Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Gespaltenes Land Liebe zu Deutschland ist gerade jetzt wichtig
Fußball verbindet – auch in aufgewühlten Zeiten. Denn Patriotismus kann heilsam für die Wunden der Gesellschaft sein. | Eine Kolumne von Lamya Kaddor.
Jetzt erst recht! Unsere Nationalmannschaft hat den Auftakt bei der Fußball-Weltmeisterschaft versemmelt, aber gegen Schweden und Südkorea geht es nun richtig los. Wie Millionen andere werde ich vor dem Fernseher sitzen, Daumen drücken und mitfiebern. In voller Montur. Ich habe mir extra ein Trikot zugelegt: das deutsche Auswärtstrikot in den satten Grüntönen, die im markanten Zackenmuster von hell nach dunkel changieren, das stark an das Trikot von 1990 erinnert. 1990 wurde ich zum ersten und wir zum dritten Mal Weltmeister.
Für mich war es überhaupt die erste Fußball-WM, die ich bewusst mitverfolgt habe, auch wenn ich schon damals lieber selbst auf dem Basketballfeld stand und Körbe geworfen habe. Inzwischen sind vier Sterne über dem DFB-Adler und ich will, dass in Russland der fünfte dazu kommt.
Zu dem grünen Trikot kombiniere ich übrigens einen schwarz-rot-goldenen Paillettenhut, ein schwarz-rot-goldenes Armband, ein Paar schwarz-rot-goldene Feder-Ohrringe und schwarz-rot-goldene Fan-Schminke. Das mögen manche albern finden und als "Party-Patriotismus" abqualifizieren. Aber ich stehe dazu. Der Philosoph Wolfram Eilenberger sagte jüngst im Deutschlandfunk den wunderbaren Satz: "Fußball ist eine Art Rationalitätsloch im Herzen unserer Gesellschaft."
Fußball verbindet – jeden
Fußball ist jedoch noch viel mehr. Er verbindet, wie Sport im Allgemeinen. Er führt unterschiedlichste Menschen zusammen: Millionäre und Hartz-IV-Empfänger, Akademiker und Schulabbrecher, Deutsche und Ausländer, Homosexuelle und Heterosexuelle, Gläubige und Nicht-Gläubige, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, Spaßbremsen und Rampensäue. Fällt ein Tor, liegen sie sich völlig urteilsfrei in den Armen. Wer zum Rudelgucken geht, kann das selbst beobachten.
Auf einmal ist alles egal.
Für einen Moment nur. Aber der schweißt zusammen und lässt die Unterschiede, auf die sonst dauernd herumgeritten wird, vergessen. Jeder darf sich purem Enthusiasmus hingeben. Was für ein Gewinn in einer Zeit, in der so viele verbitterte und verbiesterte Starrköpfe nur polarisieren wollen. Kaum etwas anderes als Fußball hat in Deutschland diese magische Kraft, und stärkster Energielieferant ist unsere Nationalmannschaft.
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Das DFB-Team sollte sich das noch einmal ganz besonders bewusst machen, wenn es im Olympiastadion von Sotschi einläuft. Die Mannschaft ist das leuchtende Symbol eines freien, offenen und modernen Deutschlands, in dem mit Abstand die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sehr, sehr gerne lebt.
Diese Mehrheit sollte sich weniger auf die Quertreiber konzentrieren, sondern mehr auf sich selbst und ihre positive Grundeinstellung nach außen zeigen: Flutet den Alltag mit Positivem!
Nörgler machen sich durch Geschrei größer als sie sind
Reicht den Stänkerern, Nörglern und Griesgramen die Hand der Freundschaft, vielleicht wird es ihre Herzen erwärmen. Doch wenn sie diese Hand ausschlagen, pfeift auf sie! Dann lasst sie das Internet eben mit ihrem Frust verpesten. Ignoriert sie und ihre medialen und politischen Fürsprecher immer öfter! Sie sind die Minderheit und weil sie das am meisten ärgert, versuchen sie permanent, sich durch Stimmungsmache, Geschrei und Manipulation künstlich größer zu machen. Darauf sollte man nicht mehr hereinfallen.
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Die Zufriedenen haben solche Spielchen nicht nötig. Sie leben ihr Leben und beteiligen sich nicht an Propaganda. Die Unverbesserlichen, die in die völkische und nationalistische Mottenkiste greifen, isolieren sich selbst. Deutschland ist nicht nur deren Heimat.
Es ist auch die Heimat der anderen. Pegida hat nicht mehr Anrecht auf dieses Land als die Rapgruppe "Sons of Gastarbeita", als "Tagesschau"-Sprecherin Linda Zervakis, die Moderatorinnen Dunja Hayali und Nazan Eckes, Musiker Adel Tawil, Journalist Deniz Yücel, Autor Henryk Broder etc. Nur weil sich einige Nationalismus auf die Fahnen schreiben, bestimmen sie noch lange nicht allein, wer oder was Deutsch ist. Sie wirken mit an der Bestimmung, nicht mehr und nicht weniger. Das Recht auf Deutungshoheit müsste man ihnen schließlich erst einräumen. Aber warum sollte man das tun?
Offenes Deutschland führt nicht zurück in die Vergangenheit
Es ist das 21. Jahrhundert. Genau diese Einstellung machen Anhänger der deutschen Nationalmannschaft im Jahr 2018 deutlich – und ich tue es eben mit Deutschlandhut und Deutschland-Federohrringen.
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Auch all die Mahner und Warner, die bei deutschen Symbolen stets nationalistische Gefahren vermuten, könnten ein wenig entspannter sein. Die Identifikation mit einem freien, offenen und modernen Deutschland kann nicht auf die Wege der Vergangenheit führen. Solange die Manuel Neuers, Mesut Özils, Thomas Müllers, Ilkay Gündogans, Julian Brandts, Jerome Boatengs, Tonis Kroos’, Sami Khediras, Mats Hummels’, Mario Gomez’, Marco Reus’, Antonio Rüdigers dieses Land repräsentieren, werden die Risiken der Ausgrenzung und des Triumphgeheuls reduziert.
Auf dieser Basis kann Patriotismus, die Freude an diesem Land und für dieses Land, etwas Heilsames für die Wunden unserer Gesellschaft sein. Deshalb möchte ich den sinisteren Gedanken der Deutschnationalen nicht das Feld überlassen. Also: Auf gehts Deutschland, schieß Dein Tor!