Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mysteriöser Massenaufruf Rechtsextreme und Putin-Fans im Generalstreik-Fieber
Der Aufruf zu einem Generalstreik wurde zigtausendfach geteilt. Auch ein „Waldguru“ aus Österreich und ein judenfeindlicher Schweizer Esoteriker sind beteiligt.
Mehr als 42.000 Mal ist ein Aufruf eines Österreichers geteilt worden, Deutschland solle von Dienstag bis Samstag in den Generalstreik treten. Der Mann ist von der Resonanz überrollt worden und nicht der Urheber. Dazu bekennt sich niemand, und das könnte vor allem einen Grund haben: Der Appell ist völlig absurd, und Deutschland wird selbst bei Beteiligung einiger Tausend Menschen nicht mehr stillstehen als sonst in den Osterferien auch. Die Suche nach Anhängern des Aufrufs führt zu Menschen mit tiefsitzender Angst, zu Verschwörungstheorien und Katastrophenszenarien.
Streik aus politischen Gründen kann zu Kündigung führen
„Wer den Aufruf geschrieben hat, hatte noch nie mit Arbeitsrecht zu tun“, sagt Arnd Diringer, Leiter der Forschungsstelle für Arbeitsrecht an der Hochschule Ludwigsburg. Trotzdem wirft er für Arbeitsrechtler spannende Fragen auf: Deutschland kennt bisher nur Streiks als Mittel des Arbeitskampfs. Aus politischen Gründen zu streiken rechtfertige nach der gängigen Rechtsprechung die Kündigung, so Diringer.
Verdi-Chef Frank Bsirske hatte 2010 ein politisches Streikrecht gefordert. Damals ging es darum, Arbeitnehmer gegen Sozialreformen auf die Straße zu bringen. Diringer dazu: „Aber wenn man solche Instrumente schafft, muss man sich klar sein, dass sie auch einmal ganz anders als gedacht zurückkommen könnten.“ Streikrecht, so Diringer, ist in Deutschland gesetzlich nicht geregelt, das Bundesarbeitsgericht setzt mit seiner Rechtsprechung die Rahmenbedingungen. Und es hat zwar die Regeln aufgeweicht, sei aber bisher weit davon entfernt, Streiks aus politischen Gründen zuzulassen.
Streikaufruf wohl keine Straftat
Aus juristischer Sicht sei in dem Aufruf wohl keine Straftat zu sehen, so der Ludwigsburger Arbeitsrechts-Professor. Aufgefordert wird an erster Stelle, sich in dem Zeitraum Urlaub zu nehmen – mit „Streiken“ hat das dann nichts mehr zu tun. Mutigeren wird geraten, sich krank zu melden. Auch unter Befürwortern des „Streiks“ löst der Vorschlag Stirnrunzeln und Kritik aus, sich Urlaub zu nehmen. Auf anderen Seiten gibt es Hohn und Spott.
Der Urheber des Aufrufs ist völlig unklar, Menschen, die es vielleicht wissen könnten, verweigern die Auskunft oder antworten nicht. Der Appell ist aber so allgemein gehalten, dass er mit ganz verschiedenen Botschaften verbreitet wird: Mal geht es um das Abwenden eines angeblich drohenden Bürgerkriegs wegen Migranten, mal um eine völlig andere Russland-Politik und das Verhindern eines angeblich drohenden Kriegs mit Russland, dann wieder das drohende Ausplündern der Deutschen durch die EU. Reichsbürger haben den Aufruf ebenso geteilt.
Ken Jebsen forderte 2015 „Generalstreik für eine Revolution“
Immer wieder taucht in Kommentaren ein Video des russischen Staatssenders RT Deutsch von 2015 auf: Ken Jebsen, einer der Hauptfiguren der „Montagsmahnwachen“, erklärte im Beitrag „Fünf Tage Generalstreik für eine Revolution“ die Idee: „Fünf Tage Streik können das System ändern. Alles, was man dafür tun muss, ist sich trauen. Ich muss mir dafür keine Erlaubnis holen, ich muss es einfach machen.“ Er erklärte damals, 70 Prozent der Deutschen seien „gegen einen Krieg mit Russland“ und deutete an, dass dieser geplant sei. „Wenn diese 70 Prozent eine Woche auf der Straße bleiben würden, dann könnte Flinten-Uschi ihre komischen Pläne begraben.“ Jebsen antwortete nicht auf eine Anfrage von t-online.de, wie er zu dem jetzt kursierenden Aufruf steht.
Als Initiator wird auf Facebook oft ein Mann aus Österreich genannt, der sich selbst auch als „Waldguru“ bezeichnet und die „wirksamsten Nano-Frequenz-Kristalle der Welt“ verkauft. Sein Generalstreik-Posting vom 20. März abends um 21.47 Uhr wurde mehr als 42.000-mal geteilt, von manchen Nutzern auch täglich mehrfach. t-online.de hat jedoch noch frühere Postings gefunden und vom „Waldguru“ ein Dementi erhalten. Der Österreicher hat sich für eine Anfrage der Redaktion freundlich bedankt. Er habe den Aufruf von mehreren Facebook-Bekannten zugeschickt bekommen und „dann eben gepostet“. Seine Begründung: „Ich möchte meine deutschen FreundInnen in Sicherheit und geordneten Verhältnissen wissen und mein Land Österreich vor Schaden bewahren.“
Streikbefürwoter hält Anschlag vom Breitscheidplatz für einen Inside-Job
Er habe auch schon „über zahlreiche Vergewaltiger und Straßenräuber gepostet“, was zu x-fachen Sperrungen geführt habe. Auch einige Tage nach dem Aufruf habe er nicht mehr schreiben dürfen. Der Österreicher ist Mitglied mehrerer Putin-Fangruppen und nannte den Berliner Weihnachtsmarkt-Anschlag eine „klare False-Flag-Regierungsaktion“.
Einem Vordenker der Neuen Rechten riet er in einem Kommentar: „Warte strategisch ab... Der Feind ist online zu mächtig.“ Und dieser „Feind“ hat natürlich belustigt Screenshots seines Posts verbreitet. Nun fürchtet der Mann „Racheaktionen der Antifa“, die ihn für den Urheber halte.
Das ist er nicht: Es finden sich zwei Facebook-Postings von 16.49 Uhr und sogar 12.36 Uhr am gleichen Tag, ohne dass sie viele Reaktionen erhalten haben. Beide Autoren antworteten t-online.de auf Anfrage, den Aufruf auch nur bekommen zu haben, nennen nicht die Quelle. Einer schreibt ausführlicher. Er glaubt an den Plan vom Austausch des deutschen Volkes, „das sind Pläne, die durchgezogen werden gegen jeden Widerstand. Das einzige, was wir machen könnten, wäre ein Generalstreik.“
t-online.de wird bei den Recherchen auf noch viel drastischere Äußerungen stoßen: Der Generalstreik wird von manchen in extremen rechten Kreisen als letztes Mittel gesehen, um einen Bürgerkrieg abzuwenden. Deshalb berufen sich auch manche auf Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes, das mit der Einführung der Notstandsgesetzgebung in das Grundgesetz aufgenommene Recht auf Widerstand. Das ist aber Unsinn, erklärt Jurist Diringer.
Kein Grund für „Widerstandsrecht“
Dieses Widerstandsrecht komme überhaupt nur in Betracht, wenn jemand die nach dem Grundgesetz als unabänderlich angesehene Prinzipien beseitigen wolle – das sind etwa der Schutz der Menschenwürde oder der demokratische Rechtsstaat. „Das setzt dann aber auch voraus, dass alle anderen Möglichkeiten einer Gegenwehr bereits ausgeschöpft sind.“ Selbst wenn man unterstelle, dass einzelne Handlungen der Regierung verfassungswidrig seien, gebe es andere Mittel angesichts eines intakten Rechtssystems und der Möglichkeit, durch Wahlen Veränderungen herbeizuführen.
Bei den beiden frühesten Facebook-Postings fällt auf, dass noch Text hineinkopiert wurde über den Aufruf hinaus. Ein Artikel aus dem rechten Portal Jouwatch findet sich, dazu ein Kommentar: „Wir sind Widerstandskämpfer und FREIE Nationalisten Gruss STEINER“. Darunter stand noch eine Einordnung des Jouwatch-Artikels durch einen AfD-Kommunalpolitiker aus Bad Nenndorf: „Wir erleben hier definitiv die Umsetzung des beschriebenen Generalplanes.“ Der AfD-Funktionär hat den Aufruf zum Generalstreik später auch geteilt. Eine Anfrage von t-online.de hat er nicht beantwortet.
Im russischen vk-Netzwerk erste Aufrufe
Die Suche nach den Hintermännern des Aufrufs geht weiter und führt ins russische soziale Netzwerk vk.com. Vk.com ist zur Online-Zuflucht geworden für einige, die auf Facebook gesperrt worden sind oder Dinge schreiben wollen, für die sie umgehend gesperrt würden. Hier wurde der Streik-Appell noch anderthalb Stunden vor dem ersten Facebook-Posting geteilt. Er wurde auch von Menschen verbreitet, die Fotos von Ostereiern mit Hakenkreuz und von automatischen Gewehren posten und anregen, Live-Sendungen zu stürmen.
Kritiker an der Generalstreik-Idee bekommen schon mal als Antwort: „Feigheit kann tödlich sein. Wer sich nicht wehrt, wird ebenfalls sterben.“ Die Frau, die den Beitrag um 11.06 Uhr als erste überhaupt auf VK postete, äußert sich in ihrem Profil nicht so extrem. Auf eine Anfrage von t-online.de antwortete sie nicht. Dafür postete sie „NIEMALS mit den ...seltsamen Medien reden...sie verdrehen...nur alles!“. Die Suche nach den Urhebern des Aufrufs endet vorläufig bei ihr.
Auf YouTube ging das Thema erst am nächsten Tag richtig los. 100.000 Abrufe haben Original und Kopien des Videos des Schweizers Heinz-Christian Tobler, der sich selbst „Souverän Heinz-Christian Tobler“ und die Fluchtbewegungen aus Syrien einen „zionistisch-jüdischen, verbrecherischen Akt“ nennt. Tobler bot Behandlungen mit „Mehrwellenoszillatoren“, die schon Krebs geheilt haben sollen.
Für den 18. August 2016 hatte er schon den Ausbruch des Dritten Weltkriegs vorhergesagt – unter Berufung auf „glaubwürdige Informationen aus der Nato“.
Falsche Behauptung von CIA-Chef
Video-Blogger Tobler wird sich wohl aus der Schweiz absetzen müssen: „„Falls der Aufruf ungehört verklingen sollte, werde ich das europäische Festland verlassen und alle Befreiungsarbeit einstellen“, kündigte er in seinem Video an. Die Dringlichkeit des Aufrufs hatte er mit einem Horrorszenario untermauert, das er nach Erscheinen der ersten Fassung dieses Textes wieder entfernt hat. Er habe das ungeprüft von einer inzwischen gelöschten Seite übernommen, erklärt Tobler nun.
Er hatte verbreitet, der CIA-Chef habe laut „Washington Post“ unlängst gesagt, Deutschland sei spätestens 2020 nicht mehr regierbar. Das bezieht sich auf eine bereits 2008 gehaltene Rede, in der Hayden aber laut Redetext lediglich davon sprach, durch einen wachsenden Anteil muslimischer Bevölkerung werde „das Potenzial für Unruhen und Extremismus erhöht“.
Für die angebliche Untergangs-Prognose der CIA mit Bürgerkrieg in europäischen Metropolen gibt es nur einen Artikel aus dem Kopp-Verlag, der heute nur noch über Umwege zu finden ist. Der bei der Wahrheit flexible Udo Ulfkotte hatte den Text über eine „geheime CIA-Studie“ am 3. April 2008 veröffentlicht und damals schon relativiert („Die CIA hat schon viele Studien erstellt, für die man sich später geschämt hat“.) Für die von Ulfkotte angeführte Studie konnte t-online.de keine weitere Quelle finden. Ulfkotte selbst verwies schon Anfang 2009 nicht mehr auf die Studie, sondern stützte sich nun auf die für Geheimdienste erstellten Global Trends 2020. Dort ist aber keine Rede von schweren inneren soziale Unruhen in den Ballungsgebieten der Europäischen Union.
Angstmache mit BKA-Gesetz
Tobler liefert noch ein weiteres vermeintliches Argument für den Generalstreik, das ebenso falsch ist: Ab dem 25. Mai würden keine Grundrechte in Deutschland mehr gelten, erklärt er. Tatsächlich tritt an dem Tag das neue BKA-Gesetz in Kraft mit der Formulierung in Paragraf 89: „Die Grundrechte (…) werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.“ Das steht aber seit Jahren wortgleich bereits in Paragraf 38des aktuellen BKA-Gesetzes. Wenn andere Gesetze in Grundrechte eingreifen, muss das explizit noch einmal genannt werden. Tobler bleibt aber dabei: „Es geht um unterschiedliche Themen, wirtschaftliche, ethnische und politische mit einer gemeinsamen Konsequenz: Die Zerstörung Deutschlands unter der Regierung Merkel.“
Die Forderung nach einem Generalstreik ist nicht neu. Am 17. Juni 2017 sollte Deutschland bereits schon einmal stillstehen. „In diesem Sommer muss es erledigt werden...“, hieß es auf einer Anfang 2016 an den Start gegangenen Facebookseite. Sie hält einen Generalstreik für nötig, „wenn es noch eine friedliche Lösung geben soll“. Zu dem aktuellen Streikaufruf findet sich dort nichts, die Seite verweist mit dem Hashtag #Generalstreik lieber auf den 20. Mai, an dem in Berlin eine Biker-Demo geplant ist.
Update, 2. April 2018: Der Text wurde nach einer Reaktion von Heinz-Christian Tobler aktualisiert. Tobler informiert weiterhin über Mehrwellenoszillatoren, bietet aber nach seinen Angaben seit 2016 keine Behandlungen mehr an. Der Speer im Foto sei kein germanischer, sondern ein indischer Speer. Tobler erklärt, er habe nicht zu Gewalt, Mord oder Waffengebrauch aufgerufen. Das hat t-online.de aber auch nicht behauptet.
- Eigene Recherchen
- Homepage Prof. Arnd Diringer