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Fast 1000 antisemitische Angriffe in Berlin gemeldet


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Antisemitismus in Berlin
Die Judenfeinde der Hauptstadt


Aktualisiert am 18.04.2018Lesedauer: 3 Min.
Judenfeindlicher Angriff in Berlin: Das Opfer filmte den Angreifer dabei, wie er mit einem Gürtel zuschlug.Vergrößern des Bildes
Judenfeindlicher Angriff in Berlin: Das Opfer filmte den Angreifer dabei, wie er mit einem Gürtel zuschlug. (Quelle: Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus/Facebook)

Angriffe, Bedrohungen, Beleidigungen: Die Zahl der antisemitischen Vorfälle in Berlin ist um mehr als die Hälfte angestiegen. Immer mehr Fälle werden auch bundesweit gemeldet.

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin hat im Jahr 2017 fast 1000 judenfeindliche Attacken in Berlin registriert. Insgesamt seien dem Dokumentationsprojekt 947 Fälle gemeldet worden, sagte RIAS-Leiter Benjamin Steinitz. "Es handelt sich um die höchste Zahl seit Beginn unserer Erfassung." Im Gespräch mit t-online.de führt er aus, dem Projekt sei es durch seinen wachsenden Bekanntheitsgrad gelungen, das Dunkelfeld antisemitischer Übergriffe ein wenig mehr zu erhellen. "Wir gehen aber davon aus, dass es auch einen realen Anstieg antisemitischer Vorfälle gab."

Staatsschutz fahndet nach Angreifer

Noch am Mittwoch hatte ein Video eines antisemitischen Angriffs im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg für bundesweite Empörung gesorgt, wie t-online.de berichtete. Auf dem Video ist ein arabisch sprechender Jugendlicher zu sehen, der zwei junge Passanten, die eine Kippa tragen, antisemitisch beschimpft und mit einem Gürtel attackiert. Laut einem Artikel der Deutschen Welle (DW) ist der im Video zu sehende Angegriffene allerdings kein Jude. Demnach sei der junge Mann aus Israel arabischer Herkunft. Mit dem Tragen der Kippa habe er laut DW demonstrieren wollen, dass damit keine Gefahr verbunden sei. Am schockierendsten sei er gewesen, dass ihm niemand der Umstehenden zu Hilfe gekommen sei.

Mittlerweile hat der Staatsschutz Berlin die Ermittlungen aufgenommen und eine Fahndung eingeleitet.

Der Übergriff markiert laut dem RIAS-Bericht nur die Spitze des Eisbergs: Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der registrierten Übergriffe um über 60 Prozent an. "Für jüdische Berliner ist Antisemitismus eine Alltagserfahrung", sagt Steinitz im Gespräch mit t-online.de. Vor allem Fälle verletzenden Verhaltens, Anfeindungen oder Propaganda in Form von Schmierereien, Aufklebern oder auf Versammlungen hätten zugenommen. "Es kommt zu mindestens zwei bis drei Vorfällen pro Tag." Jede dritte gemeldete Tat beziehe sich auf das Internet.

Erstmals seien durch das Projekt auch antisemitische Vorfälle außerhalb Berlins erfasst worden, stellt der Bericht fest. Dabei seien 322 Fälle in die Erhebung eingegangen, darunter 18 Angriffe, neun Bedrohungen, 72 Sachbeschädigungen.

Fast 1500 angezeigte Straftaten im Jahr 2017

Anders als die Kriminalstatistiken erfasst der RIAS-Bericht nicht nur die antisemitischen Straftaten. Diese bewegen sich quantitativ seit einigen Jahren auf gleichbleibendem Niveau, wie vor einigen Wochen aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag hervorging. Demnach wurden 2017 deutschlandweit vorläufig 1457 antisemitische Delikte erfasst – darunter 32 Gewalttaten und 166 Sachbeschädigungen.

Es wurden im Durchschnitt also vier judenfeindliche Straftaten pro Tag angezeigt. Die Täter: fast immer Rechtsextreme. Lediglich 25 Delikte waren religiös motiviert, also vermutlich von islamistischen Fanatikern verübt. In 33 Fällen waren die Täter ausländische Judenfeinde. In den von RIAS registrierten Fällen hingegen konnten die Motivlagen nicht immer geklärt werden. Häufig sei "israelfeindlicher Aktivismus" der Auslöser von Attacken oder Bedrohungen, auch rechtsextreme, linksextreme und islamistische Motive werden genannt.

"Antisemitismus kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor", sagt Steinitz. Je nach Täterhintergrund werde aber öffentlich anders über die Vorfälle gesprochen. "Gerade am Beispiel der AfD kann man eine Instrumentalisierung des Antisemitismus feststellen." Vorfälle mit vermeintlich nichtdeutschen Tätern würden thematisiert, "um die eigenen Ressentiments zu bedienen", sagt Steinitz. In der eigenen Partei hingegen würden auffällige Personen toleriert und in Ämter gewählt. Empathie und Solidarität mit Betroffenen seien nicht zu spüren.

"Das mussten wir leider auch bei der Kontroverse um die Echo-Vergabe feststellen", sagt Steinitz. Die Rapper Farid Bang und Kollegah waren mit dem nationalen Musikpreis ausgezeichnet worden – trotz zynischer Textzeilen, die die Judenverfolgung im Dritten Reich verharmlosten. Zahlreiche Künstler gaben daraufhin ihre Auszeichnungen zurück.

"Kollegah hat offenbar keinen Begriff von Antisemitismus – er ist ja auch schon vor dem prämierten Album durch Verbreitung von Verschwörungstheorien aufgefallen", sagt Steinitz. Aber auch die Jury des Echos habe offenbar keine Empathie für die jüdischen Perspektive, indem es die Auszeichnung ausschließlich auf Basis der erreichten Verkaufszahlen verleihe. Für zahlreiche Hörer stehe der Tabubruch im Vordergrund. "Das zeigt, dass Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt."

Anmerkung: Die Recherche der "Deutschen Welle" zur Identität des attackierten Jugendlichen wurde erst nach Veröffentlichung dieses Artikels bekannt und daher nachträglich ergänzt.

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