Antisemitismus-Vorwürfe Kritik an Kunstmesse documenta: "Gedankenlos und leichtfertig"
Werden auf der documenta antisemitische Arbeiten gezeigt? Die Vorwürfe konnten nicht "glaubwürdig ausgeräumt" werden, erklärt der Antisemitismus-Beauftragte. Auch Bundespräsident Steinmeier äußerte sich kritisch.
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat die Verantwortlichen der Kasseler Kunstmesse "documenta fifteen" kritisiert. Es sei ihnen nicht gelungen, gegen die Ausstellung erhobene Antisemitismus-Vorwürfe "in glaubwürdiger Weise auszuräumen", sagte Klein der "Bild am Sonntag". "Das bedaure ich sehr, insbesondere nach der hierzu erhitzt geführten öffentlichen Diskussion."
Embed
Im Vorfeld der am Samstag eröffneten Ausstellung war deren Organisation vor allem wegen des Umgangs mit Israel kontrovers diskutiert worden. Kritik gab es besonders an dem indonesischen Kunstkollektiv "Ruangrupa", dem die künstlerische Leitung der Ausstellung übertragen wurde. "Ruangrupa" war vorgeworfen worden, auch Organisationen in die documenta fifteen einzubinden, die den kulturellen Boykott Israels unterstützten oder antisemitisch seien.
Vorwurf der Gleichsetzung von Israel und Nazi-Deutschland
Im Mittelpunkt der gegenwärtigen Debatte steht eine Arbeit aus der palästinensischen Künstlergruppe "The Question of Funding". In der Serie "Guernica Gaza" kombiniert Mohammed Al Hawajiri Bilder von Angriffen der israelischen Armee auf das Palästinensergebiet mit klassischen Motiven von Millet, Delacroix, Chagall oder van Gogh.
Der Serientitel stellt eine Verbindung her zum Gemälde "Guernica" von Pablo Picasso her – es entstand 1937 als Reaktion auf die Zerstörung der spanischen Stadt durch einen Luftangriff der "Legion Condor", einem Luftwaffenverband der Wehrmacht Nazi-Deutschlands.
Leonard Kaminski, Gründungsmitglied der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) kritisiert, dass hier eine Parallele zwischen der Luftwaffe der Nationalsozialisten und der israelischen Armee gezogen wird. Dabei handele es sich um offensichtlichen Antisemitismus, schreibt Kaminski auf Twitter.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Steinmeier sieht "gedankenlosen Umgang" mit Israel
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte das Thema in seiner Eröffnungsrede angesprochen: Er sei sich deswegen lange nicht sicher gewesen, ob er diese Rede in Kassel an diesem Tag halten werde. "Denn so berechtigt manche Kritik an der israelischen Politik, etwa dem Siedlungsbau, ist", die Anerkennung der israelischen Staatlichkeit sei "bei uns Grundlage und Voraussetzung der Debatte", sagte Steinmeier. Bei der "documenta fifteen" habe er jedoch "manchen gedankenlosen, leichtfertigen Umgang mit dem Staat Israel" beobachtet, sagte er weiter.
"Ich teile die kritische Einschätzung des Bundespräsidenten", sagte der Antisemitismus-Beauftragte Klein der "BamS". "Es kann nicht sein, dass Antisemitismus Teil des von der öffentlichen Hand geförderten künstlerischen Diskurses in Deutschland ist."
Auch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hatte betont, er nehme den Antisemitismus-Vorwurf sehr ernst. "Deutsche Politiker können dazu nicht einfach so sang- und klanglos nichts sagen, wenn im Land der Täter der Shoah der Vorwurf des Antisemitismus erhoben wird", betonte er. "Wer ein freiheitliches und ein lebenswertes Land will, der kann Antisemitismus nicht dulden."
Eröffnung von kleineren Protesten begleitet
Die Diskussionen um die Ausstellung dauern bereits mehrere Wochen an. Im Vorfeld der "documenta fifteen" hatten Kuratoren und das Kollektiv "Ruangrupa" die Vorwürfe des Antisemitismus in einem offenen Brief zurückgewiesen. Eine Gesprächsreihe, die die Problematik aufgreifen sollte, wurde zwischenzeitlich abgesagt – zuvor hatte es vonseiten des Zentralrats der Juden Kritik an der Besetzung des Forums gegeben.
Vor dem Hintergrund der politischen Debatte wurde der Eröffnungstag von kleineren Kundgebungen pro-palästinensischer und pro-israelischer Gruppen begleitet.
14 Kollektive, Organisationen und Institutionen sowie 54 Künstlerinnen und Künstler präsentieren nun 100 Tage lang in der nordhessischen Stadt ihre Werke und Darbietungen. Die neben der Biennale in Venedig weltweit bedeutendste Ausstellung für zeitgenössische Kunst findet nur alle fünf Jahre statt.
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa
- Tweet von Leonard Kaminski
- Offener Brief in Berliner Zeitung: Antisemitismus-Vorwurf gegen Documenta: Wie ein Gerücht zum Skandal wurde