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Kieler Nikab-Studentin: Der Gesichtsschleier ist kein Ausdruck des Islams


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Kieler Nikab-Studentin
Der Gesichtsschleier ist kein Ausdruck des Islams

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 26.02.2019Lesedauer: 4 Min.
Der Nikab: Zur Vollverschleierung soll es keine zwei Meinungen geben.Vergrößern des Bildes
Der Nikab: Zur Vollverschleierung soll es keine zwei Meinungen geben. (Quelle: Peter Macdiarmid/getty-images-bilder)
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An der Uni Kiel gibt es eine Studentin, die zum Islam konvertiert ist, und einen Nikab trägt, kurz: eine Vollverschleierung. Ein Dozent fühlte sich dadurch gestört. Es gibt dazu eigentlich keine zwei Meinungen.

Sobald sich in einer Gruppe von Menschen, die in einem öffentlichen Raum miteinander interagieren müssen, auch nur einer durch ein derart abweichendes Verhalten eingeschränkt fühlt, ist die Verschleierung des Gesichts abzulegen. Dafür sprechen Gründe des Rechts, der Religion, Pädagogik und Gepflogenheiten:

  1. meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Und in einem Rechtsstaat muss ich mich in bestimmten Situationen, in denen es essenziell darauf ankommt, mit meinem Gegenüber uneingeschränkt austauschen können.
  2. außerhalb fundamentalistischer Minderheiten gilt das Tragen eines Nikabs für Musliminnen nicht als religiöse Pflicht; es ist dort nicht einmal Usus. Man verzeihe mir, dass ich ausnahmsweise diesen Vergleich hier bringe: Sogar im Iran oder in Saudi-Arabien ist das nicht vorgeschrieben.
  3. zur Kommunikation gehört, und seit Friedemann Schulz von Thun kann das jeder wissen, nicht nur die verbale. Menschen kommunizieren auch non-verbal durch Gesichtsausdrücke zum Beispiel. In pädagogischen Kontexten, und dazu gehören Uni-Seminare, ist das bedeutsam: "One look is worth a thousand words" – "ein Blick sagt mehr als tausend Worte", wenn es als Dozentin oder Dozent etwa um die Vergewisserung geht, ob das Gegenüber verstanden hat, was man ihm zu erläutern versucht.
  4. in Deutschland gibt es bestimmte Gepflogenheiten, die es in gemeinsamen Kontexten zu berücksichtigen gilt. Wer erinnert sich nicht daran, wie die eigenen Lehrer früher ihren Unterricht mit einem flotten: "Kappi ab, Kaugummi raus!"-Spruch begonnen haben. Das hatte auch etwas mit gegenseitigem Respekt zu tun. Ähnliches gilt für den Nikab. Darüber hinaus ist es in Deutschland gute Sitte, extremistische Haltungen und deren Ausdrucksformen nicht zu tolerieren. Das gilt für Rechtsradikalismus ebenso wie für radikalen Islamismus und andere Ideologien.

Nicht gleich alle Salafisten sind Terroristen

Auf t-online.de berichtete die besagte Kieler Studentin, dass sie in Kontakt mit Personen steht, die vom Verfassungsschutz im Bereich des Islamismus verortet werden; nach Recherchen von t-online.de handelt es sich um bekannte Salafisten. Ihre Aussagen in dem Interview entsprechen an vielen Stellen den typischen Argumentationsmustern und Narrativen von Vertretern dieser fundamentalistischen Lesart des Islams, die in Deutschland bereits zahlreichen jungen Menschen den Weg zur Terrororganisation IS geebnet hat; deshalb sind zwar nicht gleich alle Salafisten Terroristen, aber die meisten islamistischen Terroristen heute nutzen den Salafismus als ideologische Basis.

Die Frau mit dem unter Konvertiten so verbreiteten Übereifer repräsentiert mit ihrem Gesichtsschleier einen winzigen Bruchteil von Musliminnen in Deutschland. Gleichzeitig verweisen sie beziehungsweise ihre "großzügigen" Unterstützer auf die Islamfeindlichkeit und die Ausgrenzung, die für viele (äußerlich erkennbare) muslimische Frauen tatsächlich repräsentativ sind. Das ist eine perfide Strategie, die ihnen die Solidarität anderer Muslime und wieder mehr mediale Aufmerksamkeit einbringen soll. Doch damit werden beide Themen vermischt und die gesellschaftlichen Debatten zum Nachteil der großen Mehrheit der "normalen" Muslime weiter vergiftet. Islamfeindlichkeit wird von Islamfeinden gerne als "Erfindung von Islamisten" denunziert.

Es geht hier nicht um ein generelles Verbot

Die 21-jährige Studentin macht es damit der muslimischen Mehrheit nicht einfach, die Sache zu beurteilen, denn Diskriminierung können oder wollen sie natürlich zu Recht nicht dulden. Doch beim Widerstand gegen einen Nikab in Situationen, wo es um Kommunikation geht, handelt es sich eben nicht zwangsläufig um Diskriminierung, wie eingangs ausgeführt.

Es geht hier auch nicht um das Kopftuch oder um ein generelles Verbot des Gesichtsschleiers auf dem Campus. Es geht lediglich um die Seminare. Die meisten Institutionen in Deutschland sind inzwischen hinsichtlich muslimischer Glaubenspraxis so weit geschult, dass sie den Unterschied zwischen Nikab und Kopftuch zu erkennen vermögen. Während das eine ein verbreiteter Ausdruck islamischen Glaubens ist, ist es das andere eben nicht.

Selbst gewählte Diskriminierung

Wenn eine Frau also nach herrschender Auffassung im Islam keine Vollverschleierung tragen muss, begibt sich eine Nikab-Trägerin gewissermaßen in eine selbst gewählte Diskriminierung. Außer ihrer eigenen ultraorthodoxen Religionspraxis spricht nichts dagegen, den Schleier vom Gesicht zu nehmen. Von daher muss sie letztlich die Konsequenzen ihres Verhaltens selbst tragen.

Nicht einmal die Möglichkeit eines Studiums wird ihr genommen, sie könnte ein Fernstudium im Bereich Ökotrophologie oder Ernährungsberatung machen. Dennoch will sie mithilfe ihrer Unterstützer gegen die Entscheidung der Uni Kiel vor Gericht ziehen. Das ist der Versuch, den Rechtsstaat ad absurdum zu führen, indem man Freiheitsrechte für sich in Anspruch nimmt, die man selbst abschaffen würde, wenn man könnte. Denn sie widersprechen grundlegend salafistischen Auffassungen von Recht und Gesetz. Ob sich die Studentin dessen bewusst ist oder sich nur instrumentalisieren lässt, bleibt dahingestellt.

Mehr Zutrauen in mündige Bürger

Dass es in der Causa allerdings unbedingt einer allgemeinen Uni-Richtlinie zur Vollverschleierung bedurft hätte, darf bezweifelt werden. Von Lehrenden und Kommilitonen und Kommilitoninnen im Hochschulkontext kann man durchaus erwarten, dass sie mutig und selbstbewusst genug sind, sofern sie ihr soziales Gefüge gestört sehen, solche Dinge wie die Vollverschleierung einer Studentin anzusprechen und im Konfliktfall individuell zu regeln.


Wir sollten vielleicht mehr Zutrauen in mündige Bürger aufbringen, statt ihnen sofort mit neuen Verboten und Regelungen das Denken und Handeln abzunehmen. Eine offene Gesellschaft lebt auch von solchen Prozessen der Auseinandersetzung. Wenn niemand in einem Uni-Seminar Probleme mit einem Nikab hätte, würde es nur neues Konfliktpotenzial schaffen, wenn man die Trägerin zum Absetzen zwingen müsste.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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