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Handball-WM 2019: Die Fixierung auf die Herkunft ist das Problem


Begeisterndes DHB-Team
Die Debatte um Migranten im Handball ist fehl am Platz

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

25.01.2019Lesedauer: 5 Min.
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Die deutsche Mannschaft feiert den Sieg gegen Spanien: Die Debatte um den fehlenden Migrationshintergrund in der Handball-Nationalmannschaft ist fehl am Platz, meint Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Die deutsche Mannschaft feiert den Sieg gegen Spanien: Die Debatte um den fehlenden Migrationshintergrund in der Handball-Nationalmannschaft ist fehl am Platz, meint Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: Herbert Bucco/imago-images-bilder)

Handball ist ein toller Sport. Actiongeladen, torreich, spannend. Heute geht’s im Halbfinale der Heim-WM gegen Norwegen. Doch viele fragen sich: Wo sind die Khediras, Özils oder Boatengs in der Mannschaft? Diese Frage ist fehl am Platz.

Meine Lieblingsszene spielte in der 49. Minute: Silvio Heinevetter pariert den Hüftwurf von Daniel Dujshebaev, schaltet auf Tempogegenstoß um und setzt mit grandiosem Pass übers ganze Spielfeld Matthias Musche in Szene. Der fängt die Kunstlederkugel, läuft drei Schritte, hebt ab und versenkt sie im Sprung über seinen Gegenspieler hinweg im Netz. Spaniens Torwart Gonzalo Pérez de Vargas hat kaum die Zeit zu zucken, um den Ball abzuwehren. Deutschland führt mit vier Toren. 19.250 Zuschauer in der ausverkauften Kölner Arena stehen Kopf. Ich sitze mitten drin und staune jubelnd ...

Als frühere Basketballerin ist mir einiges vertraut, was beim Handball passiert, aber auch einiges nach wie vor fremd, wie der harte Körpereinsatz. Handball ist 60 Minuten Vollgas. Es macht einfach Spaß zuzuschauen. Millionen Menschen vor dem Fernseher, Zehntausende in den Hallen verstehen das, derweil grübeln manche lieber über die Frage, welche Hautfarbe, Religion oder Herkunft die Spieler haben. Wie zuletzt bei jedem großen Handball-Turnier gibt es auch dieses Jahr wieder Beobachter, die investigativ feststellen, wie bunt und heterogen Fußball und wie weiß und homogen dagegen Handball ist.

Nicht der Stigmatisierung Vorschub leisten

"Spiel der Autochthonen" titelt die "taz". "Wo sind die Khediras, Özils oder Boatengs?", fragen die "Stuttgarter Nachrichten". "Spiegel Online" stellt erschrocken fest: "Die deutsche Auswahl hat mit Patrick Wiencek, dessen Eltern aus Polen stammen, einen einzigen Spieler mit Migrationshintergrund im aktuellen WM-Kader." Und die "Süddeutsche Zeitung": "Dieser urdeutsche Sport muss die großen Städte erobern, und er muss junge Menschen mit Migrationshintergrund begeistern."

Muss er das? Nein, er muss sie nicht begeistern! Es wäre nicht schlimm, wenn er es täte. Aber warum soll man beim Handball dauernd nach Migrationshintergründen fragen und weiterer Stigmatisierung Vorschub leisten? Habt doch einfach Spaß an diesem Sport oder lasst es!

Selbst der Generalsekretär des Deutschen Handballbunds (DHB), Mark Schober, sieht in jugendlichen Migranten, die sich dem Handball bisher zögerlich annäherten, ein großes Potenzial, das man nutzen müsse. Das kann man tun. Meines Erachtens sollte es dem DHB primär darum gehen, die Faszination Handball zu vermitteln: die Athletik, die Schnelligkeit, die spektakulären Tore, die Spannung, die Dramatik bis zur letzten Sekunde, den Teamgeist. Der Sport spricht für sich. Wenn junge Menschen seinen Reiz erkennen, kommen sie von allein – ganz gleich ob sie Wurzeln in der westdeutschen Provinz, der ostdeutschen Handball-Hochburg Magdeburg oder im Ausland haben; schließlich wird auch in Japan, Brasilien, Ägypten, Tunesien oder Bahrain guter Handball gespielt.

Zweitbeliebteste Mannschaftssport wird zum Randphänomen gemacht

Basketball beispielsweise erlebte in den 80er- und 90er-Jahren in Deutschland einen Hype, weil in den USA die Larry Birds, "Magic" Johnsons, Kobe Bryants und natürlich Michael Jordans beeindruckende Dunkings, Korbleger und imposante Rebounds aufs Spielfeld zauberten. Der Nachwuchs, ganz gleich in welchem Land er seine Wurzeln hat, strömte von selbst in die Vereine – ob nun in Gießen und Bamberg oder den Metropolen Berlin und München.

Wenn aber in der Heimat "der stärksten Handball-Liga der Welt" nicht einmal die WM im frei empfangbaren Fernsehen gezeigt wird, wie 2015 und 2017, muss man sich über negative Folgen nicht wundern. Wenn die zweitbeliebteste Mannschaftssportart im Land für ein Randphänomen gehalten wird und man mehr als zehn Millionen Zuschauer schon bei einem Hauptrunden-Spiel (wie gegen Kroatien) und mehr als neun Millionen bei einer sportlich unbedeutenden Partie (wie gegen Spanien) erst verwundert zu Kenntnis nehmen muss, da einem die Routine eintrichtert, Fußball ist Fußball ist Fußball, dann sehe ich für Verantwortliche und Freunde des Handballs deutlich vorrangigere Aufgaben, als nach Migrationshintergründen Ausschau zu halten.

Und was nun die Sportfans betrifft: Gewiss mag es dem einen oder anderen Deutschen mit ausländischen Wurzeln oder liberalerem Geist leichter fallen, die Fußballnationalmannschaft mit Spielern unterschiedlicher Herkunft anzufeuern. Die Pluralität im Fußball als Volkssport Nummer eins strahlt zwar eine viel stärkere integrative Kraft aus und übernimmt somit eine wichtige gemeinschaftsstiftende Aufgabe, wie ich vergangenes Jahr an dieser Stelle geschrieben hatte.

Man bedenke jedoch: Wir sind ein Land inmitten der Europäischen Union ohne Schlagbäume an den meisten Grenzen, dafür mit freiheitlich demokratischer Grundordnung. Dieses Land repräsentieren auch unsere Handballer – egal welche Hautfarbe sie haben. Ein offenes Deutschland muss im Sport nicht zwangsläufig von Khediras oder Boatengs vertreten werden, zumal der Fall Özil bekanntlich gezeigt hat, wie viel mehr Schein als Sein ist.

Fixierung auf Herkunft

Mir erscheint vielmehr die Fixierung auf die Herkunft von Spielern an sich das eigentliche Problem unserer Gesellschaft zu sein. Lässt sich daran abermals ablesen, wie sehr nach wie vor auf klassische rassistische Merkmale wie Hautfarbe geachtet wird, selbst wenn bei dieser Diskussion über Handball die Absichten positiv sein mögen.

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Statt sich auf Randaspekte zu konzentrieren, würde ich mir also wünschen, das Eigentliche in den Vordergrund zu stellen: den tollen, actiongeladenen Sport. Politik, Wirtschaft, Kultur, Medien und Gesellschaft täten gut daran, den DHB dabei zu unterstützen. Handball vermittelt wertvolle Tugenden wie Respekt vor dem anderen, Solidarität oder Zusammenhalt – obwohl oder vielleicht gerade weil es ein so robuster Sport ist, gehen die Spieler zumeist sehr vorbildlich miteinander um.

Im Vergleich zum Fußball gibt es weniger Theatralik, Schwalben, Rudelbildungen, Eitelkeiten, vor UND nach der Partie klatschen alle Spieler beider Mannschaften ab. Auf den Tribünen herrscht in der Regel freundliche, ausgelassene Stimmung und Zuvorkommenheit. Keine Hooligans, keine Bengalos, keine hassverzerrten Schmähgesänge auf den Gegner. Während ich mir bei Fußballpartien schon öfters überlegt habe, ob man mit Kindern hingehen kann, sind mir solche Zweifel beim Handball bislang nie gekommen.


Gegenwärtig gelingt der Handball-Nationalmannschaft das, was dem Fußball zuletzt abhanden gekommen ist: Menschen zu vereinen und in den Bann zu ziehen – ganz ohne potenzielle Integrations-Bambi-Kandidaten. Diese Chance muss man nutzen. Möge die Begeisterung anhalten: Drücken wir den Spielern um Kapitän Uwe Gensheimer fürs Halbfinale gegen Norwegen heute Abend (20.30 Uhr live in der ARD und im Liveticker auf t-online.de) alle gemeinsam die Daumen. Und dann am Sonntag fürs Finaaaleee!

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und . Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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