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Proteste gegen Rechtsrock-Festival: "Ostritz ist keine Nazistadt, auch nicht für ein Wochenende"


Proteste gegen Rechtsrock-Festival
"Ostritz ist keine Nazistadt, auch nicht für ein Wochenende"

dpa, Martin Fischer und Jörg Schurig

Aktualisiert am 20.04.2018Lesedauer: 3 Min.
Neonazis bei einem Konzert im thüringischen Themar im Juli 2017: Jetzt findet eine ähnliche Veranstaltung im sächsischen Ostritz statt.Vergrößern des Bildes
Neonazis bei einem Konzert im thüringischen Themar im Juli 2017: Jetzt findet eine ähnliche Veranstaltung im sächsischen Ostritz statt. (Quelle: Sebastian Haak/dpa)

Es könnte das größte Neonazi-Treffen des Jahres werden: In Ostritz in der Oberlausitz findet das rechtsextreme "Schild & Schwert"-Festival statt. Die Anwohner wollen das nicht einfach so geschehen lassen.

Martialische Rockmusik und "nationale" Balladen: Wenn an diesem Wochenende beim Festival "Schild & Schwert" im sächsischen Ostritz Neonazis aus ganz Deutschland mit Gleichgesinnten aus Polen und Tschechien den Schulterschluss suchen, sollen auch andere Töne von dem kleinen Grenzort ausgehen. Gegen das Festival auf einem Privatgelände direkt am deutsch-polnischen Grenzfluss Neiße regt sich breiter Widerstand.

Bürger wehren sich gegen "SS-Festival"

Der Ort hat ein Friedensfest organisiert und will damit zeigen, wofür die Region wirklich steht. Auch Sachsens Ministerpräsident wird vor Ort sein und das Fest auf dem Marktplatz eröffnen. "Ostritz ist keine Nazistadt, auch nicht für ein Wochenende", sagt Michael Schlitt, einer der Anmelder des Friendensfestes. Er leitet das Internationale Begegnungszentrum St. Marienthal, das in einem Kloster in der Kleinstadt beheimatet ist.

Die Ostritzer wehrten sich "mit aller Entschiedenheit" gegen das Schild- und Schwertfestival, das abgekürzt "SS-Festival" bedeute, so Schlitt. Das Friedensfest sei eine Veranstaltung aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft. Zumindest auf die Unterstützung vieler Lokalpolitiker kann er dabei bauen: 40 Bürgermeister aus der Region unterzeichneten eine "Oberlausitzer Erklärung" gegen das rechtsextreme Festival.

Größter Polizeieinsatz der letzten zehn Jahre

Parallel zum Friedensfest protestiert auch ein Bündnis linker Gruppen gegen das Festival. Die Initiative "Rechts rockt nicht" erwartet nach eigenen Angaben mehr als 2.500 Gegendemonstranten. Die Polizei rechnet über das Wochenende mit dem größten Einsatz in Ostsachsen in den vergangenen zehn Jahren. Es werden mehrere Hundertschaften auch aus anderen Bundesländern im Einsatz sein.

Die Rechtsextremen werden bei ihrem Treffen auf einer Industriebrache keinen Hehl aus ihrer Gesinnung machen. Publikationen wie "NS Heute", Labels wie "Front-Records" und Parteien wie die NPD buhlen dort um die Gunst der Besucher. Zu Hitlers Geburtstag am Freitag soll es bei einem "Balladenabend" eher ruhiger zugehen. Am Tag danach drehen Bands wie "Nahkampf", "Sons of Odin", oder "Lunikoff-Verschwörung" dann richtig auf. Auf Nebenbühnen wird dem "Volkstanz" gehuldigt.

Bedeutendstes Neonazi-Treffen des Jahres?

Nach Einschätzung des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz könnte es der größte Neonazi-Auflauf in diesem Jahr in Deutschland werden - so wie bereits 2017 im thüringischen Themar.

Ostritz ist ein Stimmungsbarometer für die Szene. Unter dem Motto "Reconquista Europa" (Rückeroberung Europas) werden bis zu 1000 Menschen erwartet. Ein Teil des Festivals ist als Versammlung angemeldet, Angebote wie Kampfsport und Tattoo-Stechen laufen als Veranstaltungen. Deutsche Kost ist garantiert. Die kulinarischen Produkte auf dem "Schild & Schwert"-Festival sind "ausschließlich von Kameraden in der Region frisch produziert worden", heißt es auf der Webseite.

Zahl rechtsextremer Konzerte nimmt zu

Für den Linken-Politiker André Hahn ist das Festival keine Überraschung. Regelmäßig erfragt der Abgeordnete im Bundestag die Anzahl von "Rechtsrockkonzerten". Nachdem die Zahl in den vergangenen Jahren rückläufig gewesen war, gab es 2017 eine Trendwende. In diesem Jahr wurden bundesweit 289 Konzerte, Liederabende und andere Veranstaltungen mit Musik gezählt, 66 mehr als 2016. Schwerpunkte waren Thüringen und Sachsen. Die Tendenz sei "schon etwas bedrohlich", sagt der Politiker aus der Sächsischen Schweiz.

Auch die sächsischen Verfassungsschützer bestätigen die "deutlich steigende Tendenz" bei Musikveranstaltungen der extremen Rechten. Demnach wurden allein im vergangenen Jahr 24 Konzerte (2016: 14) im Freistaat gezählt. In Thüringen waren es 59, fünf mehr als 2016.

Allein in Sachsen gab es im Jahr im vergangenen Jahr 30 rechtsextreme Bands. 2015 produzierte etwa die Gruppe "Überzeugungstäter" die CD "Epoche der Angst", deren Texte aus Sicht des Verfassungsschutzes einen Anreiz für Gewalttätigkeit, Hass und Hetze geben.

Noch 2012 waren die Behörden massiv gegen Veranstalter solcher Konzerte vorgegangen, was sich deutlich in den Zahlen niederschlug. Der Trend nach oben lasse nun auf einen "Anpassungsprozess" der rechten Szene schließen, meint Martin Döring, Sprecher des Verfassungsschutzes in Sachsen.

Linke-Politiker Hahn hingegen nennt das eine "Schutzbehauptung": Dass viele Auftritte dem Verfassungsschutz erst im Nachhinein bekannt würden, sei ein Beleg für den nachlassenden Druck. "Das ist ein Armutszeugnis, dass man im Vorfeld keine Erkenntnisse hatte."

Verfassungsschutz sieht NPD hinter dem Festival

Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Gordian Meyer-Plath sieht politische Gründe für das "Schild & Schwert"-Festival: "In Ostritz versucht die NPD wieder Fuß zu fassen angesichts personeller Auszehrung, eines strukturellen Niedergangs und ideologischer Flügelkämpfe. Gerade auch in der Konkurrenz zum "III. Weg", einer betont völkisch-nationalsozialistischen Kleinpartei, will sie in der Szene wieder punkten." Dabei bediene sie sich einer Mischung aus Volksfest, Kampfsport-Event, Propaganda und Musik.

"Gerade die steigenden Zahlen im Bereich rechtsextremistischer Musikveranstaltungen belegen, dass hierüber Szene-Nachwuchs rekrutiert und der innere Zusammenhalt gefördert wird", so Meyer- Plath weiter. Markus Kemper vom Kulturbüro in Sachsen hat darüber hinaus neue Akzente bei den Rechten ausgemacht: "Durch die Beschwörung eines Europas der Vaterländer im identitären Kampf gegen den Islam wird an aktuelle Diskurse angeschlossen und gleichzeitig eine Radikalisierung dieser Diskurse vorgenommen."

Verwendete Quellen
  • Die "Oberlausitzer Erklärung" im Wortlaut
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