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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Amnestie vorerst geplatzt Faeser lässt illegale Schusswaffen liegen
Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland noch immer Millionen illegale Waffen. Ihre straffreie Abgabe war eigentlich geplant. Doch nun soll das nur noch für illegale Messer gelten.
Zigtausende illegale Schusswaffen sollten bei der Polizei abgegeben werden und dann keine Gefahr mehr darstellen: Aus diesem Plan der Innenministerkonferenz wird in dieser Legislaturperiode wohl nichts mehr. Die beschlossene bundesweite Amnestie für Schusswaffen fällt auf unbestimmte Zeit aus. Statt einer Straffreiheit für illegale Schusswaffen kommt jetzt erst einmal eine Regelung, die vorsieht, dass Messer abgegeben werden können, die künftig illegal sind. Der Vorgang zeigt, wie aufsehenerregende Verbrechen Prioritäten in der Politik verschieben.
Am Donnerstag hat der Bundestag zum ersten Mal über ein Gesetz debattiert, das auch Änderungen des Waffengesetzes vorsieht. Das Waffengesetz zu ändern, hatte die Ampel zuvor trotz eines seit Anfang 2023 vorliegenden Referentenentwurfs nicht geschafft. Dann kam im August das Stadtfest in Solingen. Der syrische Asylbewerber Issa al-Hassan, der seiner Abschiebung durch Abtauchen entgangen war, stach mit einem Messer gezielt auf Besucher ein. Drei Menschen verloren durch den mutmaßlich islamistischen Terror ihr Leben, acht wurden verletzt.
In Reaktion auf die Tat, die Deutschland erschütterte, legte die Ampelkoalition neue Gesetze vor. Das Gesetz zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung sieht unter anderem neue Befugnisse im Kampf gegen Terrorismus und Extremismus sowie Waffenverbotszonen vor. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems sollen straffällig gewordene Flüchtlinge leichter ihren Schutzstatus verlieren können. Das Waffengesetz wird dabei geändert, individuelle Waffenverbote werden erleichtert, der Umgang mit Springmessern zukünftig weitgehend untersagt. Und: Die dadurch für illegal erklärten Messer sollen straffrei abgegeben werden können.
Länder einigten sich nach Tankstellen-Mord auf Amnestie
Keine Rede mehr ist allerdings von einer bundesweiten Waffenamnestie. Es sei auch "nicht bekannt, dass es vonseiten des Bundes Pläne dazu gibt", erklärte ein Sprecher des Innenministeriums Brandenburg, das aktuell den Vorsitz der Innenministerkonferenz hat. Dabei hatte diese bereits im Dezember 2021 beschlossen: Illegale Schusswaffen aus Privatbesitz sollten für einen festgelegten Zeitraum straffrei zu den Behörden gebracht und abgegeben werden können, geplant war das spätestens 2025.
Das können aber die Länder nicht selbst organisieren: "Die konkrete Ausgestaltung einer möglichen Waffenamnestie muss vonseiten des Bundesministeriums des Innern und für Heimat erfolgen", heißt es aus Brandenburg. Es geht um eine nötige Änderung im Waffengesetz, die aber in den aktuellen Gesetzesvorhaben nicht vorgesehen ist.
Die Stimmung war 2021 eine andere. Nach einer Tat, die Deutschland erschütterte, hatte Rheinland-Pfalz die Konsequenz gezogen, illegale Waffen auf die Tagesordnung der Innenministerkonferenz zu setzen. "Wenn es bundesweit nur einige Zehntausend Waffen mit Munition sind, die wieder aus dem Verkehr gezogen werden, dann lohnt es sich", sagte der damalige rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) t-online.
An einer Tankstelle im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein hatte damals ein Kunde einen Kassierer erschossen, einen 20-jährigen Studenten. Der Täter war wütend, weil er eine Maske tragen sollte und hatte ein Zeichen gegen Corona-Maßnahmen setzen wollen, wie er später sagte. Bei ihm fand die Polizei neben der Tatwaffe, einer Smith & Wesson, noch eine kleinkalibrige Ceska und 20 Schuss Munition. Er besaß die Waffen illegal, sie stammten aus dem Bestand seines Vaters, der sie ebenfalls illegal besessen hatte.
Der Vorschlag fürs große Einsammeln illegaler Waffen stieß auf Zustimmung. Es geht um große Mengen, die zurückgegeben werden könnten: 2021 wurde geschätzt, dass mehr als 20 Millionen solcher Waffen noch im Umlauf sind.
Waffen aus den Weltkriegen weiter eine Gefahr
Bis 1972 konnten in Deutschland Gewehre erlaubnisfrei aus dem Versandhauskatalog bestellt werden. Eine illegale Waffe kann auch ein Uralt-Gewehr sein, das vielleicht sogar über Generationen vererbt wurde – auch Schusswaffen aus zwei Weltkriegen funktionieren heute noch.
Eine alte Waffe nutzte etwa vor Kurzem auch ein mutmaßlich islamistisch motivierter 18-jähriger Österreicher in München. Die Bilder gingen um die Welt, als er am Generalkonsulat Israels mit einem älteren Karabiner mit angebautem Bajonett um sich schoss.
Polizisten konnten ihn mit Schüssen stoppen und einen möglichen, islamistisch motivierten Terroranschlag verhindern. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte danach, wie froh er sei, dass keine Unbeteiligten und keine Einsatzkräfte verletzt oder gar getötet wurden. Die wuchtige Waffe funktionierte, der Rückschlag beim Abfeuern machte dem unerfahrenen Schützen Probleme.
"Auch eine geerbte Wehrmachtswaffe ist kein Sammlerstück"
Gekauft hatte er den Schweizer Armeekarabiner des Modells K 31 bei einem Sammler in Österreich. Mehr als eine halbe Million Stück dieses Typs wurden von 1931 bis 1958 produziert, viele von ihnen gibt es immer noch, auch in illegalem Besitz.
Die Gesetzeslage dazu in Deutschland sei den meisten Menschen bekannt, sagte Lewentz t-online. "Manchmal erben Personen eine historische Waffe und haben das Gefühl: Das ist ein Sammlerstück statt einer Kriegswaffe. Aber auch ein Karabiner K98 der Wehrmacht ist kein Sammlerstück, sondern eine scharfe Waffe, deren Besitz ohne Erlaubnis illegal ist."
In Österreich ist das anders: Das Gewehr von München, das nach jedem Schuss händisch nachgeladen werden muss, fällt nach österreichischem Waffenrecht in die Waffenkategorie C – frei verkäuflich und lediglich binnen sechs Wochen nach Kauf anzumelden. Diese liberale Regelung in anderen Ländern erklärt Michael Blendinger, Präsident des Verbands der Büchsenmacher (VDB): "Im Regelfall" fänden solche unhandlichen, großen und schweren Waffen bei Straftaten keine Verwendung. Umgekehrt könne die Möglichkeit, legal eine solche alte Waffe zu erwerben, auch Menschen mit dem Wunsch nach Waffenbesitz davon abhalten, sich illegal eine Waffe moderner Bauart zu beschaffen.
Niemand kann annähernd sagen, wie viele Waffen aus den beiden Weltkriegen und ihren Nachwirren noch gehortet werden. Sie spielen aber durchaus noch eine Rolle: Beim NSU-Polizistenmord in Heilbronn etwa wurde eine Wehrmachtspistole Radom VIS 35 genutzt. Der Soldat Franco A., der sich als Flüchtling ausgegeben hatte, wurde am Flughafen Wien erwischt, als er eine Pistole Baujahr 1917 aus einem Versteck holen wollte, er besaß eine zweite, ähnlich alte.
Bis 1972 gab es Gewehre legal im Versandhauskatalog
Büchsenmacher-Präsident Blendinger sagt, seit dem Balkankrieg sei auch klar: "Wer sich eine Waffe beschaffen möchte, für den ist der illegale Weg oft einfacher, als das Überprüfungsprocedere mit Gängelungen durch Schießnachweise, Mengenbeschränkungen und Aufbewahrungsvorschriften als Sportschütze, Jäger oder Waffensammler über sich ergehen zu lassen." Das Problem sei auch in erster Linie ein gesellschaftliches.
Handel und Versandhandel in Deutschland hatten bis 1972 fast ungehindert und ohne Registrierung Langwaffen verkaufen dürfen. Die Polizeigewerkschaft GdP hatte im Handel später Zahlen zu Verkäufen erfragt und war auf 20 Millionen gekommen. Mit Änderung der Rechtslage 1972 wurden jedoch nur drei Millionen registriert, die daraufhin behalten werden durften. Der Verbleib all der anderen, die damit illegal wurden, ist unklar.
Mit den Waffen aus dem Handel, Hinterlassenschaften der Weltkriege und illegalen Waffen aus Krisengebieten wurde die Zahl aller illegalen Schusswaffen in Deutschland 2021 auf mehr als 20 Millionen geschätzt, sagt Blendinger. "Die Zahl dürfte sich durch die entsprechenden Konfliktherde und immer höhere Hürden für legalen Waffenerwerb noch erhöht haben."
Registrierte erlaubnispflichtige Schusswaffen gibt es in Deutschland rund fünf Millionen. Der größte Teil geht auf den Jagd- und Schießsport zurück. "Diese Waffen haben wir ja im Blick", sagte Lewentz. Legal registrierte, erlaubnispflichtige Waffen spielen eine geringe Rolle, wenn schwere Straftaten begangen werden. Das sagt zumindest die Statistik.
Verband sieht in Entschädigung bessere Lösung
Diese Waffen sind erfasst, ihre Besitzer wurden überprüft und mussten erforderliche Sachkunde für den sicheren Umgang mit ihnen und ihre Verwahrung nachweisen. Bei jeder Zuverlässigkeitsüberprüfung werden inzwischen die zuständigen Verfassungsschutzbehörden beteiligt, der Verfassungsschutz muss nachträgliche Erkenntnisse mitteilen.
Das Problem: Für die Millionen illegalen Waffen kann diese Regelung nicht greifen. Angesichts des Wertes von alten Waffen liege es zudem für viele Besitzer oft näher, solche Waffen einfach weiterzuverkaufen, "auch mit der Gefahr, dass diese dann bei Gewaltdelikten Verwendung finden können", so Blendinger. Manche werden auch Waffenfachgeschäften angeboten: "Wir als Händler oder Büchsenmacher dürfen solche Waffen jedoch nicht ankaufen oder annehmen und müssen wieder an die entsprechenden Behörden verweisen", sagt Blendinger.
Der Verband plädiert wenig überraschend dafür, die Voraussetzungen für den Erwerb zu erleichtern. "So lässt sich ein Überführen in die Legalität erreichen, da die Waffen sich dann in einem kontrollierbaren Kreislauf befinden." Die Alternative seien Entschädigungslösungen. "So könnten die illegalen Besitzer leichter zur Aufgabe des Eigentums motiviert werden."
Doch auch Waffenamnestien der Vergangenheit waren erfolgreich: 2009 wurden bundesweit rund 200.000 Waffen zurückgegeben, 2017/2018 waren es gut 70.000. Dieses Mal werden die Behörden dagegen erst einmal nur Springmesser zählen können.
- Anfrage an Verband Deutscher Büchsenmacher, Innenministerium Brandenburg, Bundesinnenministerium
- bundestag.de: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems
- Gespräch mit Roger Lewentz
- Der Spiegel: Kopf unterm Arm
- bundestag.de: Antwort auf Anfrage der Grünen: Gefahr durch Schusswaffen in Deutschland 2021
- kuhn24.net: Kriminalistik 12/2006 – Waffenbesitz und Waffenmissbrauch in Deutschland