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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Corona-Talk bei "Markus Lanz" Ist man erst mit dritter Impfung vollständig geschützt?
Wäre der Impfstoff nicht knapp, würde es in Deutschland regulär drei Corona-Impfungen geben. Das sagt Virologin Jana Schroeder bei Lanz. Stattdessen müssten aber Infektionen als inoffizielle Booster herhalten.
Die Gäste
- Jana Schroeder, Virologin
- Carla Reemtsma, Fridays-for-Future-Sprecherin
- Wiebke Winter, jüngstes Mitglied des CDU-Bundesvorstands
- Albrecht von Lucke, Publizist
Ist man nach zwei Corona-Impfungen überhaupt vollständig geimpft? Virologin Jana Schroeder warf diese Frage bei "Markus Lanz" am Dienstagabend fast beiläufig auf. Der Moderator hatte angesichts von steigenden Infektionen, auch unter zweimal geimpften Menschen, gefragt: Wird die Booster-Impfung für alle kommen? "Das ist eine politische Diskussion", meinte Schroeder. Denn in Entwicklungsländern seien gerade einmal zwei Prozent der Bevölkerungen immunisiert. Dort würden die weltweit immer noch knappen Impfstoffe wohl dringender gebraucht als für Drittimpfungen in Deutschland. Aber die Expertin meinte: Ohne diese Knappheit würde die Covid-Impfung hierzulande wahrscheinlich regulär dreimal verabreicht werden. So wird aus der vermeintlichen Booster-Zugabe eine "Komplettierung des Impfschemas". "Wir haben ja viele Impfstoffe, die wir dreifach verimpfen", gab Schroeder zu bedenken.
Israel, Norwegen oder Schweden setzen laut der Chefärztin des Instituts für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie der Stiftung Mathias-Spital in Rheine generell auf drei Corona-Impfdosen. In Deutschland aber werde angesichts des "Dilemmas" der weltweiten Impfstoffknappheit darauf vertraut, dass zwei Spritzen Menschen unter 60 Jahren immer noch gut vor schweren Verläufen und Tod schützen. "Da ist dann die Theorie, dass man sagt: Gut, dann boostert man sich sozusagen an der Infektion. Das ist so im Moment hier die Herangehensweise", urteilte die Virologin. "Das heißt, irgendwann wird sich jeder, der nicht drittgeimpft ist, an dieser Infektion boostern. Und dann ist auch die Frage: Ist das schlimm, wenn wir schwere Erkrankung und Tod verhindern wollen? Das funktioniert nämlich noch sehr gut in der Kohorte der Unter-60-Jährigen."
Corona-Infektion als Booster?
Das erinnerte an Aussagen des Virologen Christan Drosten, die im September 2021 für Wirbel gesorgt hatten. Der Experte der Berliner Charité hatte im NDR-Podcast "Coronavirus Update" für die Zeit nach der Pandemie angeregt, Covid-19 mehr wie eine "Erkältungssituation" zu betrachten. Statt mit immer weiteren Impfungen könnten dann eher immer wiederkehrende Kontakte mit dem Erreger für eine belastbare Immunität in der Bevölkerung sorgen. "Mein Ziel als Virologe Drosten, wie ich jetzt gerne immun werden will, ist: Ich will eine Impfimmunität haben und darauf aufsattelnd will ich dann aber durchaus irgendwann meine erste allgemeine Infektion und die zweite und die dritte haben. Damit habe ich mich schon lange abgefunden. Und dann weiß ich, bin ich richtig langhaltig belastbar immun", sagte der Mediziner damals.
Das könne er als relativ gesunder, zweifach geimpfter Erwachsener für sich verantworten. Drosten gab zu, dass auch er sich gern ein drittes Mal impfen lassen würde: "Aber hier würde ich als Bürger dann auch sagen: Meine dritte Impfdosis geht erst mal nach Afrika." Der Virologe trat anschließend Darstellungen entgegen, er wolle sich absichtlich infizieren.
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Seine Kollegin forderte bei Lanz, in der Pandemie endlich die harten Fragen zu beantworten. "Wir müssen die Debatte führen: Wie viele Todesfälle sind denn akzeptabel?", sagte Schroeder. Derzeit verzeichne Deutschland im Durchschnitt 61 Corona-Tote täglich. Dem stellte sie eine Zahl des Statistischen Bundesamts entgegen. Das hatte gemeldet, dass 2020 durchschnittlich sieben Menschen pro Tag bei Verkehrsunfällen getötet wurden. "Manchmal denke ich, es geht ein bisschen aus dem Verhältnis raus", sagte die Virologin.
Lanz fragte sie auch nach Joshua Kimmich, der sich vorerst nicht impfen lassen möchte. Der Fußballnationalspieler sei "einem wissenschaftlichen Irrglauben aufgesessen", meinte die Medizinerin. Sie betonte: Nebenwirkungen würden immer in den ersten beiden Monaten nach einer Impfung auftreten. "Dass man sich heute impft und in einem Jahr eine Folge davon bekommt, das gab es bislang in der Geschichte der Impfung noch nicht."
Lanz kritisiert Fridays for Future
"Impfen ist auch Solidarität", appellierte die CDU-Politikerin Wiebke Winter, Mitbegründerin der Klima-Union, an die Zuschauer. Dem schloss sich Fridays-for-Future-Sprecherin Carla Reemtsma an. Ansonsten waren die beiden Frauen eher auf Konfrontationskurs.
Vor allem Lanz war es aber, der die Klimaaktivistin scharf anging. Er warf Fridays for Future vor, mit "beängstigenden" Forderungen zum Klimaschutz Millionen von Arbeitsplätzen etwa bei Autobauern zu gefährden und Menschen, die vom Auto abhängig sind, zu Verlierern der Energiewende zu machen. "Die größte Zumutung ist die Klimakrise", konterte Reemtsma. Es sei nicht radikal, keine neuen Erdgas-Pipelines oder einen Baustopp für neue Autobahnen zu fordern. Ihre Bewegung übersetze lediglich die Erkenntnisse von Klimaforschern, was zur Einhaltung der vereinbarten Klimaziele notwendig sei, in politische Forderungen.
"Radikal" war jedoch genau der Begriff, den Lanz seinem Gast wiederholt vorwarf. Reemtsma hatte der "taz" gesagt: "Wenn wir wieder stärker über Dringlichkeit sprechen wollen, braucht es eine Radikalisierung der Aktionsformen." Lanz' Schlussfolgerung lautete: Ökoterrorismus. "Das ist eine komplett absurde Vorstellung", wies Reemtsma ihn zurecht. Fridays for Future sei eine friedliche Bewegung, die zivilen Ungehorsam nutze. Die "Zuspitzung" bestehe zum Beispiel darin, die SPD-Parteizentrale zu blockieren, um Kanzlerkandidat Olaf Scholz deutlich zu machen: "Du bist nicht unser Verbündeter."
Was sie mit "Radikalisierung" gemeint hatte, hatte Reemtsma in dem "taz"-Interview deutlich gemacht. "Es ist auch eine Form von Radikalisierung, uns mit den Menschen zu organisieren, gegen die wir konsequent ausgespielt werden", sagte sie und verwies beispielsweise auf Arbeiter in Industriewerken. Die Sprecherin von Fridays for Future stellte bei Lanz grundsätzlich klar: Sie und ihre Mitstreiter hätten keineswegs den Glauben an die Politik oder demokratische Entscheidungswege verloren. "Wenn es kein Vertrauen geben würde, dann würden wir auch keine Proteste mehr organisieren."
- "Markus Lanz" vom 26. Oktober 2021
- NDR-Podcast mit Drosten