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Vor der Landtagswahl Bayern: Streit statt Kampf um jede Stimme


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Staatspartei im Umfragetief
Streit statt Kampf um jede Stimme

Eine Analyse von Jonas Schaible

Aktualisiert am 12.10.2018Lesedauer: 5 Min.
Seehofer und Söder: Immer mit dem Finger auf andere zeigen.Vergrößern des Bildes
Seehofer und Söder: Immer mit dem Finger auf andere zeigen. (Quelle: Sebastian Widmann/Getty Images)
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Kurz vor der Landtagswahl in Bayern bereitet die CSU die Niederlage vor. Die Mächtigen wollen ihre Haut retten – selbst wenn sie der Partei schaden.

Wenn es draußen kalt und karg wird, verkriechen sich Bären an einen geschützten Ort und halten Winterruhe. Das ist ihr natürliches Verhalten. Manchmal tapsen Bären stattdessen durch verschneite Wälder. Das ist ungewöhnlich, aber nicht besorgniserregend. Bedenklich wäre es, würden Bären anfangen, ihr eigenes Fell zu verteilen, bevor sie erlegt wurden. Dabei wurden allerdings selbst Problembären noch nie beobachtet.

Das natürliche Verhalten der CSU im Angesicht schlechter Umfragewerte wäre es, darauf zu verweisen, dass noch Zeit sei bis zum Sonntag und nichts entschieden. Ungewöhnliches, aber nicht besorgniserregendes Verhalten wäre es, zu erklären, dass es nicht wirklich gut aussehe.

Aber die CSU verteilt ihr eigenes Fell, bevor sie erlegt wurde.

Die Schuldzuweisungen haben längst begonnen

Markus Söder, Ministerpräsident und Spitzenkandidat, schiebt alle Schuld auf die Bundesregierung, also Parteichef und Bundesinnenminister Horst Seehofer: “Das sind alles Zahlen, die unglaublich geprägt werden durch Berliner Politik.” Horst Seehofer sagt, er selbst habe sich in den Wahlkampf nicht eingemischt. "Das ist das persönliche Vorrecht des Ministerpräsidenten Markus Söder.”

Der frühere Landeschef Edmund Stoiber macht salomonisch die zugezogenen Preußen verantwortlich, denen die Dankbarkeit gegenüber der CSU fehle. Nur Alexander Dobrindt, der Landesgruppenchef im Bundestag, ist auffallend still geworden. Vielleicht hat er sich im bayerischen Wald versteckt. Vermutlich hofft er, dass alle vergessen, dass es ihn gibt, wenn er schweigt.

Nur von einem guten Ergebnis reden sie alle nicht. Es müssen außergewöhnliche Umstände sein, die eine Partei zu so etwas treiben.

Die CSU hätte Grund zur Hoffnung

Stimmenverteilung quer width: 100%; height: 560px; border: 0;

Vor allem, weil längst nicht alles verloren ist. Die CSU hat eine derart große Stammwählerschaft, dass sie kaum unter 30 Prozent fallen kann. Das bayerische Wahlrecht hilft Parteien mit starken Direktkandidaten. Also der CSU. Die Hälfte der Wähler sind noch unentschlossen. CSU-Anhänger sind konservativ und einige von ihnen scheuen am Ende vielleicht doch den Umsturz.

Aber offensichtlich haben die Christsozialen jede Hoffnung fahren lassen. Man könnte es als strategisches Erwartungsmangement verklären. Wenn man alle nur lang genug an die 33 Prozent gewöhnt, wirken 36 plötzlich wie ein Sieg.

Aber wahrscheinlicher ist, dass da einfach sehr viel zusammenkommt und sehr wenig stimmt in der CSU.

Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit

Sie war ja gefühlt immer, in Wahrheit seit 1958, keine normale Partei. Näher als sie kam mit demokratischen Mitteln niemand an sozialistische Wahlergebnisse. Alfons Goppel und Edmund Stoiber holten mehr als 60 Prozent, und dazwischen kam Franz Josef Strauß, der zwar nur 59 Prozent schaffte, aber gefühlt größer war als alle anderen. Seehofer holte 2013 immerhin die absolute Mehrheit zurück. Die Illusion, der gesellschaftliche Wandel treffe Bayern nicht, wurde ein letztes Mal genährt.

Diese Landtagswahl ist das Memento mori der CSU, die plötzliche Einsicht in die eigene Sterblichkeit. Der Herr hat's gegeben, die Wähler werden's nehmen. Eine solche Erkenntnis kann lähmen.

Für die CSU ändert sich damit künftig alles. Ihr Selbstverständnis und Rollenempfinden. In Berlin wird eine 30-Prozent-Regionalpartei nicht mehr so einflussreich sein wie eine 60-Prozent-Staatspartei.

Zu verantworten hat es die CSU selbst

Lähmen dürfte auch die Erkenntnis, dass man den drohenden Absturz selbst zu verantworten hat. Trotz der Frische der Grünen, der Bioneigung bayerischer Bauern und einer aufreißenden neuen Konfliktlinie sah es ja lange so aus, als könnte die CSU auf respektable 40 Prozent kommen.

Aber dann kamen die unseligen Sommermonate, der angedrohte Rücktritt des Innenministers, Diskussionen über angeblichen Asyltourismus und Zwangs-Kreuze in allen Landesbehörden, schließlich die geplante Strafbeförderung Hans-Georg Maaßen, die endgültig den Eindruck verfestigte, die CSU-Spitze habe Maß und Mitte verloren. "Die Grünen reden nicht über Anstand, aber die Leute halten sie für anständig", so beschrieb das ein CSUler. Die CSU redet von Anstand, aber die Leute glauben ihr nicht. Da ist etwas kaputt gegangen.

Die drei von der Zankstelle

Am meisten lähmt die Partei aber das Gerangel ihrer drei Spitzenmänner. Seehofer, Söder und Dobrindt misstrauen sich mit einigem Recht, und die Wähler werden das schale Gefühl nicht los, dass es ihnen vor allem darum geht, den anderen zu schaden und sich selbst schadlos zu halten.

Seehofer hat Söder öffentlich "charakterliche Defizite" attestiert. Söder zieht hinter den Kulissen gegen Seehofer her und hat ihn schon einmal weggeputscht. Dobrindts Position ist unklar, aber in Berlin verbreitet sich die Deutung, dass er nicht der treue Vasall Seehofers ist, für den der ihn lange hielt; Söder kann er sowieso nicht leiden.

So schiebt man den anderen Schuld zu oder verschiebt die Dinge so, dass sie den anderen schaden.

Wer muss die Schuld auf sich nehmen?

Söder macht präventiv Berlin verantwortlich, damit er nicht seinen mühsam erkämpften Posten in der Staatskanzlei nach wenigen Monaten abgeben muss – Günther Beckstein trat 2008 nach 43 Prozent zurück. Söder kann von 43 Prozent nicht einmal träumen.

Seehofer wisse, dass seine Zeit vorbei sei, aber er wolle den Söder mit in den Abgrund reißen – diese Geschichte erzählen in Berlin Politiker aller Parteien, auch der CSU; und man erzählt sie sich auch in bayerischen Bierzelten. Dazu muss er Söder die Schuld an einer Niederlage geben.

Dobrindt wiederum wäre in einer CSU ohne Söder und Seehofer als Parteichef beinahe konkurrenzlos. Was gut für ihn ist, weil er weder in Bayern sonderlich viele loyale Unterstützer hat noch in seiner Landesgruppe; dort gibt es etliche, die mit dem bissigen Parteirechten gar nicht können. Deshalb schweigt er so beflissen.

Alle wollen ihre Haut retten – auf Kosten der Partei

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Dass jetzt schon das Fell der CSU verteilt wird, liegt also in erster Linie daran, dass die mächtigen Männer ihre eigene Haut retten wollen. Im Notfall auf Kosten der Partei. Das heißt auch, dass die Kämpfe nach der Wahl wahrscheinlich nicht aufhören werden.

Seehofer hat gewiss mitbekommen, wie man in Bayern über ihn redet, er muss wissen, dass es für ihn politisch zu Ende geht. Memento mori auch hier. Wäre es ihm um einen würdigen Abschied gegangen, hätte er im Sommer zurücktreten können: als aufrechter Kämpfer für eine andere Flüchtlingspolitik. Als Märtyrer. Das hätte ihm geholfen und der CSU.

Nur hätte es auch Söder geholfen. Nach der Wahl zurückzutreten, würde ihm schaden, der CSU weniger helfen als damals, und Söder entlasten. Warum sollte er also freiwillig den Sündenbock geben? Zum Rücktritt zwingen könnte ihn nur ein Sonderparteitag, den drei Bezirksparteitage einfordern müssten. Dann müsste ihn jemand herausfordern. Söder zum Beispiel, Wahlverlierer gegen Wahlverlierer.

Die Kämpfe sind also noch nicht vorbei. Das Leiden der CSU wird nach der Wahl weitergehen – es sei denn, das Ergebnis fällt unerwartet gut aus. Die Mächtigen tun alles dafür, dass es nicht so kommt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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