Waffenlieferung Löst ein Raketen-Ringtausch das Taurus-Problem des Kanzlers?
Die Ukraine bittet seit Monaten um deutsche Taurus-Marschflugkörper. Kanzler Scholz ist das aber zu riskant. Jetzt gibt es eine Idee, wie Taurus der Ukraine helfen kann, ohne dorthin geliefert zu werden.
Nach monatelanger Diskussion könnte sich Deutschland möglicherweise nun doch noch über einen Ringtausch an der Lieferung von Marschflugkörpern in die Ukraine beteiligen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur gibt es Überlegungen, Großbritannien oder auch Frankreich Taurus-Raketen der Bundeswehr zu liefern. Im Gegenzug würden die Nato-Verbündeten dann ihre eigenen Marschflugkörper der Typen Storm Shadow oder Scalp in die Ukraine exportieren.
Das "Handelsblatt" berichtete unter Berufung auf Diplomaten und Regierungsvertreter, Großbritannien habe der Bundesregierung bereits vor Wochen ein entsprechendes Angebot gemacht, das noch geprüft werde. Das Kanzleramt wollte das zunächst nicht kommentieren.
Pistorius: "Ich weiß nichts von diesem Angebot"
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte der "Bild", er wisse nichts von einem britischen Angebot. "Wenn es dazu Gespräche gibt, dann nicht in meinem Haus." Falls es solche Gespräche mit dem Kanzleramt geben sollte, müssten sie ergeben, "ob das tragfähig ist oder nicht". In der Ampel-Koalition regt sich bereits Widerstand.
Die Ukraine hatte die Bundesregierung bereits im Mai vergangenen Jahres offiziell um Taurus-Marschflugkörper gebeten. Die Waffen können Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung mit großer Präzision treffen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich Anfang Oktober vorerst gegen eine Lieferung entschieden. Dahinter steckt die Befürchtung, dass der Beschuss russischen Territoriums mit den deutschen Raketen zu einer weiteren Eskalation des Konflikts führt und Deutschland mit hineingezogen wird. Moskau liegt etwas weniger als 500 Kilometer Luftlinie von der ukrainischen Grenze entfernt, also in Taurus-Reichweite.
Ringtausch-Idee ist nicht neu
Mit seiner Position hat sich Scholz in der eigenen Regierungskoalition Ärger eingehandelt. Prominente Politiker von Grünen und FDP haben den Kanzler immer wieder aufgefordert, die Taurus-Raketen freizugeben. Der Ringtausch könnte nun ein Ausweg aus dem Dilemma sein. Zu dieser indirekten Variante der Militärhilfe hatte Scholz auch schon zu Beginn des Ukraine-Kriegs gegriffen, als er noch keine Leopard-2-Kampfpanzer in die Ukraine schicken wollte. Bündnispartner wurden damals mit Leos unterstützt, um ihre deutlich weniger leistungsfähigen Panzer aus Sowjetzeiten in die Ukraine zu liefern.
Dass diese Idee nun wieder auftaucht, kommt bei den Befürwortern einer Taurus-Lieferung in der Ampel-Koalition nicht gut an. Der Vorschlag zeige "exemplarisch die Schwäche" des Kanzlers bei der Unterstützung der Ukraine, kritisierte der Grünen-Politiker Anton Hofreiter. Die Botschaft sei: "Großbritannien kann liefern, aber Deutschland nicht." Ein Ringtausch wäre zwar besser als gar nichts, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag. Aber das deutsche Taurus-System sei deutlich besser als die Waffensysteme der Verbündeten, da es durch elektronische Kriegsführung kaum gestört werden könne.
Strack-Zimmermann: "untauglich" - Kiesewetter: "peinlich"
Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), lehnte einen Ringtausch ab. "Die Ukraine braucht Taurus, und zwar sofort", sagte sie dem "Handelsblatt". "Storm Shadow ist kein gleichwertiger Ersatz. Insofern ist der Vorschlag untauglich."
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte der dpa, ein solcher Ringtausch wäre "peinlich" für Deutschland und widerspreche einem deutschen Führungsanspruch in Europa. "Außerdem ist es ein Zeichen mangelnden Vertrauens in die Ukraine, wenn Deutschland dem Angebot nachkommt", betonte er. "Deshalb sollte Deutschland endlich direkt liefern."
Lediglich der für Verteidigung zuständige SPD-Haushaltsexperte Andreas Schwarz zeigte sich aufgeschlossen. "Wenn es der Ukraine nutzt, dann ist das sicherlich eine Option im Zuge der internationalen Zusammenarbeit."
London verweist auf bestehende Zusammenarbeit mit Deutschland
Die britische Regierung hielt sich bedeckt zu dem "Handelsblatt"-Bericht. Das Verteidigungsministerium teilte auf dpa-Anfrage lediglich mit: "Das Vereinigte Königreich und unsere Partner, darunter Deutschland, arbeiten weiterhin zusammen, um die Ukraine bestmöglich für die Verteidigung ihres Hoheitsgebiets auszurüsten." Die französische Regierung ließ eine dpa-Anfrage unbeantwortet.
Beide Länder liefern der Ukraine bereits seit langem Marschflugkörper der praktisch identischen Typen Storm Shadow und Scalp. Diese gelten aber als nicht so präzise und leistungsstark wie Taurus. Der französische Verteidigungsminister Sébastian Lecornu kündigte erst vor wenigen Tagen die Lieferung weiterer 40 Scalp-Raketen an. Frankreich soll knapp 400 davon haben. Der Taurus-Bestand der Bundeswehr liegt nach Experten-Schätzung bei etwa 500.
Ukraine versichert: Wollen Moskau nicht angreifen
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba war den deutschen Bedenken gegen eine Taurus-Lieferung in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview von "Bild", Welt.tv und Politico erneut entgegen getreten. "Wir brauchen keinen Taurus, um Moskau anzugreifen", versicherte er. Er betonte, dass die Ukraine das Waffensystem stattdessen benötige, um die russische militärische Infrastruktur auf dem von Moskau besetzten ukrainischen Gebiet zu zerstören.
In der kommenden Woche wollen die Länder der Europäischen Union auf einem Gipfel auf Initiative von Scholz über weitere Waffenhilfe für die Ukraine beraten. Bereits Anfang Januar hatte der Kanzler alle EU-Partner dazu aufgerufen, mehr Militärhilfe für die Ukraine zu leisten. Deutschland ist der zweitgrößte Waffenlieferant nach den USA - weit vor großen EU-Partnerstaaten wie Frankreich, Italien und Spanien.
In einem "Zeit"-Interview sagte der Kanzler auf die Frage, ob er von den anderen Europäern enttäuscht sei: "Na, ich bin eher irritiert, dass ich mich in Deutschland ständig der Kritik stellen muss, die Regierung tue zu wenig und sei zu zögerlich. Dabei tun wir mehr als alle anderen EU-Staaten, sehr viel mehr."
- Nachrichtenagentur dpa