Kevin Kühnert kontert Kritik "Ich habe das sehr ernst gemeint"
Kevin Kühnerts Gedankenspiele zum Sozialismus sorgen für Wirbel. In der SPD ist man um Schadensbegrenzung bemüht. Nun legt der Juso-Chef in einem Interview nach – mit einer Forderung an seine Parteikollegen.
Kevin Kühnert hat mit seinen Vorstellungen über ein sozialistisches Deutschland eine Welle der Empörung hervorgerufen. Politiker von Union, FDP und AfD griffen Kühnert massiv an und warfen ihm vor, von einer Wirtschaftsordnung wie in der DDR zu träumen. Auch die Grünen lehnten Kühnerts Thesen ab. Vertreter des linken Flügels der SPD und der Linken verteidigten ihn.
Nun legt der Juso-Chef nach und fordert seine Partei auf, die von ihm angestoßene Debatte über eine Überwindung des Kapitalismus in seiner jetzigen Form offensiv zu führen. "Ich habe keine Lust mehr darauf, dass wir wesentliche Fragen immer nur dann diskutieren, wenn gerade Friedenszeiten sind, und im Wahlkampf drum herumreden", sagte Kühnert dem "Spiegel". Wenn man ernsthaft einen anderen Politikstil wolle, "dann können wir uns nicht immer auf die Zunge beißen, wenn es um die wirklich großen Fragen geht".
Damit reagierte Kühnert auf den Vorwurf, er habe wenige Wochen vor der Europawahl den falschen Zeitpunkt für seinen Vorstoß gewählt. Der Vorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation hatte in einem Interview mit der "Zeit" zum Thema Sozialismus gesagt, dass er für eine Kollektivierung großer Unternehmen "auf demokratischem Wege" eintrete. Gut drei Wochen vor der Europawahl kritisierte der Juso-Chef auch den starken Mietenanstieg in den Städten und wandte sich gegen Vermietungen als Geschäftsmodell.
"So können wir auf keinen Fall weitermachen"
Kühnert wandte sich gegen die massive Kritik an seinen Thesen: "Ich habe das sehr ernst gemeint, was ich formuliert habe“, sagte er dem "Spiegel". Der Kapitalismus sei "in viel zu viele Lebensbereiche“ vorgedrungen: "So können wir auf keinen Fall weitermachen."
"Die empörten Reaktionen zeigen doch, wie eng mittlerweile die Grenzen des Vorstellbaren geworden sind", sagte er. "Da haben 25 Jahre neoliberaler Beschallung ganz klar ihre Spuren hinterlassen.“
Bei einigen in der SPD stoßen Kühnerts Forderungen allerdings auch auf Zustimmung. "Wir müssen die Debatte aufnehmen. Wir brauchen ein grundlegend neues Wirtschaftsmodell", sagte Sebastian Hartmann, Chef der wichtigen nordrhein-westfälischen SPD. "Der ungeregelte Markt ist unser Gegner. Ungleichheit ist der Sprengstoff unserer Zeit."
Auch die Bielefelder Bundestagsabgeordnete Wiebke Esdar, Mitglied im SPD-Bundesvorstand, lobte Kühnert: "Wenn wir glaubhaft von Erneuerung sprechen wollen, müssen wir über den Widerspruch von Arbeit und Kapital reden", sagte sie. Seit Jahren erstarke der Neoliberalismus und wachse die Ungleichheit zwischen Arm und Reich: "Da kann sich die SPD nicht mit dem Status quo zufriedengeben."
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) nahm den Juso-Chef in Schutz. "Die Aufregung um diese Äußerung von Kühnert zeigt, dass er die richtige Frage gestellt hat. Nämlich die Frage nach der Verteilung von Einkommen", sagte Geisel am Donnerstag in der rbb-Sendung "Talk aus Berlin".
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Er selbst würde zwar eine "andere Antwort" geben als Kühnert. Unternehmen der Daseinsvorsorge, Wasser, Stromnetze, Gas und Ähnliches könne er sich aber gut in staatlicher Hand vorstellen, sagte Geisel. Andererseits sei er ein Freund von Marktwirtschaft und Wettbewerb. "Ob da BMW das beste Beispiel war, da hab ich Zweifel."
- Der Spiegel: "Ich habe das sehr ernst gemeint, was ich formuliert habe“
- Nachrichtenagenturen afp und dpa