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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Merkel bei Trump "Washington kann ein sehr fieser Ort sein, Kanzlerin"
Es war ein heikler Besuch von Angela Merkel bei Donald Trump. Sie wollten betont nett zueinander zu sein, aber seine Witzchen irritieren sie sichtlich. Was hat die Bundeskanzlerin erreicht?
Sie haben es wirklich versucht. Ein gutes Treffen sollte es werden. Besser als der missratene erste Versuch vor einem guten Jahr. Besser als es das schlechte Verhältnis und der Dauerstreit der letzten Monate erahnen ließen.
Also gaben sich Donald Trump und Angela Merkel wirklich Mühe beim Besuch der Bundeskanzlerin im Weißen Haus. Merkel brachte ein Gastgeschenk aus der Heimat von Trumps deutschen Vorfahren mit und tat das, was der US-Präsident am besten findet: Sie lobte ihn, wenn auch nur ein bisschen. Und Trump lobte Merkel, versicherte ihr, dass „unser Bündnis stark“ sei und machte ihr – zumindest beim gemeinsamen öffentlichen Auftritt – keinerlei persönlichen Vorwürfe beim Handelsstreit.
Vor dem Hintergrund des prunkvollen und herzlichen Besuchs von Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron unter der Woche wirkte Merkels Arbeitsbesuch schon vorab wie eine zweitklassige Angelegenheit.
Sehr viele Streitpunkte für zweieinhalb Stunden
Komplizierter wurde es durch den Umstand, dass aktuell viele Streitthemen zwischen Trump und Merkel, zwischen den USA und Deutschland zu klären wären. Im Handelsstreit droht Eskalation, Trump ist verärgert über Deutschlands Exportüberschuss in die USA, Merkel besorgt über Trumps mögliche Aufkündigung des Iran-Abkommens.
Zudem stimmt die Chemie zwischen Merkel und Trump nicht. Trump sah Merkel, die nach dessen Wahlsieg zur neuen Anführerin der freien Welt hochgeschrieben wurde, anfangs als echte Rivalin – bis diese sich zurückzog und monatelang nicht mit Trump sprach.
Das Treffen stand also von Anfang an im Krisenmodus: Nur keine Eskalation – und gute Stimmung verbreiten, lautete das Motto. Im Weißen Haus war dieses Ziel während der gesamten Besuchszeit von 2 Stunden und 40 Minuten zu spüren.
Trump ist plötzlich "stolzer Enkel" deutscher Einwanderer
Es begann schon Minuten vor der Ankunft der Kanzlerin, als Trumps Pressestelle eine Mitteilung über die angeblich wunderbaren Beziehungen verschickte. Dort wurde Trump gar als „stolzer Enkel“ eines deutschen Einwanderers bezeichnet – dabei tat Trump zu seinen New Yorker Zeiten jahrelang so, als stamme er von einem Schweden ab.
Merkel fuhr vor und bekam ein Küsschen – nicht wie Macron gefühlte 20 über drei Tage, aber immerhin. Im Oval Office gab es den Handshake für die Kameras, den Trump 2017 trotz Merkels Bitten verweigert hatte. Wieder ein Eklat abgewendet.
Merkel brachte einen Kupferstich aus dem Jahr 1705 mit, der die Heimatregion von Trumps Vorfahren – die Rheinpfalz – zeigt. Man plauderte länger über diese Ecke Deutschlands.
"Angela macht einen fantastischen Job"
Ganz deutlich wurde die Strategie der vorsichtigen Annäherung auf der gemeinsamen Pressekonferenz im East Room, bereits in den Eingangsstatements, die die beiden Regierungschefs ablasen: Trump von Blättern, die in Großbuchstaben bedruckt waren, Merkel von handgeschriebenen Notizen.
Merkel versuchte es mit Themen, von denen sie hoffen konnte, dass sie Trump emotional ansprechen: Sie betonte die zahlreichen Verbindungen durch in Deutschland stationierte US-Soldaten (Trump liebt das Militär). Sie gelobte, Trumps frisch bestätigtem Botschafter Richard Grenell einen herzlichen Empfang zu bereiten. Sie lobte Trumps Steuerreform.
Trump wiederum lobte Merkel. „Angela vertritt Deutschland, sie macht einen fantastischen Job.“ So weit, so gut. Und dann ergänzte Trump: „Aber wir werden Euch einholen.“ Ein typisch Trump’scher Spruch. Aber Merkels Miene war plötzlich sichtlich gequält.
Dies war auch der Fall, als Trump von einem US-Journalisten nach seinem Leibarzt Ronny Jackson gefragt wurde (den Trump zum Minister machen wollte, der sich aber am Donnerstag davon zurückzog.) Trump lamentierte wieder einmal darüber, wie gemein der Politikbetrieb zu seinen Leuten sei und sagte, während er sich zu Merkel drehte: „Washington kann ein sehr fieser Ort sein. Aber das wissen Sie nicht, Kanzlerin.“ Merkels Blick: wieder gequält.
Missmutige Blicke der Kanzlerin
Wenn man direkt vor den beiden saß, konnte man die missmutigen Blicke der Kanzlerin kaum übersehen.
Solche Momente verraten viel. Oft schaute Merkel zu Trump, und Trump zu Merkel, doch ihre Blicke trafen sich nur selten. Und Merkel bemühte sich offenkundig nicht – oder sie schaffte es zumindest nicht – ihre Meinung zu Trump allzu sehr zu verbergen.
Bei den Streitthemen gab es keinerlei Annäherung zu vermelden.
- Bei den deutschen Verteidigungsausgaben bekräftige Trump seine Meinung, nach der die USA im Rahmen der Nato zu sehr belastet würden, weil Deutschland seine Versprechen nicht einhalte. Und Merkel bot dabei nichts an, was den US-Präsidenten hätte besänftigen können.
- Beim Handelsstreit betonte Trump zwar, dass nicht Merkel Schuld trage am US-Handelsdefizit mit Deutschland, sondern „meine Vorgänger, die diese Entwicklung erlaubt haben“. Kaufen kann sich Merkel dafür nichts. Auf eine Journalistenfrage, was denn nun passiere, wenn am 1. Mai die Ausnahmeregelung für die EU von Trumps Importzöllen auf Stahl und Aluminium auslaufe, konnte Merkel nicht mehr sagen als: „Der Präsident entscheidet.“
- Ebenso ist es beim Atomabkommen mit dem Iran. Wie zuvor Macron appellierte Merkel daran, dass es mit einem Ausstieg aus dem Deal unmöglich werde, weitere Zugeständnisse von Teheran zu bekommen. Aber ob Trump das Abkommen trotzdem an der von ihm gesetzten Deadline am 12. Mai aufkündigen wird, weiß nach wie vor niemand. Vielleicht nicht einmal er selbst.
Außer allerlei netter Gesten und Worte brachte das Treffen also keinerlei neue Dynamik in die Beziehungen zwischen Trump und Merkel, ins aktuell schlechte deutsch-amerikanische Verhältnis oder in die so drängenden Streitthemen mit ihren potentiell weit reichenden Folgen.
Es wirkte, als ob Merkel Trump bereits aufgegeben hat und ihn eher belustigt betrachtet. Frei nach dem Motto: Man kann ihn eh nicht umstimmen, warum dann großartig Mühe verschwenden.
Positiv betrachtet wurde ein Eklat abgewendet, das Verhältnis stabilisiert. Die Bundeskanzlerin hat sich Trump zuliebe nicht verbogen. Negativ betrachtet kehrt Merkel mit leeren Händen zurück nach Berlin.
Der Besuch machte deutlich, dass sie und Trump in zwei völlig verschiedenen Welten leben. Was das für Deutschland bedeutet, bleibt offen. Nähere Erkenntnisse winken, wenn die kommenden Deadlines ablaufen, für Trumps Strafzölle am 1. Mai und für den Iran-Deal am 12. Mai. Oder bei der nächsten Deutschland-Kritik per präsidialem Tweet.
- Eigene Beobachtungen vor Ort