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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Baerbocks Wahlkampf-Chef im Talk Lanz wirft den Grünen "Kontrollitis" vor – Kellner kontert
Wieso sind den Grünen im Wahlkampf Fehler unterlaufen, obwohl sie doch nichts dem Zufall überlassen? Dieser Frage ging Markus Lanz auf den Grund. Linken-Chef Bartsch schoss derweil scharf gegen die CDU.
Gästeliste:
- Michael Kellner, Bündnis 90/Die Grünen-Wahlkampfchef
- Dietmar Bartsch, Linken-Fraktionschef
- Ulf Poschardt, "Welt"-Chefredakteur
- Homaira Hakimi, Juristin
In gut drei Wochen ist die Bundestagswahl. Die Grünen haben sich nach anfänglichen Rückschlägen im Wahlkampf wieder erholt. Eine "historische Chance" auf die Kanzlerschaft hat die Partei dennoch verpasst, befand Markus Lanz in seiner Sendung und wollte von Grünen-Wahlkampfchef Michael Kellner wissen: "Wie sehr ärgert Sie das?"
Kellner blieb gelassen: "Es war rumpelig", gestand er ein. Sein Gefühl sei jedoch, dass im Wahlkampf nun langsam wieder wichtige Themen wie die Klimaziele in den Fokus rückten. "Darum geht es doch."
Über das Abebben der anfänglichen Begeisterungswelle für seine Partei ließ er ebenfalls wenig beeindruckt verlauten: "Am Anfang gab es eine große Euphorie. Dass die nicht bis zum Wahlabend halten kann, war klar." Die Unterstützung für die Grünen sei jedoch nach wie vor "wahnsinnig breit".
"Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt äußerte mit Blick auf die Grünen-Wählerschaft jedoch Bedenken. "Das Milieu, das sie unterstützt, ist das ungerechteste Spießertum", so der Journalist. Auf "fleischessende Verbrennungsmotor-Freunde" schauten diese Unterstützer herab: Das koste Stimmen.
"Eine sehr steile These", winkte Kellner ab. Die Grünen wollten außerdem nicht dem Einzelnen vorschreiben, was er essen solle. Stattdessen gehe es um Regeln in der Gesellschaft.
Moderator spricht von "Kontrollitis" bei den Grünen
Lanz sprach am Mittwochabend auch ein Thema an, das den Kern der Partei betraf: Bei den Grünen herrsche "Kontrollitis", befand der Moderator und verwies darauf, dass das Spitzenpersonal der Partei stets "top vorbereitet" und "komplett im Stoff" sei. Nichtsdestotrotz seien ausgerechnet im Wahlkampf der Lebenslauf und das Buch der Kanzlerkandidatin nicht genau gecheckt worden.
Zudem habe Baerbock in einer Rede einen dicken fachlichen Fehler gemacht und die soziale Marktwirtschaft der SPD zugeschrieben. "Wie kann das sein?", wollte Lanz wissen und wurde von Kellners Antwort eiskalt erwischt.
"Fehler passieren", wiegelte der ab und wies prompt auf einen Faktenfehler hin, den Lanz in seiner Anmoderation gemacht habe. "Das nehme ich gerne an", sagte Lanz, bevor Kellner weiter ausführte: Ein Fehler sei selbst Lanz passiert, obwohl er "top vorbereitet" sei. Das sei ihm wahrscheinlich unangenehm, so Kellner. "Nein", entgegnete Lanz nüchtern.
Eine wenig schmeichelhafte Erklärung für die Fehler der Grünen hatte einmal mehr "Welt"-Chef Poschardt parat: "Hochmut ist ein großes Problem", so der Journalist. "Fehler sind entstanden, weil man sich sicher war, dass der Support so groß sein wird, dass man nicht so genau hinguckt."
Linken-Chef Bartsch wettert gegen die CDU
Genau hingeguckt wurde am Mittwochabend bei Lanz nicht nur auf die Grünen, sondern auch auf die Linke. Fraktionschef Dietmar Bartsch war zu Gast im Studio und ließ mit Blick auf die Bundestagswahl wenig überraschend verlauten, dass er ein "Mitte-Links-Bündnis" für das Beste für Deutschland halte. "Diese staatspolitisch verwahrloste CDU muss raus aus der Regierung", sagte er.
Das Hauptaugenmerk in Bezug auf seine Partei lag am Mittwochabend jedoch auf dem Verhalten angesichts der Lage in Afghanistan. Bartsch und viele seiner Parteikollegen hatten sich bei der Bundestagsabstimmung über die Evakuierungsmission in Afghanistan enthalten. Er hatte Mühe, dieses Verhalten bei Lanz zu erklären.
"Niemand wollte, dass irgendwer nicht gerettet wird", stellte Bartsch klar. Das Mandat sei jedoch "schludrig". So sei beispielsweise das Ende der Rettungsmission im Antrag bereits festgelegt. Er sei also dafür, lieber nicht zu retten als schlecht zu retten?, fragte Lanz nach.
"Ich habe nicht zugestimmt, weil dieses Mandat nicht zustimmungsfähig ist", so Bartsch. Viele der Menschen, die laut Bartsch auf einer Liste der Linken stehen, seien von der Rettungsmission der Bundesregierung beispielsweise gar nicht berücksichtigt worden.
"Vulgärer Pazifismus" der Linken
Heftigen Gegenwind spürte der Linken-Fraktionschef von Poschardt. "Wer glaubt, dass man diesen Menschen mit Reden beikommt: Das ist eine Illusion", so der Journalist über die militant-islamistische Taliban, die in Afghanistan die Macht ergriffen hat. Was die Linke betreibe, sei "vulgärer Pazifismus".
"Mit dieser Logik müssten wir in die halbe Welt einmarschieren", entgegnete Bartsch, bevor Lanz die Diskussion beendete.
Mit dem Abzug der letzten US-Soldaten vom Flughafen Kabul war in der Nacht zu Dienstag der internationale Afghanistan-Einsatz nach fast 20 Jahren zu Ende gegangen. Damit endete auch die militärische Evakuierung von US-Bürgern, Verbündeten und schutzbedürftigen Afghanen. Auch die Bundesregierung hatte eine Luftbrücke aus Kabul organisiert, die beendet wurde. Immer noch befinden sich Zehntausende Menschen in Afghanistan, die vor den Taliban fliehen wollen.
- "Markus Lanz" vom 1. September 2021