Wahl in Niedersachsen SPD siegt "fulminant" – Rot-Grün ohne Mehrheit
Jubel bei den Sozialdemokraten: Stephan Weil bleibt nach der Landtagswahl Ministerpräsident in Niedersachsen und die SPD kann zum ersten Mal im Jahr 2017 triumphieren. Die CDU erlebt ein Debakel und Teile der Partei äußern Kritik an der Kanzlerin. Die rot-grüne Regierungskoalition hat keine Mehrheit mehr.
Ein ungewohntes Bild in diesem Jahr: Die Anhänger der SPD in Hannover und Berlin jubeln. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat nach einer Aufholjagd in den Umfragen der letzten Wochen die CDU am Ende deutlich distanziert. Seine Partei kann nach fünf Wahlniederlagen im Jahr 2017 aufatmen. "Der Wahl-Sieg in Niedersachsen ist ein großer Erfolg, der jedem Sozialdemokraten gut tut", sagt Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, exklusiv im Interview mit t-online.de.
Trotz des großen Erfolges sieht Schneider den Ministerpräsidenten nicht als neue Lichtgestalt seiner Partei. "Stephan Weil ist viel zu bescheiden, um sich als Lichtgestalt zu bezeichnen. Aber er hat die CDU von ihrem hohen Ross herunter geholt", so Schneider. "Weil hat eine sehr gute Kampagne gefahren und durch eine Polarisierung wurden die Unterschiede zwischen SPD und CDU deutlich. Das hat Frau Merkel bei der Bundestagswahl immer abgeblockt."
"Keinen Anlass, in Sack und Asche zu gehen"
Die CDU verliert an Zuspruch und erlebt, besonders mit dem Hintergrund des großen Vorsprungs Anfang August, ein Wahldebakel. Trotzdem gibt sich Spitzenkandidat Bernd Althusmann kämpferisch. "Die rot-grüne Landesregierung ist abgewählt. Es gibt keinen Anlass, in Sack und Asche zu gehen", sagte Althusmann unter dem Jubel der CDU-Anhänger direkt nach der ersten Hochrechnung um 18 Uhr. Die totgeglaubte Regierungskoalition aus SPD und Grünen verfehlt eine Mehrheit nur knapp. Während Grüne, FDP und AfD mit einem einstelligen Wahlergebnis in den Landtag in Hannover einziehen, scheitern die Linken knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Carsten Schneider verteidigt, dass die SPD dafür gekämpft hat, die Linke aus dem Landtag zu halten: "Wir brauchen im niedersächsischen Landtag keine Linkspartei, um soziale Politik zu machen."
SPD deutlicher Sieger
Ministerpräsident und Wahlsieger Stephan Weil sprach von einem "fulminanten Erfolg" für die SPD: "Wir können zum ersten Mal seit der letzten Landtagswahl mit Gerhard Schröder vor 19 Jahren wieder die stärkste Fraktion im Landtag werden, das ist großartig." Aus seiner Sicht sorgte auch der Gang der Bundes-SPD in die Opposition für Rückenwind. Weil kündigte an, er wolle mit allen Landtagsparteien außer der AfD über mögliche Koalitionen sprechen. Nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen geht der SPD-Sieg in Niedersachsen stark auf das hohe Ansehen Weils und auf Landesthemen zurück.
Bislang schlossen SPD, CDU, Grüne und FDP eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. Die FDP schob schon am frühen Wahlabend in einer ersten Reaktion Ampel-Spekulationen den Riegel vor. "Eine Ampel wird es mit den Freien Demokraten nicht geben“, so der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki. Auch FDP-Spitzenkandidat Stephan Birkner bekräftigte in der ARD: "Wir gehen nicht in die Ampel." Demnach wäre aktuell eine Große Koalition die einzigen Option für Ministerpräsident Weil.
Die Sozialdemokraten werden nach Auszählung aller Stimmen zum ersten Mal seit 1998 wieder stärkste Kraft - mit 36,9 Prozent (2013: 32,6). Die CDU kommt nur noch auf 33,6 Prozent (36,0). Die Grünen verlieren ebenfalls, erreichen aber mit 8,7 Prozent (13,7) Platz drei. Die FDP landet bei 7,5 Prozent (9,9). Die AfD schafft mit 6,2 Prozent den Einzug ins Parlament. Die Linke verfehlt mit 4,6 Prozent (3,1) den Sprung in den Landtag. Damit sind künftig fünf statt vier Parteien im Landtag vertreten. Die Wahlbeteiligung stieg auf 63,1 bis 63,5 Prozent (59,4 Prozent).
Schwierige Koalitionssuche
Zur Verteilung der Sitze mit Überhang- und Ausgleichmandaten gab es zunächst noch keine offiziellen Angaben. Nach den letzten Hochrechnungen von ARD und ZDF sieht die Sitzverteilung so aus: CDU 50 (2013: 54), SPD 55 (49), Grüne 12 (20), FDP 11 (14) und die AfD 9 (0). Rot-Grün kommt damit auf 67 Mandate. Die absolute Mehrheit liegt bei 69 Mandaten.
Kombi Prozent Verluste
Die Koalition in Niedersachsen war das letzte rot-grüne Bündnis in einem Flächenland. Jetzt steht in Niedersachsen eine schwierige Regierungsbildung bevor. Verschiedene Koalitionen sind denkbar: Eine Große Koalition hat SPD-Landeschef Weil im Wahlkampf als "extrem unwahrscheinlich" bezeichnet, der CDU-Landesvorsitzende Althusmann nannte sie eine Option. Das Klima zwischen den beiden Parteien ist aber wegen des Twesten-Wechsels angespannt. Eine Große Koalition hat in Niedersachsen zudem keine Tradition. Ein solches Bündnis endete dort zuletzt 1970.
Die Neuwahl wurde nötig, weil die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten Anfang August von den Grünen zur CDU gewechselt war. Die seit 2013 regierende rot-grüne Koalition verlor damit ihre Ein-Stimmen-Mehrheit, die Stimmung zwischen SPD und Grünen auf der einen und der CDU auf der andere Seite gilt seither als vergiftet.
"Es war Gegenwind"
CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann führte die Verluste auch auf einen negativen Bundestrend zurück: "Es war am Ende eher ein bisschen mehr Gegenwind." Er sieht dennoch einen Auftrag zum Mitregieren: "Auch wir, in welcher Konstellation auch immer, haben einen klaren Gestaltungsauftrag für Niedersachsen". Dies ginge rechnerisch in einer Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen oder als Juniorpartner der SPD in einer großen Koalition.
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Landesinnenminister Boris Pistorius zeigte sich offen für eine große Koalition. Die FDP wiederum zeigte sich offen für Jamaika-Gespräche, die Grünen wollten sich nicht festlegen. "Wir führen jetzt keine Debatte über Jamaika, sondern wir hoffen, dass es für eine Fortsetzung von Rot-Grün reicht", sagte Spitzenkandidatin Anja Piel.
Für die SPD bedeutet das Ergebnis einen Riesenerfolg zum Ende des Superwahljahres. Neben der Bundestagswahl verlor die Partei in diesem Jahr auch alle drei bisherigen Landtagswahlen. Die Wahl in Niedersachsen könnte auch SPD-Chef Martin Schulz Auftrieb geben, der sich trotz seiner gescheiterten Kanzlerkandidatur im Dezember zur Wiederwahl stellen will. Er hatte unmittelbar nach der Bundestagswahl angekündigt, die SPD in die Opposition zu führen. Es ist außerdem möglich, dass Stephan Weil auch bundespolitisch eine wichtigere Rolle einnimmt. "Ich bin immer froh, wenn sich erfolgreiche Ministerpräsidenten im Bund engagieren. Stephan Weil wird für sich selbst erörtern, welche Rolle er bei der Erneuerung der SPD spielen will", sagte Carsten Schneider gegenüber t-online.de.
CDU ist großer Verlierer
Schulz erklärte, was Weil in den letzten Wochen geleistet habe, sei "einzigartig in der Wahlkampfgeschichte der Bundesrepublik Deutschland". Er hoffe, dass die SPD auch bundesweit davon profitiere. SPD-Vize Ralf Stegner wertete den Erfolg als Beleg dafür, dass Schulz die Partei sehr erfolgreich führe. Er werde den Erneuerungsprozess in Richtung einer linken Volkspartei einleiten, "die sich deutlich gegen die Union stellt".
Großer Verlierer ist die CDU. Mitte August hatte die CDU in Umfragen noch bei rund 40 Prozent gelegen. Der CDU-Wirtschaftsrat gab Merkel eine Mitschuld. Mit Blick auf die Bundestagswahl sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger der "Bild": "Die Wahlverlierer, die am Wahlabend gesagt haben "Wir haben verstanden", haben heute in Hannover gewonnen. Diejenigen, die erklärten, sie hätten "alles richtig gemacht", sind diesmal Verlierer."
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer wertete die Niederlage als "erneutes Alarmsignal" für die gesamte Union. Er kündigte eine klare Kante der CSU in den anstehenden Sondierungsgesprächen über ein Jamaika-Bündnis auf Bundesebene an. Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin befürchtet, dass die CDU-Pleite die Verhandlungen erschwert.
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In der niedersächsischen AfD rebellieren nach dem vergleichsweise schwachen Abschneiden Funktionsträger gegen Landeschef Paul Hampel. Noch am Wahlabend verschickten Angehörige des Landesvorstandes ein Rundschreiben an die Mitglieder, in dem sie zur Einberufung eines Parteitages und zur Wahl einer neuen Landesspitze aufriefen.