Nachfrage nach kleinem Waffenschein So gefährlich ist die Selbstbewaffnung der Deutschen
Deutschland ist eins der sichersten Länder der Welt. Trotzdem haben immer mehr Deutsche das Gefühl, sich bewaffnen zu müssen. Innerhalb von zwei Monaten ist die Nachfrage nach dem kleinen Waffenschein sprunghaft gestiegen. Er berechtigt zum Tragen von Schreckschusswaffen. Ein Experte warnt vor den Folgen.
"Wir sehen das mit Sorge", kommentiert Sascha Braun, Justiziar der Gewerkschaft der Polizei (GdP), diese Entwicklung im Gespräch mit t-online.de. "Es gibt zwei Effekte, wenn Menschen bewaffnet sind: Das Angstgefühl sinkt und die Risikobereitschaft steigt." Wer eine Waffe trägt, achtet folglich weniger auf sein Bauchgefühl, wenn er abwägt, an welchen Orten er sich bewegt und welche Situationen er lieber meidet.
Die steigende Nachfrage für den kleinen Waffenschein sei ein Indiz dafür, dass sich derzeit viele Bürger unsicher fühlen. Braun hält dies auch für eine Folge des Personalabbaus bei der Polizei.
Die Grünen-Abgeordneten Irene Mihalic, Fraktionsexpertin für innere Sicherheit, warnt: "Wenn immer mehr Menschen Waffen tragen, wird das eher zur Eskalation als zur Beruhigung der Lage beitragen."
Das regelt der kleine Waffenschein
Eine Unterscheidung ist zunächst wichtig: In Deutschland darf jeder Volljährige Schreckschuss-, Reiz- und Signalwaffen kaufen, die ein Prüfzeichen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB-Zeichen F) tragen. Sie werden nicht nur bei professionellen Waffenhändlern, sondern etwa auch in Baumärkten und im Internethandel angeboten.
Für Erwerb und Besitz solcher Waffen ist keine Erlaubnis nötig. Aber um sie in der Öffentlichkeit zu tragen, ist der kleine Waffenschein verpflichtend. Lediglich Reizstoffsprühgeräte, also auch Pfefferspray, dürfen ohne Waffenschein mitgeführt werden.
Wenn Bewaffnung nach hinten losgeht
Eine Waffe bietet trügerische Sicherheit, denn es besteht immer das Risiko, dass sie dem Träger entrissen und gegen ihn eingesetzt wird, oder dass eine gefährliche Situation erst dadurch eskaliert.
Braun beschreibt ein Szenario: Der Träger einer Schreckschusspistole gerät in eine Rangelei und zückt seine Waffe. Die Polizei rückt an, nimmt eine Person mit Waffe wahr und es ist nicht sichtlich, wer hier wen bedroht. "Kein Polizist ist in der Lage, auf den ersten Blick eine Schreckschusswaffe von einer scharfen Waffe zu unterscheiden. Dann muss in dieser Situation wirklich alles gut gehen, damit sich kein Schuss löst. Das ist brandgefährlich."
Wer einen kleinen Waffenschein beantragt, darf nicht vorbestraft sein. Er muss körperlich und geistig geeignet sein und darf auch nicht drogen- oder alkoholabhängig sein. Soweit die Vorschrift. Der Knackpunkt ist: Wie lässt sich das überprüfen? Wer nicht in einem Strafregister auftaucht, rutscht leicht durchs Raster. Brauns lapidare Antwort: "Man kann schon ziemlich verrückt sein, ohne dass es die Waffenbehörde mitbekommt."
Auch eine Schreckschusswaffe kann tödlich wirken
Beim kleinen Waffenschein muss der Käufer nicht einmal einen Sachkundenachweis erbringen. Das ist insbesondere bei Schreckschusspistolen bedenklich.
Eine Schreckschusswaffe ist ein zweischneidiges Schwert. Braun vergleicht sie mit Silvesterknallern: "Es kommt immer darauf an, wie jemand das handhabt." Bei einem Schuss in die Luft werden wahrscheinlich nur die Ohren heftig dröhnen. Aber direkt auf einen Menschen angesetzt, könne eine Schreckschusspistole wegen der enormen Druckwirkung schwere bis tödliche Verletzungen verursachen.
Lieber Selbstverteidigungskurs als Pfefferspray
Schon 14-Jährige dürfen Pfefferspray bei sich tragen. Selbst das ist keineswegs harmlos. Sogenannte Tierabwehrsprays – und in diese Kategorie fällt auch Pfefferspray – seien kaum dazu geeignet, sexuelle Angriffe abzuwehren. Braun betont: "Das eigentliche Problem sind Männer, die die sexuelle Integrität von Frauen verletzen. Wenn Frauen sich deshalb bewaffnen müssen, ist das eine desaströse Entwicklung."
Selbstverteidigung mit Pfefferspray hat Tücken: Schon bei ungünstigem Wind könne es passieren, dass man die Dosis selbst einatmet und danach nicht einmal mehr in der Lage ist, wegzulaufen. Noch größer sei die Gefahr, das Spray vom Gegner entrissen zu bekommen und selbst außer Gefecht gesetzt zu werden, warnt Braun.
Polizisten würden nicht grundlos eigens geschult, wie Reizgas einzusetzen ist, sagt Braun. "Man muss wissen, wie man so ein Spray handhabt, und man muss dabei cool bleiben." Schwer vorzustellen, dass dies einem Teenager in einer bedrohlichen Situation gelingt.
Die Polizeigewerkschaft rät stattdessen zu Selbstverteidigungskursen. "Dort lernt man, sich mit den eigenen Händen zu verteidigen."
Was taugen strengere Gesetze für Waffenkauf?
Die Grünen-Abgeordneten Mihalic hat angeregt, eine Lücke im Waffengesetz zu schließen und schon den Kauf von Schreckschusswaffen, Pfefferspray und Co. an eine Erlaubnis zu koppeln. Der GdP-Justiziar kontert: "Was passiert dann mit den schon legal erworbenen, dann illegalisierten Waffen?"
Die aktuelle Situation ist absurd: Der Besitzer einer frei verkäuflichen Waffe macht sich theoretisch schon strafbar, wenn er die Waffe ins Auto packt, um sie abzugeben.
Braun sieht das Dilemma pragmatisch: Vor einer entsprechenden Gesetzesänderung müssten Kosten, Aufwand und Nutzen gegeneinander abgewogen werden. Es gelte, die "ungute Entwicklung" zu beobachten und zu reagieren, wenn sich Verletzungen und Schäden durch Schreckschusswaffen häufen.