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Katarina Barley im Interview: "Das Wort Rabenmutter gibt es nur auf Deutsch"


Interview
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Justizministerin Katarina Barley
"Die deutsche Gesellschaft ist nicht sehr veränderungsbereit"

  • Axel Krüger
InterviewVon M. von Lüpke, F. von Kempis, A. Krüger

Aktualisiert am 08.03.2019Lesedauer: 7 Min.
Katarina Barley: Die Justizministerin ist bekennende Feministin. (Archivbild)Vergrößern des Bildes
Katarina Barley: Die Justizministerin ist bekennende Feministin. (Archivbild) (Quelle: Hannibal Hanschke/reuters)
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Rechtlich herrscht in Deutschland Gleichberechtigung, faktisch müssen Frauen immer noch für ihre Rechte streiten. Justizministerin Katarina Barley erklärt, was falsch läuft.

Im Januar 1919 durften die Frauen in Deutschland zum ersten Mal das Parlament mitwählen, viel hat sich seitdem in Sachen Gleichberechtigung getan. Wirklich gleich gestellt sind die Frauen den Männern aber immer noch nicht, moniert die Bundesjustizministerin Katarina Barley von der SPD.

Ungleiche Bezahlung wie ein schwindender Anteil von Frauen im Bundestag sind nur einige der Kritikpunkte der bekennenden Feministin Barley. Was die Politikerin dagegen tun will, erklärt sie im Interview. Ein Gespräch über Fairness, notwendigen Wandel und Angela Merkel.

t-online.de: Frau Barley, 1919 durften Frauen zum ersten Mal das deutsche Parlament mitwählen. Wie steht es heute um die Gleichberechtigung?

Katarina Barley: Als ich anfing, mich für die Belange von Frauen zu engagieren, glaubte ich, dass es immer weiter vorwärts ginge. Mal in größeren Schritten, mal in kleineren, aber immerhin vorwärts. Mittlerweile gibt es politische Strömungen, die die Gleichberechtigung zurückdrehen wollen. Wir müssen also um das kämpfen, was wir schon erreicht haben. Das ist schlimm genug.

Wo sehen Sie die größte Baustelle?

Frauen verdienen für die gleiche Arbeit immer noch deutlich weniger als Männer, sind viel seltener in Führungspositionen und schultern gleichzeitig immer noch einen Großteil bei Kindererziehung und Betreuung. Das wird eben nicht zwangsläufig besser. Schauen Sie sich den Frauenanteil im deutschen Bundestag an. Nicht nur hier sehen wir, dass die Ausprägungen, die Auswirkungen von Gleichberechtigung im Moment wieder gefährdet sind. Wir haben noch ein gutes Stück Arbeit vor uns.

Der Anteil von Frauen im Bundestag ist in der Tat rückläufig.

Wir haben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sehr lange gebraucht, um überhaupt einen vernünftigen Frauenanteil im Bundestag hinzubekommen. 1919 war die erste Wahl, bei der Frauen mitwählen konnten: Da gab es einen Frauenanteil von 8,7 Prozent. Es hat bis 1983 gedauert, dass dieser Wert von 1919 dauerhaft überschritten wurde. Und richtig darüber sind wir erst seit 1990, nachdem Grüne und SPD Quoten in ihre Parteistatuten eingeführt haben.

Katarina Barley, geboren 1968, ist Juristin und SPD-Politikerin. Seit 2013 gehört sie dem Bundestag an. Von 2017 bis 2018 amtierte Barley als Bundesministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, derzeit ist sie Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz. Barley tritt bei der kommenden Europawahl als Spitzenkandidatin der SPD an.

Was allerdings wenig bringt, wenn der Frauenanteil in anderen Parteien entsprechend niedrig ist. Sie beklagten einmal das "Meer von grauen Anzügen" vor der Regierungsbank.

Richtig. Der Frauenanteil im Bundestag ist gesunken. Und zwar von etwa 37 auf 30,9 Prozent. Mit der AfD ist bei der letzten Wahl eine Partei in den Bundestag eingezogen, deren Anteil weiblicher Abgeordneter bei gerade einmal rund zehn Prozent liegt. Gleichzeitig bringt es auch die CDU/CSU nur noch auf einen Frauenanteil von gut 20 Prozent. Das führt zum besagten Meer von grauen Anzügen.

Was ließe sich tun?

Wenn die betroffenen Parteien es wollten, könnten sie sich Regeln setzen, die zu entsprechenden Veränderungen beim Frauenanteil führen würden.

Und wenn nicht?

In dem Fall muss man über andere Wege nachdenken.

Sie meinen einen Eingriff in das Wahlrecht, wie Sie ihn bereits zur Diskussion gestellt haben? Und der auf teils heftige Kritik stieß?

In die Frage ist ja jetzt Bewegung gekommen. Es gibt eine Initiative von Frauen im Bundestag, die über Parteigrenzen hinweg eine Reform des Wahlrechts erreichen wollen. Das begrüße ich sehr. Dabei muss eine gerechte Beteiligung von Frauen und Männern in Parlamenten unser gemeinsames Ziel sein – bei allen rechtlichen Herausforderungen. Aber wenn der Frauenanteil in der Politik immer weiter zurückgeht, dann geht das den Staat als solches an.

Sie spielen auf das Grundgesetz an.

Im Grundgesetz ist ein besonderer Gleichheitsgrundsatz verankert. Dieser besagt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Zusätzlich gibt es ein Fördergebot: Und zwar muss der Staat aktiv auf den Abbau von Benachteiligungen der Frauen hinwirken.

Aber muss wirklich erneut der Staat eingreifen, um die Gleichberechtigung voranzutreiben?

Wenn man nur darauf wartet, dass es von allein passiert, dann wartet man sehr, sehr lange und möglicherweise vergebens.

Allein das Wahlrecht zu ändern, wäre aber keine Lösung. Zumal die rechtliche Gleichstellung ja existiert.

Wir sind in der Gleichberechtigung der Frauen schon sehr große Schritte vorangegangen. Wenn wir den Zustand heute mit 1919 vergleichen, sind die Unterschiede gravierend. Worauf es jetzt ankommt ist, dass das Geschlecht wirklich keine Rolle mehr spielt. Das ist immer noch nicht so. Weder bei der Frage, wer eigentlich mit dem kranken Kind zu Hause bleibt, noch wer Zentralbankpräsidentin oder Zentralbankpräsident wird. Das ist immer noch nicht egal, und das merkt man auch daran, dass es immer noch eine Meldung wert ist, wenn es dann doch mal eine Frau wird.

Wir sprechen an dieser Stelle über zwei Bereiche: Politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung.

Das stimmt. Rechtlich sind wir gleichgestellt. Da gibt es nur noch sehr kleine Lücken. Aber die vollständige Gleichberechtigung? Das ist noch ein weiter Weg.

Der wie aussehen wird? Was sollten Frauen von sich aus tun?

Wir brauchen eine andere politische Kultur. Und wir müssen zusehen, dass wir Frauen noch mal anders zusammenhalten, anders netzwerken.

Ein immer wiederkehrender Vorwurf lautet, dass sich Frauen gar nicht für Politik interessieren würden. Es ständen ihnen ja alle Möglichkeiten offen.

Das ist ein sehr dummer Vorwurf. Frauen interessieren sich sehr wohl für politische Ämter, aber die vorherrschende politische Kultur ist eine, die Frauen nicht besonders entgegenkommt. Sitzungen, die sehr spät beginnen, die sehr lange dauern, wo jeder, insbesondere jeder Mann alles noch mal wiederholt: Es ist alles gesagt, nur noch nicht von jedem.

Also kommt die derzeitige politische Kultur eher Männern entgegen?

Frauen arbeiten anders, werden deswegen auch oft abgeschreckt von diesem Habitus, der in der Politik vorherrscht. Außerdem haben Frauen eben auch viel mehr unterschiedliche Rollen miteinander zu vereinbaren als Männer. Also müssen wir etwas an dieser politischen Kultur ändern.

Also Frauen in Spitzenpositionen bringen, die andere Frauen fördern können?

Am Ende des Tages brauchen wir eine kritische Masse: Wir brauchen aber tatsächlich auch die Frauen an den entscheidenden Positionen.

In anderen Ländern ist die Gleichberechtigung weiter. Warum hinkt Deutschland hinterher?

Die deutsche Gesellschaft ist nicht sehr veränderungsbereit, um es mal so zu sagen. Auch wenn wir sehen, wie lange es gedauert hat, bis hier homosexuelle und heterosexuelle Partnerschaften vollständig gleichberechtigt sind. Da waren Länder wie Irland, wie Spanien, erzkatholisch, zum Teil sehr konservativ, Jahre früher dran als wir.

Haben Sie ein Beispiel für den Konservatismus der deutschen Gesellschaft?

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Das Wort Rabenmutter gibt es nur auf Deutsch. Das gibt es in keinem anderen Sprachraum. Also diese Idee, dass eine Mutter sich komplett auf ein Kind konzentrieren muss, sonst ist sie keine gute Mutter. Dieses Modell, ich bin ja sehr viel im europäischen und internationalen Raum unterwegs, dieses Modell gibt es sonst praktisch nicht. Das ist eine große Schwierigkeit für Frauen, die sich beruflich engagieren wollen und natürlich auch für die ganze gesellschaftliche Entwicklung.

Was läuft ihrer Meinung nach noch falsch?

Die heutigen Rollenbilder von Mädchen und Jungen sind meine größte Sorge. Als ich ein Kind war, gab es bei Mädchen diese totale Fixierung auf Rosa und Glitzer nicht. Und bei Jungen nicht auf Tarnbekleidung. Jedenfalls nicht in dieser Ausprägung. Das ist nur ein Beispiel. Es ist schwieriger für die Geschlechter geworden, einfach zu sagen: Ich kann alles tun, was ich will.

Das hat nicht zuletzt viel mit Werbung zu tun.

Richtig, die Kommerzialisierung spielt eine große Rolle. In anderen Bereichen werden Kinder gezielt an besonders süße Nahrungsmittel herangeführt, damit sie Zeit ihres Lebens eine Neigung dazu haben.

Wir sprachen viel über politische und rechtliche Gleichstellung, aber noch nicht über Geld: In Sachen Bezahlung sind viele Frauen stark benachteiligt.

Der Gender Pay Gap liegt bei rund 20 Prozent. Etwas darüber. Wenn ich 2.000 Euro habe, dann sind das 400 Euro. Mehr oder weniger. Diese 20 Prozent gelten, wenn man einfach einen Mann und eine Frau nebeneinander stellt und die Stundenlöhne vergleicht. Häufig wird dann von Kritikern angeführt, dass diese Rechnung zu einfach sei. Aber selbst wenn man alle möglichen Faktoren, wie Qualifikation, Arbeitserfahrung etc. herausrechnet, kommt man immer noch auf einen Unterschied von sechs bis acht Prozent. Für genau den gleichen Job. Schon absurd! Sechs bis acht Prozent, wenn ich genau dasselbe mache, genau dasselbe kann. Schlimm genug.

Sprechen wir noch einmal über die Politik. Auch in der SPD hat es mehr 150 Jahre gedauert, bis eine Frau Vorsitzende geworden ist.

Es gab viele starke Frauen in der Geschichte der SPD. Zugegebenermaßen erst jetzt eine Vorsitzende, das ist ein bisschen spät. Das stimmt.

Muss sich Andrea Nahles als Frau mehr gefallen lassen?

Ich finde, dass mit Andrea Nahles in der Öffentlichkeit anders umgegangen wird, als man das mit einem Mann tun würde. Das war ja mit Angela Merkel in ihrer Anfangszeit durchaus auch so. Die Messlatte für Frauen in der Politik ist immer noch deutlich höher.

Mit Angela Merkel hat eine Frau seit vielen Jahren das mächtigste Staatsamt inne. Ein Sieg der Gleichberechtigung?

Es ist sehr bemerkenswert, dass Angela Merkel damals Bundeskanzlerin wurde. Auch wie sie sich in der CDU so durchgesetzt hat. Nicht zuletzt gegenüber Helmut Kohl, der sie ja als "Mädchen" tituliert hat. Dazu hat es viele Männer gegeben, die sie beiseiteschieben wollten.

Also ein Sieg für alle Frauen?

Ich hätte mir an der einen oder anderen Stelle schon gewünscht, dass die Kanzlerin die Position der Frauen etwas deutlicher vertreten hätte. Allerdings hat Angela Merkel es auch abgelehnt, als Feministin bezeichnet zu werden.


Wieso? Was glauben Sie?

Es mag mit ihrem Aufwachsen in der DDR zu tun haben, wo die Stellung der Frau eine andere gewesen ist. Vielleicht dachte sie auch, dass die offene Bezeichnung als Feministin in der CDU auch ein Tick zu viel gewesen wäre. Aber wie gesagt, es war für sie sicher schwierig genug, sich in ihrer Position zu behaupten.

Eine letzte Frage: Wird die vollständige Gleichberechtigung Realität werden?

Die Frauen müssen sich beieinander unterhaken und gegenseitig stärken, dann kriegen wir das schon hin.

Frau Barley, vielen Dank für das Gespräch.

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