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Horst Köhler: Er trat nicht auf, er kam vorbei – ein Nachruf


Zum Tod von Horst Köhler
Ein Gefängnisbesuch bleibt im Gedächtnis

MeinungVon Gerhard Spörl

01.02.2025 - 13:47 UhrLesedauer: 4 Min.
urn:newsml:dpa.com:20090101:250201-935-433834Vergrößern des Bildes
Horst Köhler bei einer Konferenz in Genf im Jahr 2019 (Archivbild): Der ehemalige Bundespräsident ist im Alter von 81 Jahren gestorben. (Quelle: Valentin Flauraud/dpa)
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Dass er Bundespräsident wurde, hat ihn selbst verblüfft. Horst Köhler war kein Politiker, schätzte rote Teppiche wenig und sicherte seine Worte nicht doppelt ab. Kurz vor seinem 82. Geburtstag ist er gestorben.

Horst Köhler wohnte bei uns um die Ecke, ging mit seiner Frau spazieren, unterhielt sich mit dem Besitzer des indischen Restaurants über Philosophie und besuchte privat organisierte Konzerte. Er trat nicht auf, er kam vorbei. Er verzichtete auf Leibwächter, ein bescheidener Mann mit großer Neugierde für das, was andere Menschen machten und dachten.

Dass er im Februar 2004 Bundespräsident werden sollte, hat ihn selbst am meisten überrascht. Am Morgen seines Abflugs nach Berlin habe ich ihn in seinem riesigen Büro im Internationalen Währungsfonds abgeholt, in dem er ein bisschen verloren wirkte. Die Aktentasche am Arm verabschiedete er sich von der Garde an Sekretärinnen und sagte: "Good people." Das klang komisch, aber er meinte es so. Sie waren nicht nur professionell untadelig, sondern auch menschlich loyal. Beides war ihm wichtig.

Als Präsident fiel er aus dem Rahmen. Präsidenten leben von ihren Reden, die andere für sie schreiben, und wenn es gut geht, bleiben Sätze im kollektiven Gedächtnis haften. Richard von Weizsäcker bleibt der Inbegriff des Staats-Rhetorikers. Seine Bemerkungen über die Dualität von Katastrophe und Befreiung am 8. Mai 1945, als Hitler-Deutschland bedingungslos kapitulierte, gehören ins Poesiealbum der liberalen Demokratie.

Video | Früherer Bundespräsident Horst Köhler gestorben
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Horst Köhler konnte sperrig sein

Horst Köhler erinnerte die Politik daran, auf die Menschen zu hören und zu achten. Was ihnen wichtig sei und was sie bedrücke, müssten Regierungen berücksichtigen und bedenken. Damals ärgerte sich Angela Merkel, die ihn zum Präsidenten gemacht hatte, über solche Mahnungen, wie man sich denken kann. Heute versucht Friedrich Merz verzweifelt, das Versäumte nachzuholen.

Im Gedächtnis bleibt auch ein Besuch im Gefängnis bei einem der prominenten RAF-Terroristen. Christian Klar hatte im Jahr 2007 Begnadigung beantragt, wofür der Bundespräsident zuständig war. Köhler sprach mit Opfern der RAF, mit Juristen, studierte die Akten über die Morde, an denen Klar beteiligt war. Unter wüster Kritik der CSU besuchte er Klar im Gefängnis, der weder Reue noch Einsicht zeigte und deshalb auch nicht begnadigt wurde.

Horst Köhler konnte sperrig sein, ließ sich nicht reinreden und hatte seinen eigenen Kompass. Fragte man ihn nach den Gründen für den Eigensinn, der manchmal an Starrheit grenzte, erzählte er seine komplizierte Familiengeschichte.

Ein stolzer Mann mit enormer Sachkenntnis

Er war der Sohn einer Bauernfamilie aus Bessarabien, angesiedelt ursprünglich im heutigen Moldau. Gegen Kriegsende flohen die Eltern mit den Kindern zuerst in die Nähe von Leipzig und dann 1953 in den Westen. Ein verständiger Angestellter des Lagers, in dem die Köhlers bis 1957 lebten, sorgte dafür, dass der Junge aufs Gymnasium kam, ein Schritt, der den Köhlers eigentlich fremd war. Das sei ein schwerer Anfang mit einem erstaunlichen Ende gewesen, sagte Köhler im Rückblick.

Horst Köhler war kein Politiker. Er hatte keinen Sinn für Auftritte, wirkte dabei eher gehemmt. Aber er war ein stolzer Mann mit enormer Sachkenntnis, der sich nichts vormachen ließ.

In seiner besten Zeit war er Staatssekretär im Wirtschaftsministerium zur Zeit der Wiedervereinigung. Auf seine Anregung hin erfolgte der Bau von Zehntausenden Wohnungen für die heimkehrende Rote Armee in Russland. Dabei spielte sich eine kleine Episode ab, die Köhler privat erzählte: Als er das Vorhaben in Moskau auf einer Konferenz skizzierte, fragte ihn ein General: "Meinen Sie das ernst?" – "Ja, ernst", antwortete Köhler. Der General schaute ihn lange an und sagte: "Ich glaube Ihnen."

Er setzte sich für die Schwachen ein

Für Horst Köhler waren einfache Tugenden ausschlaggebend: Zuverlässigkeit, Anstand, Fairness, Rücksichtnahme, Demut, auch eine gewisse Arglosigkeit, die ihn gelegentlich schutzlos machte. So ein Charakter schlägt keine hohen Wellen, sucht nicht den Mittelpunkt, meidet rote Teppiche.

Horst Köhler war konservativ mit liberalen Zügen. Ein Ökonom, kein Philosoph. Er setzte sich als Präsident für die Schwachen ein, zum Beispiel für Afrika, das auch deshalb in Krisen versank, weil Großmächte wie Frankreich, die USA, Russland oder China ihre Eigeninteressen rücksichtslos durchdrückten.

Ein Interview führte zu Köhlers Rücktritt

Ein Jahr nach seiner Wiederwahl trat er zurück. Auf dem Rückflug aus Afghanistan gab er dem Deutschlandfunk ein Interview, das Anstoß erregte, was man heute kaum noch versteht.

Köhler machte zunächst Bemerkungen über die mangelnde Unterstützung für die Bundeswehr in der Heimat, "obwohl die Soldaten dort so eine gute Arbeit machen". Offenkundig beeindruckt vom Erlebten fuhr er fort, "dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren". Als Beispiele nannte er freie Handelswege und regionale Instabilität.

Er hatte gesagt, was ihm wichtig erschien, ohne Netz und doppelten Boden

Die Aufregung war groß. Der Bundespräsident hatte gesagt, was er dachte – was andere auch denken mochten, ohne es auszusprechen. Die Kanzlerin, unangenehm berührt von seinen Mahnungen, machte keinen Finger krumm. Vor allem Jürgen Trittin von den Grünen wählte pomadige Vergleiche („Kanonenboot-Politik“). Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, machte zynische Bemerkungen, CDU-Vertreter warfen ihm unglückliche Formulierungen vor.

Horst Köhler fand das Echo in Öffentlichkeit und Politik absurd. Es verstieß gegen sein Gerechtigkeitsgefühl. Er hatte gesagt, was ihm wichtig erschien, ohne Netz und doppelten Boden. Alleingelassen trat er zurück und verschwand ohne Brimborium im Privatleben in Charlottenburg.

Kurz vor seinem 82. Geburtstag ist Horst Köhler heute gestorben. Wir sollten uns an einen anständigen Menschen mit Eigensinn erinnern.

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