextremen Tat aus.Vergrößern des Bildes
Die Trauerfeier von Walter Lübcke (CDU): Die Bundesanwaltschaft geht von einer rechtsextremen Tat aus. (Quelle: Swen Pförtner/dpa-bilder)

Der mutmaßliche Mord an Walter Lübcke war wohl politisch motiviert. Er reiht sich in eine lange Reihe von Gewalttaten gegen Politiker. Dabei waren nicht immer Rechtsextremisten die Täter.

Im Mordfall des hessischen Spitzenbeamten Walter Lübcke verdichten sich die Anzeichen, dass es sich um eine rechtsextreme Tat gehandelt hat. Davon geht nun auch die Generalbundesanwaltschaft aus, die am Montag die Ermittlungen übernommen hat. Bestätigt sich der Verdacht, reiht sich der Fall in eine Liste von Anschlägen auf Politiker in den letzten Jahren ein. Wer steckte in diesen Fällen dahinter? Und: Werden sie immer aufgeklärt?

Da ist der Fall des Bonner Malergesellen Frank S.: Seine Lebensgeschichte war ein einziges Warnsignal. Er hörte rechtsextreme Songs und las vom norwegischen Utoya-Attentäter Anders Breivik. Er war in der rechten Szene vernetzt, prügelte sich mit der Antifa, hatte an Rudolf-Heß-Aufmärschen teilgenommen und führte mutmaßlich die neonazistische Schlägertruppe "Berserker" mit an. Drei Jahre musste er wegen rechtsradikaler Gewalttaten in Haft.

Im Herbst 2015 erreichte der Flüchtlingszustrom seinen Höhepunkt. Frank S. war 45 Jahre alt, arbeitslos und erbost. Er wollte ein Zeichen setzen. Sein Opfer: Henriette Reker. Sie war damals in Köln Kandidatin für das Amt der Oberbürgermeisterin. Am 17. Oktober stach er die parteilose Politikerin, die zu diesem Zeitpunkt als Sozialdezernentin der Domstadt für die Asyl-Integration zuständig war, auf offener Straße mit einem Jagdmesser nieder.

Reker überlebte das Attentat schwerstverletzt. Die Kölner wählten sie zur Oberbürgermeisterin. Frank S. dagegen wurde zu 14 Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt. Das Gericht stellte fest: Er ist der Typus Gewalttäter, der mit seinen Taten politische Signale geben will.

59 Gewalttaten seit 2016

Die Opfer solcher Menschen sind nicht nur Politiker, sondern auch Spitzenbeamte. Wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von solch einem Täter erschossen? Lübcke starb in der Nacht zum 2. Juni. Einer seiner Söhne fand ihn im Garten. Der Schuss ist nach Angaben der Polizei aus unmittelbarer Nähe abgefeuert worden. Die Ermittler gehen davon aus, dass der inzwischen verhaftete 45-jährige Stephan E. der Täter ist. Die Kontakte des Mannes reichten tief in die rechte Szene. Lübcke hingegen hatte seine Sympathien für die Aufnahme von Asylbewerbern offen gezeigt.

300 bis 400 Morde insgesamt meldet die Kriminalstatistik jährlich – meist aus Motiven wie Wut, Habgier, Rache oder sexuellen Antrieben. Der politische Mord einschließlich des Versuchs ist eher selten. Aber es gibt ihn in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Darauf deutet auch eine neue Statistik hin: Seit 2016 werden Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger extra gezählt. 27 Gewalttaten – ausgeführt von Rechten wie von Linken – wurden im ersten Jahr, 32 dann für 2017 gezählt. Zwei davon waren versuchte Tötungsdelikte. Beide Täter stammten aus rechten Kreisen.

Mit Tötungsdelikten müsse gerechnet werden

Gewalttätige Angriffe von Rechtsaußen häufen sich. Von dort zielen sie nicht nur auf Asylbewerberheime und auf Menschen mit Migrationshintergrund, wie bei den Mordopfern des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Das Bundeskriminalamt hat in einem Bericht gewarnt: Gerade wegen des verbalradikalen Vorgehens der rechtsextremen Szene "zum Nachteil von politischen Führungsfiguren und Amtsträgern" müsse "mit Tötungsdelikten" gerechnet werden.

2002: Der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele wird in Berlin-Tiergarten mit einem Handkantenschlag niedergestreckt. Der Angreifer ist Bendix W., ein polizeibekannter Neonazi, der schon einmal wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz strafrechtlich verfolgt worden war.

2008: Ein Unbekannter greift den leitenden bayerischen Polizisten Alois Manichl vor seinem Haus bei Passau mit einem Messer an, das der Polizeibeamte selbst auf einer Fensterbank liegengelassen haben will. Manichl überlebt. Zur Tatzeit war der Beamte in rechtsradikalen Kreisen wegen des harten Vorgehens gegen neonazistische Extremisten verschrien. Der tatsächliche Hintergrund des Falles ist bis heute ungeklärt.


2017: Zwei Jahre nach der Kölnerin Henriette Reker wird ihr Amtskollegen Andreas Hollstein verletzt, Bürgermeister im kleinen westfälischen Städtchen Altena. Ein alkoholisierter 56-Jähriger in einem Dönerladen sticht ihn mit einem Messer nieder. Hollstein überlebt. Die Staatsanwaltschaft sah ein "politisches Motiv", der Täter habe sich lautstark über die Aufnahme von Flüchtlingen und die aktive Rolle Hollsteins dabei mokiert.

"Hasskriminalität" gegen lokale Persönlichkeiten

Mehr noch als die direkte Gewalt gegen Politiker ist die Zahl der Drohungen und Einschüchterungen gewachsen. 2016 fragte der Städte- und Gemeindebund seine Mitglieder in den Rathäusern nach Beleidigungen oder Beschimpfungen. Jeder zweite hatte entsprechende Erfahrungen gemacht. Jeder fünfte erhielt Hass-Mails. Sechs Prozent wurden körperlich angegriffen. Der Dachverband der Kommunalpolitiker spricht inzwischen von einer "Hasskriminalität" gegen lokale Persönlichkeiten.

In Stuttgart erhielt der einer linken Liste angehörige Stadtrat Luigi Pantisano Morddrohungen. In Bocholt (NRW) gingen solche Bedrohungen beim lokalen SPD-Vorsitzenden Thomas Purwin ein, der daraufhin aus Sorge um seine Familie zurücktrat. In Tröglitz in Sachsen-Anhalt hat Bürgermeister Markus Nierth (parteilos) auf sein Amt verzichtet, nachdem Rechtsextreme vor dem Haus des siebenfachen Vaters aufziehen wollten.

Nicht alle Anschläge sind politisch motiviert

2017 kam es zudem bundesweit 35 mal zu gezielten Sachbeschädigungen. So gingen in Herne Fahrzeuge der Bundestagsabgeordneten Michelle Müntefering (SPD) und des CDU-Landtagskandidaten Sven Rickert in Flammen auf. Schon 2015 wurde auf das Auto des Freitaler Linken-Politikers und Stadtrats Michael Richter ein Sprengstoffanschlag verübt und das Fahrzeug des Brandenburger Landtagsabgeordneten Thomas Schwarz (CDU) verwandelte sich in ein glühendes Wrack.

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Nicht alle Morde und Mordversuche an hochrangigen und populären Politikern waren in der Geschichte der Bundesrepublik tatsächlich politisch motiviert. Im Mai des Einheitsjahres 1990 verletzte Adelheid S. den SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine mit einem Messer am Hals. Sechs Monate darauf schoss Dieter K. nach einer Veranstaltung im badischen Oppenau auf den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Beide Politiker überlebten die Angriffe.

Lafontaine musste lange mit dem Gewalttrauma kämpfen, Schäuble sitzt seither weitgehend gelähmt im Rollstuhl. S., die Wahnvorstellungen antrieben, und der drogensüchtige K. waren psychisch krank. Gutachten haben dies nachgewiesen.

Besonders stark ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt sind die drei Jahrzehnte nach 1970. Da kam die tödliche Gefahr noch von weit links. 34 Unschuldige starben durch den Terror der Roten Armee Fraktion, der RAF. Sie mordete aus dem Untergrund heraus und hatte vorrangig "Symbolfiguren des Systems" im Visier, zum Beispiel: Wirtschaftsführer.

Doch auch auf Polizeibeamte nahm die RAF keine Rücksicht, und Diplomaten wie Gerold von Braunmühl, Staatssekretäre wie Hans Neusel oder Juristen wie der Richter Günter von Drenkmann oder Generalbundesanwalt Siegfried Buback standen weit oben auf den Todeslisten. Braunmühl, Drenkmann und Buback bezahlten das mit dem Leben.



Ein anderer Mord ist der bisher vielleicht mysteriöseste an einem deutschen Politiker. Am 11. Mai 1981 wurde auf den hessischen Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry geschossen. Karry schlief in seinem Bett in Frankfurt, als ihn, früh um fünf, Kugeln des Kalibers 22 durch das offene Schlafzimmerfenster trafen. Der FDP-Mann verblutete. Nie zuvor in der Geschichte hatte es einen tödlichen Anschlag auf einen so hochrangigen Regierungsvertreter gegeben.


Wochen später meldeten sich die "Revolutionären Zellen", wie die RAF auch vom linken Rand stammend. Der Tod Karrys sei Zufall gewesen, man habe ihn nur in die Beine schießen wollen. Doch bis heute sitzen die Zweifel an der Echtheit dieses Bekennerschreibens tief bei den Ermittlern. Der Fall ist längst zum "Cold Case" geworden. Täter unbekannt, Motiv auch. Er gilt als ungeklärt.

Verwendete Quellen
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