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Zum journalistischen Leitbild von t-online.USA-Talk bei Lanz Gabriel: "Wir sind unfassbar abhängig von den USA"
Die USA befinden sich in einem Wandlungsprozess – doch wohin geht die Reise? Markus Lanz diskutierte das unter anderem mit dem ehemaligen Außenminister Sigmar Gabriel.
"Wenn der Sheriff die Mainstreet verlassen hat, kommen die Gangster!" Mit diesem Vergleich führte Ex-Außenminister Sigmar Gabriel am Dienstag bei "Markus Lanz" vor Augen, was aus seiner Sicht droht, wenn sich die USA aus ihrer Rolle als "Weltpolizist" zurückzieht.
Die Gäste:
- Sigmar Gabriel, SPD-Außenminister a.D.
- Annika Brockschmidt, Historikerin
- Johannes Hano, ZDF-New-York-Korrespondent
In der Talkrunde ging es anlässlich des bevorstehenden Jahrestags vom Sturm auf das Kapitol um die politische und gesellschaftliche Lage in den Vereinigten Staaten. Warum die auch für Deutschland und den Rest der Welt weitreichende Konsequenzen hat, erklärte Gabriel.
Die westliche Welt sei bisher daran gewöhnt gewesen, dass die USA die Führung übernommen und die gemeinsame Freiheitsidee verteidigt habe. Nun wollten die Vereinigten Staaten diese Verantwortung jedoch loswerden, so der Ex-Außenminister.
Seine Erklärung: Die USA wüssten derzeit nicht mehr "wer sie sind". Der Anspruch, "führende Wirtschaftsnation" zu sein und gleichzeitig als "Weltpolizist" zu agieren, ließe sich aus Sicht der Amerikaner nicht mehr gleichzeitig erfüllen.
Ausfall Amerikas hätte "verheerende Konsequenzen"
"Das macht es für uns unbequem, weil wir uns selber kümmern müssen", sagte Gabriel. Derzeit sei jedoch noch unklar, wie man die Dinge regeln würde, wenn "der große Bruder" sich nicht mehr kümmert. "Wir sind unfassbar abhängig von den USA", so der ehemalige Vize-Kanzler.
Er warnte auch, dass ein "Ausfallen" Amerikas für die Weltpolitik "verheerende Konsequenzen" mit sich brächte. Der Grund: Es würde kein Vakuum entstehen, sondern andere Mächte, die westlichen Werten möglicherweise gar nicht zustimmten, würden nach vorne streben.
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Journalist Hano: "Auf unruhige Zeiten einstellen"
Dass die Lage USA-bedingt brisant ist, befand auch ZDF-New-York-Korrespondent Johannes Hano: "Ich glaube, dass wir in einer sehr sehr gefährlichen weltpolitischen Situation stehen", erklärte er. Die Weltordnung breche zusammen und es sei noch nichts da, was sie ersetzen könne. "Wir müssen uns auf sehr unruhige Zeiten einstellen", so der Journalist.
An Gabriel gerichtet wies Hano darauf hin, dass es in Deutschland an Debatten gefehlt habe, um zu klären, wie sich die Bundesrepublik in der neuen Lage verhalten solle. Beispielsweise in militärischen Fragen.
Gabriel wies diesen Vorwurf nicht von sich. Im Gegenteil. Er räumte ein: "De facto haben wir die Welt aus dem Augenwinkel beobachtet." Das sei der Fall gewesen, weil es Deutschland im Großen und Ganzen betrachtet bereits seit mehreren Jahrzehnten "unfassbar gut" gehe.
Attacke auf das Herz der US-Demokratie
Die Konsequenzen der Wandlung der USA wurden am Dienstagabend aber nicht nur mit Blick auf die Weltpolitik diskutiert. Lanz, der selbst jüngst für eine Dokumentation in den USA war, brachte auch zur Sprache, wie es um das amerikanische Volk bestellt ist.
"Wer war das?", wollte der Moderator beispielsweise mit Blick auf den Sturm auf das Kapitol am 06. Januar 2021 wissen. Anhänger von Trump hatten da den Sitz des US-Kongresses angegriffen. Fünf Menschen waren ums Leben gekommen. Die Attacke auf das Herz der US-Demokratie hatte das Land erschüttert.
Im Durchschnitt seien die Beteiligten älter gewesen als diejenigen, die normalerweise an gewaltsamen Bekundungen teilnähmen, erklärte Historikerin Annika Brockschmidt. Es habe sich im Schnitt um eher gut situierte Menschen gehandelt, die es sich beispielsweise hätten leisten können, nach Washington zu fliegen und in einem Hotel zu übernachten. "Nicht, was man sich unter Extremisten vorstellt", so die Amerika-Kennerin.
An sie richtete Lanz mit Blick auf die aktuelle politische Situation auch die Frage: "Worauf läuft Amerika zu?" Brockschmidt verwies darauf, dass die Demokratie in den USA systematisch mehr und mehr untergraben werde.
Hoffnung auf die Selbstheilungskräfte
So verabschiedeten republikanische Bundesstaaten beispielsweise Gesetze, die das Wahlrecht von "People of Color" einschränkten. Da werde festgelegt, dass ein Waffenschein eine zulässige Identifikation zum Wählen ist, ein Studentenausweis aber nicht. Laut Brockschmidt stehe hinter dieser Entscheidung das Wissen darum, dass "People of Color" weniger häufig einen Waffenschein hätten als Weiße.
Hoffnungsvolle Töne stimmte am Dienstagabend Journalist Hano an. Er erinnerte sich bei Lanz an einen Satz, den ihm Ex-Außenminister Joschka Fischer einmal gesagt habe: "Ich glaube an die Selbstheilungskräfte der amerikanischen Demokratie." Bei der letzten Wahl habe sich dieser Satz aus seiner Sicht bestätigt, so der Journalist.
Ex-Außenminister Gabriel zog seine Hoffnung vor allem aus den "unglaublichen Erfolgsgeschichten", die es gerade unter Latein- und Afroamerikanern gebe. "Das ist ein Amerika, auf das man bauen kann", fasste der SPD-Mann zusammen.
- "Markus Lanz" vom 4. Januar 2022