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TV-Kritik "Anne Will": "Dann ist Orban nicht mehr zu halten"


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TV-Kritik "Anne Will" zur Europawahl
"Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht"

Von Nina Jerzy

11.03.2019Lesedauer: 4 Min.
Manfred Weber bei "Anne Will": Das Thema der Talkrunde war – "Europa vor der Wahl - mehr EU oder mehr Nationalstaat?"Vergrößern des Bildes
Manfred Weber bei "Anne Will": Das Thema der Talkrunde war – "Europa vor der Wahl – mehr EU oder mehr Nationalstaat?" (Quelle: imago)

EU stärken oder auflösen: Darüber stritten Christian Lindner und Beatrix von Storch bei "Anne Will". Manfred Weber stellte einen Ausschluss von Viktor Orban in Aussicht – aber auch die bezeichnende Frage: "Wird Europa danach besser?"

Die Gäste

  • Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, EVP-Spitzenkandidat bei der Europawahl
  • Yanis Varoufakis, Ex-Finanzminister Griechenlands, Spitzenkandidat der deutschen Liste "Demokratie in Europa"
  • Christian Lindner, FDP-Parteichef
  • Beatrix von Storch (AfD), stellvertretende Fraktionsvorsitzende
  • Cathrin Kahlweit, Korrespondentin "Süddeutsche Zeitung" in London

Die Positionen

Die Europawahl Ende Mai wird eine Schicksalswahl. Zwischen Brexit und Rechtsruck fragte Anne Will am Sonntagabend: "Europa vor der Wahl – mehr EU oder mehr Nationalstaat?". Christian Lindner positionierte seine Partei größtenteils fest an der Seite Emmanuel Macrons, der Europa in der aktuellen Krise mit mehr zentralen Institutionen stärken will. "Eine europäische Grenzpolizei und eine gemeinsame europäische Asylpolitik: Ja, aber selbstverständlich brauchen wir das", sagte der FDP-Chef. Der Zusammenschluss ist seiner Ansicht nach in einer globalisierten Welt schon aus purem Eigeninteresse geboten: "Wenn man wieder gestalten will … dann werden wir das als Deutsche und Franzosen allein nicht können."

Manfred Weber wähnt sich in der aktuellen Debatte über die Zukunft Europas offenbar häufig im falschen Film. "Ich glaube, dass wir alle den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen", kritisierte der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. "Wir leben heute in dem besten Europa, das wir jemals hatten." Yanis Varoufakis forderte hingegen "Wir brauchen ein besseres Europa" und kritisierte die EU als schwach und inkompetent. Beatrix von Storch würde dem wohl zustimmen und warb mit einem Alleinstellungsmerkmal vor der Europawahl. "Die AfD ist die einzige Partei, die sagt: weniger EU", sagte sie.

Der Aufreger des Abends

Lindner versteht die AfD nicht mehr. "Frau von Storch, Sie wollen das Europäische Parlament abschaffen, aber erst dafür kandidieren", kritisierte er seine Sitznachbarin. Auch Will attestierte der Alternative für Deutschland angesichts der Wahl zum Europäischen Parlament einen ganz besonderen Kunstgriff. Von Storch konterte: So lange das EU-Parlament die Geschicke Deutschlands mitbestimme, wolle ihre Partei da natürlich vertreten sein. Aber: "Wir möchten nicht, dass in einem EU-Parlament so viele Entscheidungen für unser Land getroffen werden." Das sei eine Frage der Demokratie. Schließlich habe Deutschland nur 96 Abgeordnete ins EU-Parlament entsandt, am Ende würden aber alle 750 Abgeordneten über Belange in Deutschland mitbestimmen: "Ich sage, das ist nicht demokratisch."

Der Rest der Runde war ziemlich ratlos angesichts dieses Demokratieverständnisses und möglicher Lösungen. "Wollen Sie 750 Abgeordnete?", fragte Varoufakis auf Englisch per Dolmetscher. "Für die AfD?", fragte von Storch zur Belustigung vieler Anwesender. "Das ist die demokratische Idee", warf "SZ"-Journalistin Cathrin Kahlweit entgeistert ein. Einen ähnlichen Gedanken verfolgte Lindner. "Was sollen denn die Bremer sagen?", meinte der FDP-Chef und schätzte mal grob. Aus Bremen seien vielleicht gerade fünf Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Und dennoch würde das Parlament auch Politik für Bremen machen. (Tatsächlich sind aktuell sechs Volksvertreter aus Bremen unter den 709 Abgeordneten.)

Das Zitat des Abends

Die Europawahl wird den Prognosen zufolge einen Rechtsruck in der EU bringen. Daran ist nach Ansicht Kahlweits auch Brüssel selbst schuld – siehe Viktor Orban. Der ungarische Ministerpräsident habe seit zehn Jahren "mit einem kalten Lächeln Demokratie abgebaut". Deshalb hätte seine Partei Fidesz längst aus der Europäischen Volkspartei (EVP) ausgeschlossen werden müssen. Deren Fraktionschef Weber zeigte sich bei Will bereit zum Ausschluss. "Die letzten Provokationen waren die Tropfen, die vielleicht das Fass zum Überlaufen bringen", sagte der CSU-Politiker. Orban müsse nun den Forderungen nachkommen (unter anderem Rücknahme des europakritischen Wahlplakats) und beweisen, dass er in der EVP bleiben wolle. "Wenn die Prinzipien nicht eingehalten werden, dann ist er auch für die Partei nicht mehr haltbar", bekräftigte Weber.

Allerdings schickte Weber wenig später einen bemerkenswerten Satz zum möglichen Orban-Rauswurf hinterher: "Wird dann Europa an dem Tag danach besser sein?" Der Unionspolitiker betonte: "Jede Partei in Europa hat doch ihre Sorgenkinder." Er attestierte: "Wir haben zu viel Hochnäsigkeit von unserer Seite gegenüber Mittel- und Osteuropa." Man müsse lernen, einander zuzuhören und aufeinander zuzugehen. "Wir leben heute im Europa von Kaczyński, der gewählt ist. Wir leben im Europa von Orban, der gewählt ist."

Der Faktencheck

Die Wahl zum 9. Europäischen Parlament findet in Deutschland am 26. Mai statt. Die anderen Länder stimmen zwischen 23. bis 26. Mai ab. Derzeit tagen noch 751 Abgeordnete in Straßburg. Dem nächsten Parlament werden 705 Abgeordnete angehören. Beobachter erwarten ein Erstarken der rechten und EU-kritischen Kräfte. Das Europaparlament selbst hat kürzlich Wahlumfragen in 27 Mitgliedsländern ohne das Vereinigte Königreich ausgewertet.

Laut der Hochrechnung wäre die rechtsextreme ENF-Fraktion (Europa der Nationen und der Freiheit) der größte Gewinner der Wahl. Sie käme demnach mit 22 zusätzlichen Mandaten auf 59 Sitze und wäre damit viertstärkste Kraft nach Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen. Der ENF-Fraktion gehört auch die rechtsextreme Lega von Italiens Innenminister Matteo Salvini an. Die AfD könnte ihre Präsenz in der EU-skeptischen, rechtspopulistischen EFDD-Fraktion (Europa der Freiheit und der direkten Demokratie) von einem Abgeordneten auf zwölf Mitglieder erhöhen. Insgesamt käme die EFDD laut der Prognose auf 39 Sitze.

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