Bundesregierung gibt Erlaubnis Ukraine darf mit deutschen Waffen Ziele in Russland angreifen
Russland greift die Ukraine vor allem im Raum Charkiw massiv an. Als Reaktion darauf erlaubt die Bundesregierung Kiew den Einsatz deutscher Waffen auf Ziele in Russland.
Die Bundesregierung erlaubt den Einsatz deutscher Waffen zur Abwehr von russischen Angriffen auf die Region Charkiw. Das teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag mit. Die Ukraine dürfe demnach "die dafür gelieferten Waffen in Übereinstimmungen mit ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen einsetzen" – auch jene, die von Deutschland geliefert werden.
Dabei gehe es "um die Befreiung des ukrainischen Staatsgebiets", heißt es in der Mitteilung. Die Bundesregierung habe mit der Ukraine vereinbart, "dass die von uns gelieferten Waffen dazu völkerrechtskonform eingesetzt werden".
Zwei deutsche Waffensysteme kommen infrage
Die Mitteilung bezieht sich insbesondere auf die seit Wochen anhaltenden massiven Angriffe Russlands im Raum Charkiw, die von Stellungen aus dem angrenzenden russischen Grenzgebiet heraus "vorbereitet, koordiniert und ausgeführt" würden. "Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht hat, sich gegen diese Angriffe zu wehren."
Welche Waffen aus Deutschland dafür eingesetzt werden könnten, teilt der Sprecher nicht mit. Infrage kämen dafür aufgrund ihrer Reichweite die Panzerhaubitze 2000 und der Raketenwerfer Mars II. Dieser kann Geschosse auf eine Entfernung von mehr als 100 Kilometern abfeuern.
Zuvor hatten unter anderem bereits die USA am Donnerstagabend den Einsatz der von ihnen gelieferten Waffen zur Verteidigung gegen russische Angriffe auf Charkiw erlaubt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte bei seinem Besuch in Deutschland am Dienstag, die Ukraine müsse die Möglichkeit haben, für Angriffe genutzte Stützpunkte in Russland zu "neutralisieren". Die Bundesregierung passe ihre Unterstützung "gemeinsam mit unseren engsten Verbündeten und im engen Dialog mit der ukrainischen Regierung" kontinuierlich an die Entwicklung des Kriegsgeschehens an, erklärte dazu der Regierungssprecher.
Pistorius: "Diese Entscheidung ist richtig"
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat die Entscheidung der Bundesregierung, der Ukraine den Einsatz deutscher Waffen gegen militärische Ziele in Russland zu erlauben, als "strategische Anpassung an sich verändernde Lagebilder" begründet. "Diese Entscheidung ist richtig. Sie ist das, was wir seit Beginn des Krieges, den Putin gegen die Ukraine führt, immer gemacht haben. Wir haben an die Lage angepasst, jeweils unsere Strategie angepasst", sagte der SPD-Politiker am Freitag bei einem Treffen mit seinem moldauischen Kollegen Anatolie Nosatii in der Hauptstadt Chisinau.
Die Debatte um eine Lieferung von weitreichenden deutschen Marschflugkörpern vom Typ Taurus werde die Bundesregierung nach der aktuellen Entscheidung nicht wieder aufmachen, sagte Pistorius auf eine entsprechende Frage einer Journalistin. Eine Taurus-Debatte würde sich'ja wieder um Langstreckenwaffen drehen, die mehrere hundert Kilometer weit reichten, sagte der Minister. "Und da ist die Grenze nach wie vor die gleiche, auch nach den Einlassungen unserer Partner und uns selbst."
Die aktuellen Bekanntgaben der Partner und auch der Bundesregierung zum Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium seien sehr eindeutig, sagte Pistorius. Sie bezögen sich "insbesondere auf den Abwehrkampf um Charkiw herum, weil dort die Grenznähe besonders offensichtlich ist". Die von Deutschland gelieferten Waffensysteme könnten bei entsprechenden Einsätzen der Ukrainer eine Rolle spielen, das "gilt aber für die anderen Länder auch, dort eine Rolle spielen können". Die aktuelle Entscheidung sei nach dem Völkerrecht ohnehin erlaubt und entspreche dem, was sein ukrainischer Kollege Rustem Umjerow beim Treffen am Vortag in der südukrainischen Hafenstadt Odessa über die Notwendigkeiten in der Region geschildert habe.
Baerbock: "Jedes Land hat die Pflicht, seine Bevölkerung zu schützen"
Zuvor hatte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die Debatte über den Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele in Russland scharf kritisiert. "Aus meiner Sicht ist es wirklich nicht die richtige Diskussion, dass man jedes Detail, wie die Ukraine sich verteidigt, in der Öffentlichkeit ausbreitet", sagte Baerbock am Freitag beim Nato-Außenministertreffen in Prag.
Es gehe "überhaupt nicht" darum, ob deutsche oder andere westliche Waffen gegen russisches Gebiet eingesetzt würden, sagte Baerbock weiter. "Es geht darum, die völkerrechtswidrigen Angriffe Russlands auf die Ukraine so zu unterbinden, dass Menschen in der Ukraine nicht sterben müssen."
"Das Völkerrecht war von Anfang an klar: Es macht deutlich, dass man Angriffe abwehren kann", sagte Baerbock weiter. "Jedes Land hat die Pflicht, seine Bevölkerung zu schützen." Sie ließ offen, ob dies den Abschuss russischer Raketen mit deutschen Patriot-Systemen über russischem Staatsgebiet einschließt.
Kontroverse Diskussionen zwischen Nato-Partnern
Auf Ebene der Nationalen Sicherheitsberater hatte es zu Fragen des Einsatzes westlicher Waffen am 29. und 30. Mai intensive Beratungen zwischen den USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland gegeben.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich in dieser Frage zuletzt zurückhaltend und betonte stets, er wolle verhindern, dass es "zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato kommt". Auch verwies er auf "klare Regeln" für die deutschen Waffenlieferungen, die mit der Ukraine vereinbart seien und auch funktionierten.
Ob die Ukraine sämtliche vom Westen gelieferten Waffen auch für Angriffe auf militärische Ziele in Russland nutzen können sollte, wird unter Nato-Staaten kontrovers diskutiert. Die Ukraine fordert dies seit Längerem, um russische Stellungen in dem seit mehr als zwei Jahren andauernden Krieg effektiver bekämpfen zu können. Bisher setzt das Land dafür vor allem eigene Raketen und Drohnen ein. Die westlichen Waffen zielen bislang in erster Linie auf russische Stellungen in den von Moskau besetzten Gebieten der Ukraine.
Länder wie die USA und Deutschland haben die Abgabe von bestimmten Waffensystemen nach Angaben aus Bündniskreisen zum Teil an strenge Auflagen für deren Nutzung gekoppelt. Hintergrund ist die Befürchtung, dass der Konflikt mit Russland weiter eskalieren und die Nato zur Kriegspartei werden könnte.
- Mitteilung der Bundesregierung
- Mit Material der Nachrichtenagenturen Reuters, dpa und AFP